Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Entfernungen in der Geschichte.

Hunderte hindurch nicht mehr erreicht worden sind. 238 n. Chr. wird ganz
besonders hervorgehoben die Schnelligkeit eines reitenden Boten, der am vierten
Tage von Aquileja nach Rom die Nachricht von dem Ableben des Kaisers
Maximinus Thrax brachte. Der Weg ist vierundachtzig Meilen lang, das sind
mindestens ungewöhnliche Leistungen. In der Regel machte man wohl nicht
viel über sechs oder sieben Meilen am Tage; von Rom aus wurde Mailand
in elf, Verona in zehn, Brindisi in sieben Tagen erreicht. Heute fährt der
Courierzug von Rom nach Verona in sechzehn, nach Mailand in achtzehn Stunden,
d. h. mau legt die Strecke funfzehnmal schneller zurück, als die Römer es ver¬
mochten. Die Wege Rom-Paris in einunddreißig Tagen (heute neunundzwanzig
Stunden), Rom-^.uAustg. Vinäslioorum in fünfundzwanzig Tagen (heute zwei-
unddreißig Stunden) zeigen noch schärfer den Unterschied zwischen dem höchsten
Maße der Wegzeiten im Altertum und in der Zeit der Eisenbahnen.

Wir haben Cäsar genannt. Dieser große Mann erinnert an Alpenüber¬
gänge und Rheinüberschreitungen, an eilige Märsche in Gallien und Spanien,
er erinnert daran, daß ein weiter Raum, auf dem sich geschichtliche Ereignisse
abspielen, immer über alles Maß den Ruhm der Männer erhöht hat, die darin
einen leitenden Anteil nahmen. Vorzüglich gilt dies von der Kriegsgeschichte.
Der Zug Alexanders des Großen nach Indien, der Marsch Hannibals aus
Spanien nach Italien sind klassische Beispiele. Aus einem an großen Leistungen
reichen Leben wie dem Friedrich Barbarossas, strahlt doch der Kreuzzug mit
unvergänglichstem Glänze, ebenso wie aus Napoleons mannichfaltigen Kriegs¬
zügen der ägyptische Feldzug vielen als der anziehendste entgegentritt. Ein so
ruhiger Beurteiler der Menschen und Dinge wie Ranke nennt den Marsch
Hannibals über die Alpen "seine große Handlung in der Geschichte." Worin
liegt das Große? Die Alpen sind vorher wegsam gewesen. Hannibal erkundigte
sich bei den Abgesandten eisalpinischer Stämme darnach und erhielt ermutigende
Antwort. Den Mons Poeninus krönte ein keltischer Tempel, Zeugnis genng
für älteren Verkehr über ihn. Ob Hannibal den kleinen Se. Bernhard oder
den Monte Genevre überschritt, ob er nun das Thal der Jsere oder das der
Durance hinaufrückte, Bahnbrecher war er hier nicht. Das Jmvonirende und
in der That höchst Folgenreiche seiner That liegt in der militärischen Leistung
und dem, was politisch sich daran knüpfte. Von diesem Marsche Hannibals an
konnten Alpen und Pyrenäen kein Hindernis mehr sein, Italien, Gallien und
Spanien als eine politische Einheit aufzufassen. Der später" Vereinigung dieser
Länder als Provinzen des römischen Reiches hat Hannibal den Weg gebahnt.
Mag der kommerzielle Gesichtskreis einzelner Etrusker, Punier oder Griechen
über diese Gebirge hinaufgereicht haben, in den politischen hat Hannibal West¬
europa erst hereingezogen. Wer Wert auf sichere Daten legt, kann sagen:
Vom Jahre 218 v. Chr. an giebt es eine westeuropäische Geschichte die Be¬
schränkung der Geschichte auf das Mittelmeer hört auf, man rückt an die lange


Die Entfernungen in der Geschichte.

