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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Theodor Althaus.

in Preußen, das seine Muskeln reckt und seine Hand ausstreckt nach dem Nuder
der Macht. Die Rede des Grafen Dyhrn ist sein -- vielleicht nicht ganz be¬
wußtes -- Programm. Der Trieb nach dem neuen Erkennen lenkt meinen
Blick jetzt zuerst nach Berlin, und nach Frankfurt ist es nur ein Rückblick."

Diese Einsicht hinderte jedoch nicht, wie schon erwähnt, daß Althaus es
als eine Pflicht ansah, Mitte Mai 1849 in seiner Zeitung zu bewaffnetem Ein¬
stehen für die Frankfurter Reichsverfassung aufzufordern. Ihm war ein Ab¬
schluß Bedürfnis -- ein Abschluß auch mit den Träumen des Nevolutionsjahres.
Und wenn man nicht sagen kann, daß er sich in dem -- wie er gern anerkannte --
überaus milden hannöverschen Staatsgefängnis selbst wiederfand (denn er
hatte sich, seine edle und reine Natur in allen Kämpfen und Krümpfen der
Zeit nicht verloren), so wirkte die verhältnismäßige Ruhe, die er in dem Jahre
seiner Haft gewann, die Rückkehr zu ernsten Studien und einem Lebensplan,
der seinen ursprünglichen Anlagen gemäßer war, durchaus günstig. Durch sein
Buch "Aus dem Gefängnis" zitterten wohl noch die Irrlichter des revolutio¬
nären Jahres, aber zugleich strahlt ein ruhig glänzendes Licht gerechter Hu¬
manität, reifer Anschauung und eines unverwüstlichen Glaubens an die Lebens¬
kraft des deutschen Volkes hindurch. Von der Verachtung, in der sich die zu
dreiviertel französisch gebildeten und in der demütigster Franzosenbewunderung
erwachsenen Jünger Börnes gefielen, ward ein Mann wie Althaus, eine so
echt deutsche Natur, kaum vorübergehend angefochten. Er hätte, wie gesagt,
eine reiche und große Zukunft haben können, wenn er gesund aus der Über¬
anstrengung des Revolutionsjahres und der allzu gegensätzlichen Enge des Ge¬
fängnisses hervorgetreten wäre. Er kehrte, noch der besten Hoffnungen und
Vorsätze voll, in das Vaterhaus nach Detmold zurück, wo er leider die geistes¬
klare und liebevolle Mutter nicht mehr vorfand; sie war Anfang 1849 gestorben.
Als er seines Zustandes inne wurde, galt natürlich seine nächste Sorge der
Wiedergewinnung der Verlornen Gesundheit. Aber weder die Seebäder von
Ostende noch die Kuren, die er in Gotha brauchte, hatten den gewünschten Er¬
folg, er schied aus dem Leben, ehe er in dessen Mitte angelangt war. Seine
"Gedichte," die edelsten und schönsten Zeugnisse seines Geistes und Wesens,
sammelte die Familie und ließ sie als Manuskript drucken, eine kleine Auswahl
daraus gelangte durch Adolf Sterns Sammelwerk "Fünfzig Jahre deutscher
Dichtung" in die Öffentlichkeit und aus diesem vielgeplünderten Buche heraus
in andre Anthologien. Es wäre an der Zeit, daß jetzt, wo eine liebevoll ein¬
gehende Lebeusdarstelluug erschienen ist und die Blicke wenigstens einer großen
Gemeinde auf Theodor Althaus zurücklenkt, diese eigentümlichen, vielfach an
Hölderlin und seine elegische Gedankendichtung erinnernden Gedichte nicht länger
zurückgehalten würden. Auch die "Märchen aus der Gegenwart" sind ein Buch,
das nicht vergessen werden darf. Dem Wesen und der Gesamterscheinung des
frühgeschiednen Dichters aber glauben wir schließlich nicht besser gerecht werden


Theodor Althaus.

in Preußen, das seine Muskeln reckt und seine Hand ausstreckt nach dem Nuder
der Macht. Die Rede des Grafen Dyhrn ist sein — vielleicht nicht ganz be¬
wußtes — Programm. Der Trieb nach dem neuen Erkennen lenkt meinen
Blick jetzt zuerst nach Berlin, und nach Frankfurt ist es nur ein Rückblick."

