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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Die Schulvereine.

In ihnen hat die Liebe zum eignen Volkstum und die Schwärmerei für
dessen wichtigstes Kennzeichen, die Sprache, den lebhaftesten Ausdruck gefunden.
Nachdem man erkannt hatte, daß die immer ungeheuerlicher sich dehnenden
Staatengcbilde der Neuzeit mit Riesenschritten sich einer Grenze nähern, bei der
nicht mehr Politik gegen Politik, sondern Volk gegen Volk, Nasse gegen Rasse,
Kultur gegen Kultur zum Vernichtungskampfe bereit stehen würden, begann man
die wahrscheinlichen Streitkräfte des künftigen Völkerkriegcs nach Köpfen zu
zählen, und nahm hierbei nicht etwa politische Bündnisse von jetzt oder künftig
bestehenden Staaten, sondern die natürliche Scheidung durch die Sprache zum
Maßstabe. Nur sie schien zuverlässig auch für die Zukunft zu sein, während
die täglich wechselnde Gestaltung der politischen Karte Europas und ganz be¬
sonders die hauptsächlichste Ursache dieser Veränderungen, das Nationalitätsprinzip
innerhalb der noch nicht sprachlich geeinigten Staaten, die von Sprachkämpfen
entweder akut oder schon chronisch durchzuckt werden, für die obige Berechnung
keine dauernde Grundlage verhieß. War es da ein Wunder, daß eine allgemeine
Bewegung entstand, um die Zahl der eignen Volksgenossen straff bei einander
zu halten, Zersplitterungen vorzubeugen, sie vielleicht sogar durch künstliche
Adoptionen und Zuchten zu vermehren?

Eine der merkwürdigsten Erscheinungen, die schon viele Jahrhunderte dauert,
ist es nun, daß von den Völkern, die bei einem solchen Wettstreite als
kämpfende Gegner in Betracht kommen können, kein einziges der Ehre so vieler
Feinde sich rühmen darf, wie das deutsche. Ob diese Thatsache rein aus der mitt¬
leren Lage unsers Volkes erklärt werden muß, die es mit sich brachte, daß Gesamt¬
deutschland von allen europäischen Staaten die meisten Staaten und die meisten
Völkerschaften zu Grenznachbarn hat, oder ob nicht vielleicht doch die deutsche
Kultur oder wenigstens die Art und Weise der Übertragung derselben ein herbes,
unverdauliches Etwas in sich birgt, das auf die Dauer dem selbständig gewordenen
Kostgänger nicht behagen kumm, diese Frage will ich hier nicht untersuchen, ob¬
wohl sie des Fleißes und der Denkkraft des größten Forschers wert wäre. Die
Thatsache ist aber da und zeigt sich nicht nur in den Vorländern, die sich um
das jetzige deutsche Reich lagern, besonders in Österreich, sondern auch in Deutsch¬
land selbst, in den polnischen Landesteilen und selbst bei einem so unbedeutenden
Völkchen, wie es die Wenden sind. Faßt man den Begriff der germanischen
Länder noch weiter, so erblicken wir sogar dieselben heftigen Kämpfe auch inner¬
halb der deutschen Völkerfamilie, nicht nur zwischen Vetter und Vetter, nämlich
Deutschland und Dänemark, sonder" auch zwischen leibhaftigen Brüdern,
Schweden, Norwegen und Dänemark.

Gesetzt aber den Fall, die Allmutter Germania hätte ihre Kinder bloß
gegen die wirklichen äußern Feinde zu verteidigen, wie weit und schier unerme߬
lich dehnt sich auch da der Kampfplatz ausi Keine andre Mutter hat so viele
kräftige Söhne in fremdem Hause in Diensten, keiner werden sie so erbittert


Die Schulvereine.

In ihnen hat die Liebe zum eignen Volkstum und die Schwärmerei für
dessen wichtigstes Kennzeichen, die Sprache, den lebhaftesten Ausdruck gefunden.
Nachdem man erkannt hatte, daß die immer ungeheuerlicher sich dehnenden
Staatengcbilde der Neuzeit mit Riesenschritten sich einer Grenze nähern, bei der
nicht mehr Politik gegen Politik, sondern Volk gegen Volk, Nasse gegen Rasse,
Kultur gegen Kultur zum Vernichtungskampfe bereit stehen würden, begann man
die wahrscheinlichen Streitkräfte des künftigen Völkerkriegcs nach Köpfen zu
zählen, und nahm hierbei nicht etwa politische Bündnisse von jetzt oder künftig
bestehenden Staaten, sondern die natürliche Scheidung durch die Sprache zum
Maßstabe. Nur sie schien zuverlässig auch für die Zukunft zu sein, während
die täglich wechselnde Gestaltung der politischen Karte Europas und ganz be¬
sonders die hauptsächlichste Ursache dieser Veränderungen, das Nationalitätsprinzip
innerhalb der noch nicht sprachlich geeinigten Staaten, die von Sprachkämpfen
entweder akut oder schon chronisch durchzuckt werden, für die obige Berechnung
keine dauernde Grundlage verhieß. War es da ein Wunder, daß eine allgemeine
Bewegung entstand, um die Zahl der eignen Volksgenossen straff bei einander
zu halten, Zersplitterungen vorzubeugen, sie vielleicht sogar durch künstliche
Adoptionen und Zuchten zu vermehren?