Hunderte hindurch nicht mehr erreicht worden sind. 238 n. Chr. wird ganz
besonders hervorgehoben die Schnelligkeit eines reitenden Boten, der am vierten
Tage von Aquileja nach Rom die Nachricht von dem Ableben des Kaisers
Maximinus Thrax brachte. Der Weg ist vierundachtzig Meilen lang, das sind
mindestens ungewöhnliche Leistungen. In der Regel machte man wohl nicht
viel über sechs oder sieben Meilen am Tage; von Rom aus wurde Mailand
in elf, Verona in zehn, Brindisi in sieben Tagen erreicht. Heute fährt der
Courierzug von Rom nach Verona in sechzehn, nach Mailand in achtzehn Stunden,
d. h. mau legt die Strecke funfzehnmal schneller zurück, als die Römer es ver¬
mochten. Die Wege Rom-Paris in einunddreißig Tagen (heute neunundzwanzig
Stunden), Rom-^.uAustg. Vinäslioorum in fünfundzwanzig Tagen (heute zwei-
unddreißig Stunden) zeigen noch schärfer den Unterschied zwischen dem höchsten
Maße der Wegzeiten im Altertum und in der Zeit der Eisenbahnen.

Wir haben Cäsar genannt. Dieser große Mann erinnert an Alpenüber¬
gänge und Rheinüberschreitungen, an eilige Märsche in Gallien und Spanien,
er erinnert daran, daß ein weiter Raum, auf dem sich geschichtliche Ereignisse
abspielen, immer über alles Maß den Ruhm der Männer erhöht hat, die darin
einen leitenden Anteil nahmen. Vorzüglich gilt dies von der Kriegsgeschichte.
Der Zug Alexanders des Großen nach Indien, der Marsch Hannibals aus
Spanien nach Italien sind klassische Beispiele. Aus einem an großen Leistungen
reichen Leben wie dem Friedrich Barbarossas, strahlt doch der Kreuzzug mit
unvergänglichstem Glänze, ebenso wie aus Napoleons mannichfaltigen Kriegs¬
zügen der ägyptische Feldzug vielen als der anziehendste entgegentritt. Ein so
ruhiger Beurteiler der Menschen und Dinge wie Ranke nennt den Marsch
Hannibals über die Alpen „seine große Handlung in der Geschichte." Worin
liegt das Große? Die Alpen sind vorher wegsam gewesen. Hannibal erkundigte
sich bei den Abgesandten eisalpinischer Stämme darnach und erhielt ermutigende
Antwort. Den Mons Poeninus krönte ein keltischer Tempel, Zeugnis genng
für älteren Verkehr über ihn. Ob Hannibal den kleinen Se. Bernhard oder
den Monte Genevre überschritt, ob er nun das Thal der Jsere oder das der
Durance hinaufrückte, Bahnbrecher war er hier nicht. Das Jmvonirende und
in der That höchst Folgenreiche seiner That liegt in der militärischen Leistung
und dem, was politisch sich daran knüpfte. Von diesem Marsche Hannibals an
konnten Alpen und Pyrenäen kein Hindernis mehr sein, Italien, Gallien und
Spanien als eine politische Einheit aufzufassen. Der später» Vereinigung dieser
Länder als Provinzen des römischen Reiches hat Hannibal den Weg gebahnt.
Mag der kommerzielle Gesichtskreis einzelner Etrusker, Punier oder Griechen
über diese Gebirge hinaufgereicht haben, in den politischen hat Hannibal West¬
europa erst hereingezogen. Wer Wert auf sichere Daten legt, kann sagen:
Vom Jahre 218 v. Chr. an giebt es eine westeuropäische Geschichte die Be¬
schränkung der Geschichte auf das Mittelmeer hört auf, man rückt an die lange