Diese Einsicht hinderte jedoch nicht, wie schon erwähnt, daß Althaus es
als eine Pflicht ansah, Mitte Mai 1849 in seiner Zeitung zu bewaffnetem Ein¬
stehen für die Frankfurter Reichsverfassung aufzufordern. Ihm war ein Ab¬
schluß Bedürfnis — ein Abschluß auch mit den Träumen des Nevolutionsjahres.
Und wenn man nicht sagen kann, daß er sich in dem — wie er gern anerkannte —
überaus milden hannöverschen Staatsgefängnis selbst wiederfand (denn er
hatte sich, seine edle und reine Natur in allen Kämpfen und Krümpfen der
Zeit nicht verloren), so wirkte die verhältnismäßige Ruhe, die er in dem Jahre
seiner Haft gewann, die Rückkehr zu ernsten Studien und einem Lebensplan,
der seinen ursprünglichen Anlagen gemäßer war, durchaus günstig. Durch sein
Buch „Aus dem Gefängnis" zitterten wohl noch die Irrlichter des revolutio¬
nären Jahres, aber zugleich strahlt ein ruhig glänzendes Licht gerechter Hu¬
manität, reifer Anschauung und eines unverwüstlichen Glaubens an die Lebens¬
kraft des deutschen Volkes hindurch. Von der Verachtung, in der sich die zu
dreiviertel französisch gebildeten und in der demütigster Franzosenbewunderung
erwachsenen Jünger Börnes gefielen, ward ein Mann wie Althaus, eine so
echt deutsche Natur, kaum vorübergehend angefochten. Er hätte, wie gesagt,
eine reiche und große Zukunft haben können, wenn er gesund aus der Über¬
anstrengung des Revolutionsjahres und der allzu gegensätzlichen Enge des Ge¬
fängnisses hervorgetreten wäre. Er kehrte, noch der besten Hoffnungen und
Vorsätze voll, in das Vaterhaus nach Detmold zurück, wo er leider die geistes¬
klare und liebevolle Mutter nicht mehr vorfand; sie war Anfang 1849 gestorben.
Als er seines Zustandes inne wurde, galt natürlich seine nächste Sorge der
Wiedergewinnung der Verlornen Gesundheit. Aber weder die Seebäder von
Ostende noch die Kuren, die er in Gotha brauchte, hatten den gewünschten Er¬
folg, er schied aus dem Leben, ehe er in dessen Mitte angelangt war. Seine
„Gedichte," die edelsten und schönsten Zeugnisse seines Geistes und Wesens,
sammelte die Familie und ließ sie als Manuskript drucken, eine kleine Auswahl
daraus gelangte durch Adolf Sterns Sammelwerk „Fünfzig Jahre deutscher
Dichtung" in die Öffentlichkeit und aus diesem vielgeplünderten Buche heraus
in andre Anthologien. Es wäre an der Zeit, daß jetzt, wo eine liebevoll ein¬
gehende Lebeusdarstelluug erschienen ist und die Blicke wenigstens einer großen
Gemeinde auf Theodor Althaus zurücklenkt, diese eigentümlichen, vielfach an
Hölderlin und seine elegische Gedankendichtung erinnernden Gedichte nicht länger
zurückgehalten würden. Auch die „Märchen aus der Gegenwart" sind ein Buch,
das nicht vergessen werden darf. Dem Wesen und der Gesamterscheinung des
frühgeschiednen Dichters aber glauben wir schließlich nicht besser gerecht werden