Eine der merkwürdigsten Erscheinungen, die schon viele Jahrhunderte dauert,
ist es nun, daß von den Völkern, die bei einem solchen Wettstreite als
kämpfende Gegner in Betracht kommen können, kein einziges der Ehre so vieler
Feinde sich rühmen darf, wie das deutsche. Ob diese Thatsache rein aus der mitt¬
leren Lage unsers Volkes erklärt werden muß, die es mit sich brachte, daß Gesamt¬
deutschland von allen europäischen Staaten die meisten Staaten und die meisten
Völkerschaften zu Grenznachbarn hat, oder ob nicht vielleicht doch die deutsche
Kultur oder wenigstens die Art und Weise der Übertragung derselben ein herbes,
unverdauliches Etwas in sich birgt, das auf die Dauer dem selbständig gewordenen
Kostgänger nicht behagen kumm, diese Frage will ich hier nicht untersuchen, ob¬
wohl sie des Fleißes und der Denkkraft des größten Forschers wert wäre. Die
Thatsache ist aber da und zeigt sich nicht nur in den Vorländern, die sich um
das jetzige deutsche Reich lagern, besonders in Österreich, sondern auch in Deutsch¬
land selbst, in den polnischen Landesteilen und selbst bei einem so unbedeutenden
Völkchen, wie es die Wenden sind. Faßt man den Begriff der germanischen
Länder noch weiter, so erblicken wir sogar dieselben heftigen Kämpfe auch inner¬
halb der deutschen Völkerfamilie, nicht nur zwischen Vetter und Vetter, nämlich
Deutschland und Dänemark, sonder» auch zwischen leibhaftigen Brüdern,
Schweden, Norwegen und Dänemark.

Gesetzt aber den Fall, die Allmutter Germania hätte ihre Kinder bloß
gegen die wirklichen äußern Feinde zu verteidigen, wie weit und schier unerme߬
lich dehnt sich auch da der Kampfplatz ausi Keine andre Mutter hat so viele
kräftige Söhne in fremdem Hause in Diensten, keiner werden sie so erbittert


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[0510] Die Schulvereine. In ihnen hat die Liebe zum eignen Volkstum und die Schwärmerei für dessen wichtigstes Kennzeichen, die Sprache, den lebhaftesten Ausdruck gefunden. Nachdem man erkannt hatte, daß die immer ungeheuerlicher sich dehnenden Staatengcbilde der Neuzeit mit Riesenschritten sich einer Grenze nähern, bei der nicht mehr Politik gegen Politik, sondern Volk gegen Volk, Nasse gegen Rasse, Kultur gegen Kultur zum Vernichtungskampfe bereit stehen würden, begann man die wahrscheinlichen Streitkräfte des künftigen Völkerkriegcs nach Köpfen zu zählen, und nahm hierbei nicht etwa politische Bündnisse von jetzt oder künftig bestehenden Staaten, sondern die natürliche Scheidung durch die Sprache zum Maßstabe. Nur sie schien zuverlässig auch für die Zukunft zu sein, während die täglich wechselnde Gestaltung der politischen Karte Europas und ganz be¬ sonders die hauptsächlichste Ursache dieser Veränderungen, das Nationalitätsprinzip innerhalb der noch nicht sprachlich geeinigten Staaten, die von Sprachkämpfen entweder akut oder schon chronisch durchzuckt werden, für die obige Berechnung keine dauernde Grundlage verhieß. War es da ein Wunder, daß eine allgemeine Bewegung entstand, um die Zahl der eignen Volksgenossen straff bei einander zu halten, Zersplitterungen vorzubeugen, sie vielleicht sogar durch künstliche Adoptionen und Zuchten zu vermehren? Eine der merkwürdigsten Erscheinungen, die schon viele Jahrhunderte dauert, ist es nun, daß von den Völkern, die bei einem solchen Wettstreite als kämpfende Gegner in Betracht kommen können, kein einziges der Ehre so vieler Feinde sich rühmen darf, wie das deutsche. Ob diese Thatsache rein aus der mitt¬ leren Lage unsers Volkes erklärt werden muß, die es mit sich brachte, daß Gesamt¬ deutschland von allen europäischen Staaten die meisten Staaten und die meisten Völkerschaften zu Grenznachbarn hat, oder ob nicht vielleicht doch die deutsche Kultur oder wenigstens die Art und Weise der Übertragung derselben ein herbes, unverdauliches Etwas in sich birgt, das auf die Dauer dem selbständig gewordenen Kostgänger nicht behagen kumm, diese Frage will ich hier nicht untersuchen, ob¬ wohl sie des Fleißes und der Denkkraft des größten Forschers wert wäre. Die Thatsache ist aber da und zeigt sich nicht nur in den Vorländern, die sich um das jetzige deutsche Reich lagern, besonders in Österreich, sondern auch in Deutsch¬ land selbst, in den polnischen Landesteilen und selbst bei einem so unbedeutenden Völkchen, wie es die Wenden sind. Faßt man den Begriff der germanischen Länder noch weiter, so erblicken wir sogar dieselben heftigen Kämpfe auch inner¬ halb der deutschen Völkerfamilie, nicht nur zwischen Vetter und Vetter, nämlich Deutschland und Dänemark, sonder» auch zwischen leibhaftigen Brüdern, Schweden, Norwegen und Dänemark. Gesetzt aber den Fall, die Allmutter Germania hätte ihre Kinder bloß gegen die wirklichen äußern Feinde zu verteidigen, wie weit und schier unerme߬ lich dehnt sich auch da der Kampfplatz ausi Keine andre Mutter hat so viele kräftige Söhne in fremdem Hause in Diensten, keiner werden sie so erbittert

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/510>, abgerufen am 24.08.2024.