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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Die Schulvereme.

durch höfische Furcht oder pfäffischen Sinn für das Deutschtum verloren ge¬
gangen sind.

Denn in Österreich sind es nun schon neun Jahre her, daß eine Mehrheit,
bestehend aus der Verbindung aller deutschfeindlichen Elemente, das Nuder des
Staates im Besitze hat und im Vollgefühle der Macht lustig darauf hin¬
arbeitet, daß die Steuer- und geisteskräftige Minderheit der liberalen Deutschen ans
ihrer gebietenden Stellung für immer verdrängt werde, was erstere, mit bitterstem
Schmerze sei es gesagt, niemals erreichen könnte, wenn nicht auch ein großer
Teil der Deutschen selbst, die Ultramontanen, und einige "Auchdeutsche" zur
Bekämpfung des eignen Volkes hilfreiche Hand böten. So ist im Laufe der
Jahre ein Bollwerk nach dem andern in die Hände der Gegner gefallen, Land¬
tage, Handelskammern, Wahlbezirke, Rechtspflege und viele kleinere, aber nicht
minder wichtige Stellungen der Deutschen sind den Tschechen, Slovcnen und
Italienern überliefert worden. Vor allem aber soll die Jugend, wo immer sie
in gemischten Bevölkerungen aufwächst, zum Dienste des künftigen Slawenreiches
tauglich gemacht werden. Kein einziges Kind, dessen Eltern nicht ausgesprochen
deutsch fühlen, soll dem "Mütterchen" Slavia entzogen werden. Daher die un¬
zähligen tschechischen und slowenischen Schulgründungen mitten im deutschen Ge¬
biete, die auf Kosten der deutschen Gemeinden gesetzlich errichtet werden mußten,
sobald ein fünfjähriger Durchschnitt ergeben hatte, daß von mindestens vierzig
Kindern die Eltern, in den meisten Fällen freilich die terroristischen Beherrscher
derselben, den Unterricht in tschechischer u. s. w. Sprache erteilt wissen wollen.
Eine friedliche und für die "armen Opfer" selbst nur ersprießliche Kulturmission
der deutschen Schule wurde hiermit lahm gelegt. Die letztere hatte aber auch
bald ihren eigensten Besitz gegen wütende Angriffe zu verteidigen.

Wie es nämlich im geschlossenen Sprachgebiete der Deutschen zahlreiche
Niederlassungen tschechischer u. s. w. Handwerker und Arbeiter giebt, so sind auch,
und zwar in noch höherm Grade, die Deutschen als Ärzte, Lehrer, Fabrikanten
und in andern hervorragenden Stellungen über das ganze nichtdeutsche Land
zerstreut, bilden hier ganze Sprachinseln, wie Iglau in Mähren, Gottschee in
Krain, und dort wieder, besonders in den Städten, kleinere oder größere deutsche
Gesellschaftskreise. Während diese nun in früherer Zeit ganz selbstverständlich
die geistige Führerschaft besaßen und trotz ihrer geringeren Zahl in Schule und
Amt deutsche Sprache und deutschen Geist walten ließen (was, beiläufig gesagt,
für Österreich das einzige staatserhaltende Mittel bedeutet), sahen sie sich durch
das neu erwachte nationale Leben der Gegner um allen Einfluß gebracht, ohne
daß sie an allen Orten Einrichtungen geschaffen hätten, die ihnen die Pflege
ihrer deutscheu Stammesangehörigkeit auf die Dauer gesichert hätten, besonders
also festbegründete deutsche Schulen. Da aber der Terrorismus einer slawischen
Mehrheit viel heftiger und roher auftritt als in rein deutschen Gemeinden, da
ferner die slawisch gewordenen Lcmdesschulrüte, z. B. in Böhmen, nicht immer


Die Schulvereme.

durch höfische Furcht oder pfäffischen Sinn für das Deutschtum verloren ge¬
gangen sind.

Denn in Österreich sind es nun schon neun Jahre her, daß eine Mehrheit,
bestehend aus der Verbindung aller deutschfeindlichen Elemente, das Nuder des
Staates im Besitze hat und im Vollgefühle der Macht lustig darauf hin¬
arbeitet, daß die Steuer- und geisteskräftige Minderheit der liberalen Deutschen ans
ihrer gebietenden Stellung für immer verdrängt werde, was erstere, mit bitterstem
Schmerze sei es gesagt, niemals erreichen könnte, wenn nicht auch ein großer
Teil der Deutschen selbst, die Ultramontanen, und einige „Auchdeutsche" zur
Bekämpfung des eignen Volkes hilfreiche Hand böten. So ist im Laufe der
Jahre ein Bollwerk nach dem andern in die Hände der Gegner gefallen, Land¬
tage, Handelskammern, Wahlbezirke, Rechtspflege und viele kleinere, aber nicht
minder wichtige Stellungen der Deutschen sind den Tschechen, Slovcnen und
Italienern überliefert worden. Vor allem aber soll die Jugend, wo immer sie
in gemischten Bevölkerungen aufwächst, zum Dienste des künftigen Slawenreiches
tauglich gemacht werden. Kein einziges Kind, dessen Eltern nicht ausgesprochen
deutsch fühlen, soll dem „Mütterchen" Slavia entzogen werden. Daher die un¬
zähligen tschechischen und slowenischen Schulgründungen mitten im deutschen Ge¬
biete, die auf Kosten der deutschen Gemeinden gesetzlich errichtet werden mußten,
sobald ein fünfjähriger Durchschnitt ergeben hatte, daß von mindestens vierzig
Kindern die Eltern, in den meisten Fällen freilich die terroristischen Beherrscher
derselben, den Unterricht in tschechischer u. s. w. Sprache erteilt wissen wollen.
Eine friedliche und für die „armen Opfer" selbst nur ersprießliche Kulturmission
der deutschen Schule wurde hiermit lahm gelegt. Die letztere hatte aber auch
bald ihren eigensten Besitz gegen wütende Angriffe zu verteidigen.

