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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Die Schulvereine.

verfolgt und entrissen wie ihr! Im Nordosten des Reiches fängt die Drangsal
bei den Russen an und setzt sich durch Polen und Litauen bis nach Österreich
fort, wo die Tschechen, Slovenen, Magyaren und Italiener um die Wette den
großen Nachbar zerzausen. Den Franzosen im Westen ist zwar seit 1870 eine
derbe Lektion geworden, aber es scheint noch lange nicht, als ob diese für ewige
Zukunft genügenden Schutz gewährte. Brauche ich "och zu erwähnen, das;
deutsche Landeskinder auch außerhalb dieses riesigen Kreises, in Siebenbürgen,
Groß- und Kleinrußland, in beiden Amerika, kurz überall, wo überhaupt nur
Menschen leben können, in achtunggebietender, zugleich aber auch ausgiebigen
Schutz rechtfertigender Anzahl zerstreut sind, und brauche ich, als Deutscher zu
Deutschen sprechend, erst gründlich zu beweisen, daß wir keinen von diesen auf¬
geben dürfen?

Welches gesetzlich erlaubte Mittel könnte aber die Rettung und Erhaltung
dieser vom Schicksale der Entdeutschuug bedrohten so gründlich und doch so
schnell, so energisch und doch so sanft, so leicht und -- so billig bewerkstelligen
wie die Gewährung des deutschen Schulunterrichtes? Gerade die fremd¬
sprachige" Schulen, in welche die Kinder von Tausenden unsrer deutschen Aus¬
wanderer geschickt werden mußten, haben in Amerika und anderswo die er¬
schreckend schnelle Entfremdung der zweiten Generation herbeigeführt, sodaß der
Sohn eines deutschen Ansiedlers sich schon nicht mehr als Deutscher, sondern
als Angloamerikaner fühlte und gelten wollte. Millionen sind uns dadurch
verloren gegangen und andern zugewachsen. Es war die höchste Zeit, daß wir
anfingen, uns dieses Nachteiles bewußt zu werden und dieselbe Erfahrung einmal
zu Gunsten unsers Volkstumes zu verwerten. Hierzu wurde in Österreich, und
zwar im deutschen Teile dieses Landes, der erste bewußte Schritt gethan durch
die Gründung des "Deutschen Schulvereins."

Ich sage, der erste Schritt, und bin mir dabei wohl bewußt, daß schon
früher gerade auch in Österreich Kaiser Josef II. die deutsche Sprache ge¬
waltsam und überall zur Herrschaft bringen wollte, daß der ganze Nordosten
Deutschlands nichts andres als germanisirtes Land ist, von ähnlichen Wand¬
lungen bei andern Völkern ganz zu schweigen. Solche Thatsachen vollzogen
sich aber entweder ganz unbewußt, als einfache Folgen der Überlegenheit deutscher
Gesittung, oder sie wurden zwar von den Fürsten mit vollem Bewußtsein ins
Werk gesetzt, gingen aber aus bloßen Verwaltungsrttckstchten hervor. Eine
volkstümliche, von den Regierungen nicht nur unabhängige, sondern von ein¬
zelnen sogar angefeindete Bewegung, welche aus der reinsten Schwärmerei für
den Wert, die Schönheit und Würde des angebornen Volkstumes hervorgegangen
ist und schließlich wegen ihrer hohen politischen Bedeutsamkeit auch die kühleren
Stammesgenossen fortgerissen hat, ist erst durch die Gründung dieses ersten
Schulvereines entstanden, und gerade Österreich bot die Bedingungen für
eine begeisterte Teilnahme sämtlicher deutschen Volkskreise, so weit sie nicht


Die Schulvereine.

verfolgt und entrissen wie ihr! Im Nordosten des Reiches fängt die Drangsal
bei den Russen an und setzt sich durch Polen und Litauen bis nach Österreich
fort, wo die Tschechen, Slovenen, Magyaren und Italiener um die Wette den
großen Nachbar zerzausen. Den Franzosen im Westen ist zwar seit 1870 eine
derbe Lektion geworden, aber es scheint noch lange nicht, als ob diese für ewige
Zukunft genügenden Schutz gewährte. Brauche ich «och zu erwähnen, das;
deutsche Landeskinder auch außerhalb dieses riesigen Kreises, in Siebenbürgen,
Groß- und Kleinrußland, in beiden Amerika, kurz überall, wo überhaupt nur
Menschen leben können, in achtunggebietender, zugleich aber auch ausgiebigen
Schutz rechtfertigender Anzahl zerstreut sind, und brauche ich, als Deutscher zu
Deutschen sprechend, erst gründlich zu beweisen, daß wir keinen von diesen auf¬
geben dürfen?

Welches gesetzlich erlaubte Mittel könnte aber die Rettung und Erhaltung
dieser vom Schicksale der Entdeutschuug bedrohten so gründlich und doch so
schnell, so energisch und doch so sanft, so leicht und — so billig bewerkstelligen
wie die Gewährung des deutschen Schulunterrichtes? Gerade die fremd¬
sprachige» Schulen, in welche die Kinder von Tausenden unsrer deutschen Aus¬
wanderer geschickt werden mußten, haben in Amerika und anderswo die er¬
schreckend schnelle Entfremdung der zweiten Generation herbeigeführt, sodaß der
Sohn eines deutschen Ansiedlers sich schon nicht mehr als Deutscher, sondern
als Angloamerikaner fühlte und gelten wollte. Millionen sind uns dadurch
verloren gegangen und andern zugewachsen. Es war die höchste Zeit, daß wir
anfingen, uns dieses Nachteiles bewußt zu werden und dieselbe Erfahrung einmal
zu Gunsten unsers Volkstumes zu verwerten. Hierzu wurde in Österreich, und
zwar im deutschen Teile dieses Landes, der erste bewußte Schritt gethan durch
die Gründung des „Deutschen Schulvereins."

Ich sage, der erste Schritt, und bin mir dabei wohl bewußt, daß schon
früher gerade auch in Österreich Kaiser Josef II. die deutsche Sprache ge¬
waltsam und überall zur Herrschaft bringen wollte, daß der ganze Nordosten
Deutschlands nichts andres als germanisirtes Land ist, von ähnlichen Wand¬
lungen bei andern Völkern ganz zu schweigen. Solche Thatsachen vollzogen
sich aber entweder ganz unbewußt, als einfache Folgen der Überlegenheit deutscher
Gesittung, oder sie wurden zwar von den Fürsten mit vollem Bewußtsein ins
Werk gesetzt, gingen aber aus bloßen Verwaltungsrttckstchten hervor. Eine
volkstümliche, von den Regierungen nicht nur unabhängige, sondern von ein¬
zelnen sogar angefeindete Bewegung, welche aus der reinsten Schwärmerei für
den Wert, die Schönheit und Würde des angebornen Volkstumes hervorgegangen
ist und schließlich wegen ihrer hohen politischen Bedeutsamkeit auch die kühleren
Stammesgenossen fortgerissen hat, ist erst durch die Gründung dieses ersten
Schulvereines entstanden, und gerade Österreich bot die Bedingungen für
eine begeisterte Teilnahme sämtlicher deutschen Volkskreise, so weit sie nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/511>, abgerufen am 02.10.2024.