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[0522] Theodor Althaus. in Preußen, das seine Muskeln reckt und seine Hand ausstreckt nach dem Nuder der Macht. Die Rede des Grafen Dyhrn ist sein — vielleicht nicht ganz be¬ wußtes — Programm. Der Trieb nach dem neuen Erkennen lenkt meinen Blick jetzt zuerst nach Berlin, und nach Frankfurt ist es nur ein Rückblick." Diese Einsicht hinderte jedoch nicht, wie schon erwähnt, daß Althaus es als eine Pflicht ansah, Mitte Mai 1849 in seiner Zeitung zu bewaffnetem Ein¬ stehen für die Frankfurter Reichsverfassung aufzufordern. Ihm war ein Ab¬ schluß Bedürfnis — ein Abschluß auch mit den Träumen des Nevolutionsjahres. Und wenn man nicht sagen kann, daß er sich in dem — wie er gern anerkannte — überaus milden hannöverschen Staatsgefängnis selbst wiederfand (denn er hatte sich, seine edle und reine Natur in allen Kämpfen und Krümpfen der Zeit nicht verloren), so wirkte die verhältnismäßige Ruhe, die er in dem Jahre seiner Haft gewann, die Rückkehr zu ernsten Studien und einem Lebensplan, der seinen ursprünglichen Anlagen gemäßer war, durchaus günstig. Durch sein Buch „Aus dem Gefängnis" zitterten wohl noch die Irrlichter des revolutio¬ nären Jahres, aber zugleich strahlt ein ruhig glänzendes Licht gerechter Hu¬ manität, reifer Anschauung und eines unverwüstlichen Glaubens an die Lebens¬ kraft des deutschen Volkes hindurch. Von der Verachtung, in der sich die zu dreiviertel französisch gebildeten und in der demütigster Franzosenbewunderung erwachsenen Jünger Börnes gefielen, ward ein Mann wie Althaus, eine so echt deutsche Natur, kaum vorübergehend angefochten. Er hätte, wie gesagt, eine reiche und große Zukunft haben können, wenn er gesund aus der Über¬ anstrengung des Revolutionsjahres und der allzu gegensätzlichen Enge des Ge¬ fängnisses hervorgetreten wäre. Er kehrte, noch der besten Hoffnungen und Vorsätze voll, in das Vaterhaus nach Detmold zurück, wo er leider die geistes¬ klare und liebevolle Mutter nicht mehr vorfand; sie war Anfang 1849 gestorben. Als er seines Zustandes inne wurde, galt natürlich seine nächste Sorge der Wiedergewinnung der Verlornen Gesundheit. Aber weder die Seebäder von Ostende noch die Kuren, die er in Gotha brauchte, hatten den gewünschten Er¬ folg, er schied aus dem Leben, ehe er in dessen Mitte angelangt war. Seine „Gedichte," die edelsten und schönsten Zeugnisse seines Geistes und Wesens, sammelte die Familie und ließ sie als Manuskript drucken, eine kleine Auswahl daraus gelangte durch Adolf Sterns Sammelwerk „Fünfzig Jahre deutscher Dichtung" in die Öffentlichkeit und aus diesem vielgeplünderten Buche heraus in andre Anthologien. Es wäre an der Zeit, daß jetzt, wo eine liebevoll ein¬ gehende Lebeusdarstelluug erschienen ist und die Blicke wenigstens einer großen Gemeinde auf Theodor Althaus zurücklenkt, diese eigentümlichen, vielfach an Hölderlin und seine elegische Gedankendichtung erinnernden Gedichte nicht länger zurückgehalten würden. Auch die „Märchen aus der Gegenwart" sind ein Buch, das nicht vergessen werden darf. Dem Wesen und der Gesamterscheinung des frühgeschiednen Dichters aber glauben wir schließlich nicht besser gerecht werden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/522>, abgerufen am 24.08.2024.