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0507" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/289630"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Entfernungen in der Geschichte.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1695" prev="#ID_1694"> Hunderte hindurch nicht mehr erreicht worden sind. 238 n. Chr. wird ganz<lb/>
besonders hervorgehoben die Schnelligkeit eines reitenden Boten, der am vierten<lb/>
Tage von Aquileja nach Rom die Nachricht von dem Ableben des Kaisers<lb/>
Maximinus Thrax brachte. Der Weg ist vierundachtzig Meilen lang, das sind<lb/>
mindestens ungewöhnliche Leistungen. In der Regel machte man wohl nicht<lb/>
viel über sechs oder sieben Meilen am Tage; von Rom aus wurde Mailand<lb/>
in elf, Verona in zehn, Brindisi in sieben Tagen erreicht. Heute fährt der<lb/>
Courierzug von Rom nach Verona in sechzehn, nach Mailand in achtzehn Stunden,<lb/>
d. h. mau legt die Strecke funfzehnmal schneller zurück, als die Römer es ver¬<lb/>
mochten. Die Wege Rom-Paris in einunddreißig Tagen (heute neunundzwanzig<lb/>
Stunden), Rom-^.uAustg. Vinäslioorum in fünfundzwanzig Tagen (heute zwei-<lb/>
unddreißig Stunden) zeigen noch schärfer den Unterschied zwischen dem höchsten<lb/>
Maße der Wegzeiten im Altertum und in der Zeit der Eisenbahnen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1696" next="#ID_1697"> Wir haben Cäsar genannt. Dieser große Mann erinnert an Alpenüber¬<lb/>
gänge und Rheinüberschreitungen, an eilige Märsche in Gallien und Spanien,<lb/>
er erinnert daran, daß ein weiter Raum, auf dem sich geschichtliche Ereignisse<lb/>
abspielen, immer über alles Maß den Ruhm der Männer erhöht hat, die darin<lb/>
einen leitenden Anteil nahmen. Vorzüglich gilt dies von der Kriegsgeschichte.<lb/>
Der Zug Alexanders des Großen nach Indien, der Marsch Hannibals aus<lb/>
Spanien nach Italien sind klassische Beispiele. Aus einem an großen Leistungen<lb/>
reichen Leben wie dem Friedrich Barbarossas, strahlt doch der Kreuzzug mit<lb/>
unvergänglichstem Glänze, ebenso wie aus Napoleons mannichfaltigen Kriegs¬<lb/>
zügen der ägyptische Feldzug vielen als der anziehendste entgegentritt. Ein so<lb/>
ruhiger Beurteiler der Menschen und Dinge wie Ranke nennt den Marsch<lb/>
Hannibals über die Alpen &#x201E;seine große Handlung in der Geschichte." Worin<lb/>
liegt das Große? Die Alpen sind vorher wegsam gewesen. Hannibal erkundigte<lb/>
sich bei den Abgesandten eisalpinischer Stämme darnach und erhielt ermutigende<lb/>
Antwort. Den Mons Poeninus krönte ein keltischer Tempel, Zeugnis genng<lb/>
für älteren Verkehr über ihn. Ob Hannibal den kleinen Se. Bernhard oder<lb/>
den Monte Genevre überschritt, ob er nun das Thal der Jsere oder das der<lb/>
Durance hinaufrückte, Bahnbrecher war er hier nicht. Das Jmvonirende und<lb/>
in der That höchst Folgenreiche seiner That liegt in der militärischen Leistung<lb/>
und dem, was politisch sich daran knüpfte. Von diesem Marsche Hannibals an<lb/>
konnten Alpen und Pyrenäen kein Hindernis mehr sein, Italien, Gallien und<lb/>
Spanien als eine politische Einheit aufzufassen. Der später» Vereinigung dieser<lb/>
Länder als Provinzen des römischen Reiches hat Hannibal den Weg gebahnt.<lb/>
Mag der kommerzielle Gesichtskreis einzelner Etrusker, Punier oder Griechen<lb/>
über diese Gebirge hinaufgereicht haben, in den politischen hat Hannibal West¬<lb/>
europa erst hereingezogen. Wer Wert auf sichere Daten legt, kann sagen:<lb/>