Wie es nämlich im geschlossenen Sprachgebiete der Deutschen zahlreiche
Niederlassungen tschechischer u. s. w. Handwerker und Arbeiter giebt, so sind auch,
und zwar in noch höherm Grade, die Deutschen als Ärzte, Lehrer, Fabrikanten
und in andern hervorragenden Stellungen über das ganze nichtdeutsche Land
zerstreut, bilden hier ganze Sprachinseln, wie Iglau in Mähren, Gottschee in
Krain, und dort wieder, besonders in den Städten, kleinere oder größere deutsche
Gesellschaftskreise. Während diese nun in früherer Zeit ganz selbstverständlich
die geistige Führerschaft besaßen und trotz ihrer geringeren Zahl in Schule und
Amt deutsche Sprache und deutschen Geist walten ließen (was, beiläufig gesagt,
für Österreich das einzige staatserhaltende Mittel bedeutet), sahen sie sich durch
das neu erwachte nationale Leben der Gegner um allen Einfluß gebracht, ohne
daß sie an allen Orten Einrichtungen geschaffen hätten, die ihnen die Pflege
ihrer deutscheu Stammesangehörigkeit auf die Dauer gesichert hätten, besonders
also festbegründete deutsche Schulen. Da aber der Terrorismus einer slawischen
Mehrheit viel heftiger und roher auftritt als in rein deutschen Gemeinden, da
ferner die slawisch gewordenen Lcmdesschulrüte, z. B. in Böhmen, nicht immer


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[0512] Die Schulvereme. durch höfische Furcht oder pfäffischen Sinn für das Deutschtum verloren ge¬ gangen sind. Denn in Österreich sind es nun schon neun Jahre her, daß eine Mehrheit, bestehend aus der Verbindung aller deutschfeindlichen Elemente, das Nuder des Staates im Besitze hat und im Vollgefühle der Macht lustig darauf hin¬ arbeitet, daß die Steuer- und geisteskräftige Minderheit der liberalen Deutschen ans ihrer gebietenden Stellung für immer verdrängt werde, was erstere, mit bitterstem Schmerze sei es gesagt, niemals erreichen könnte, wenn nicht auch ein großer Teil der Deutschen selbst, die Ultramontanen, und einige „Auchdeutsche" zur Bekämpfung des eignen Volkes hilfreiche Hand böten. So ist im Laufe der Jahre ein Bollwerk nach dem andern in die Hände der Gegner gefallen, Land¬ tage, Handelskammern, Wahlbezirke, Rechtspflege und viele kleinere, aber nicht minder wichtige Stellungen der Deutschen sind den Tschechen, Slovcnen und Italienern überliefert worden. Vor allem aber soll die Jugend, wo immer sie in gemischten Bevölkerungen aufwächst, zum Dienste des künftigen Slawenreiches tauglich gemacht werden. Kein einziges Kind, dessen Eltern nicht ausgesprochen deutsch fühlen, soll dem „Mütterchen" Slavia entzogen werden. Daher die un¬ zähligen tschechischen und slowenischen Schulgründungen mitten im deutschen Ge¬ biete, die auf Kosten der deutschen Gemeinden gesetzlich errichtet werden mußten, sobald ein fünfjähriger Durchschnitt ergeben hatte, daß von mindestens vierzig Kindern die Eltern, in den meisten Fällen freilich die terroristischen Beherrscher derselben, den Unterricht in tschechischer u. s. w. Sprache erteilt wissen wollen. Eine friedliche und für die „armen Opfer" selbst nur ersprießliche Kulturmission der deutschen Schule wurde hiermit lahm gelegt. Die letztere hatte aber auch bald ihren eigensten Besitz gegen wütende Angriffe zu verteidigen. Wie es nämlich im geschlossenen Sprachgebiete der Deutschen zahlreiche Niederlassungen tschechischer u. s. w. Handwerker und Arbeiter giebt, so sind auch, und zwar in noch höherm Grade, die Deutschen als Ärzte, Lehrer, Fabrikanten und in andern hervorragenden Stellungen über das ganze nichtdeutsche Land zerstreut, bilden hier ganze Sprachinseln, wie Iglau in Mähren, Gottschee in Krain, und dort wieder, besonders in den Städten, kleinere oder größere deutsche Gesellschaftskreise. Während diese nun in früherer Zeit ganz selbstverständlich die geistige Führerschaft besaßen und trotz ihrer geringeren Zahl in Schule und Amt deutsche Sprache und deutschen Geist walten ließen (was, beiläufig gesagt, für Österreich das einzige staatserhaltende Mittel bedeutet), sahen sie sich durch das neu erwachte nationale Leben der Gegner um allen Einfluß gebracht, ohne daß sie an allen Orten Einrichtungen geschaffen hätten, die ihnen die Pflege ihrer deutscheu Stammesangehörigkeit auf die Dauer gesichert hätten, besonders also festbegründete deutsche Schulen. Da aber der Terrorismus einer slawischen Mehrheit viel heftiger und roher auftritt als in rein deutschen Gemeinden, da ferner die slawisch gewordenen Lcmdesschulrüte, z. B. in Böhmen, nicht immer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/512>, abgerufen am 25.08.2024.