Vom Jahre 218 v. Chr. an giebt es eine westeuropäische Geschichte die Be¬<lb/>
schränkung der Geschichte auf das Mittelmeer hört auf, man rückt an die lange</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0507] Die Entfernungen in der Geschichte. Hunderte hindurch nicht mehr erreicht worden sind. 238 n. Chr. wird ganz besonders hervorgehoben die Schnelligkeit eines reitenden Boten, der am vierten Tage von Aquileja nach Rom die Nachricht von dem Ableben des Kaisers Maximinus Thrax brachte. Der Weg ist vierundachtzig Meilen lang, das sind mindestens ungewöhnliche Leistungen. In der Regel machte man wohl nicht viel über sechs oder sieben Meilen am Tage; von Rom aus wurde Mailand in elf, Verona in zehn, Brindisi in sieben Tagen erreicht. Heute fährt der Courierzug von Rom nach Verona in sechzehn, nach Mailand in achtzehn Stunden, d. h. mau legt die Strecke funfzehnmal schneller zurück, als die Römer es ver¬ mochten. Die Wege Rom-Paris in einunddreißig Tagen (heute neunundzwanzig Stunden), Rom-^.uAustg. Vinäslioorum in fünfundzwanzig Tagen (heute zwei- unddreißig Stunden) zeigen noch schärfer den Unterschied zwischen dem höchsten Maße der Wegzeiten im Altertum und in der Zeit der Eisenbahnen. Wir haben Cäsar genannt. Dieser große Mann erinnert an Alpenüber¬ gänge und Rheinüberschreitungen, an eilige Märsche in Gallien und Spanien, er erinnert daran, daß ein weiter Raum, auf dem sich geschichtliche Ereignisse abspielen, immer über alles Maß den Ruhm der Männer erhöht hat, die darin einen leitenden Anteil nahmen. Vorzüglich gilt dies von der Kriegsgeschichte. Der Zug Alexanders des Großen nach Indien, der Marsch Hannibals aus Spanien nach Italien sind klassische Beispiele. Aus einem an großen Leistungen reichen Leben wie dem Friedrich Barbarossas, strahlt doch der Kreuzzug mit unvergänglichstem Glänze, ebenso wie aus Napoleons mannichfaltigen Kriegs¬ zügen der ägyptische Feldzug vielen als der anziehendste entgegentritt. Ein so ruhiger Beurteiler der Menschen und Dinge wie Ranke nennt den Marsch Hannibals über die Alpen „seine große Handlung in der Geschichte." Worin liegt das Große? Die Alpen sind vorher wegsam gewesen. Hannibal erkundigte sich bei den Abgesandten eisalpinischer Stämme darnach und erhielt ermutigende Antwort. Den Mons Poeninus krönte ein keltischer Tempel, Zeugnis genng für älteren Verkehr über ihn. Ob Hannibal den kleinen Se. Bernhard oder den Monte Genevre überschritt, ob er nun das Thal der Jsere oder das der Durance hinaufrückte, Bahnbrecher war er hier nicht. Das Jmvonirende und in der That höchst Folgenreiche seiner That liegt in der militärischen Leistung und dem, was politisch sich daran knüpfte. Von diesem Marsche Hannibals an konnten Alpen und Pyrenäen kein Hindernis mehr sein, Italien, Gallien und Spanien als eine politische Einheit aufzufassen. Der später» Vereinigung dieser Länder als Provinzen des römischen Reiches hat Hannibal den Weg gebahnt. Mag der kommerzielle Gesichtskreis einzelner Etrusker, Punier oder Griechen über diese Gebirge hinaufgereicht haben, in den politischen hat Hannibal West¬ europa erst hereingezogen. Wer Wert auf sichere Daten legt, kann sagen: Vom Jahre 218 v. Chr. an giebt es eine westeuropäische Geschichte die Be¬ schränkung der Geschichte auf das Mittelmeer hört auf, man rückt an die lange

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/507
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/507>, abgerufen am 24.08.2024.