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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Hochlandsgeschichten.

liebe Freier abgefertigt worden ist. Der Held ist hier auch ein Kunstgenie.
Hans hat in seiner Jugend nicht gut gethan; er wurde sogar in die Zwangs¬
arbeitsanstalt zu Andechs gesteckt, um nicht ganz verwahrlost zu werden. Das
Liserl aber weiß dem Buben Dank, weil er ihr einmal, als sie im Kindesalter
am See waren und sie ins Wasser fiel, das Leben gerettet hat. In Wahrheit
pflegen Kinder für dergleichen Erlebnisse kein Gedächtnis zu haben. Das Liserl
hat nun seinerseits einmal Gelegenheit, den Hans vor Verbrechen und Zucht¬
haus zu bewahren, und damit wären sie nun quitt, wenn sie nicht, so jung sie
auch sind, in einander "für Leben und Ewigkeit" verliebt wären. Hans bessert
sich in der That in der Zwangsarbeitsschule; König Ludwig I. muß komme",
sein Talent für bildende Kunst zu entdecken und ihm aus seiner höchsteignen
Privatschatulle die Mittel zur vollen Ausbildung in München zu geben. Nach
acht Jahren, indessen Hans an kein andres Mädel als an das Liserl und sie
an keinen andern Buben als an ihn gedacht hat, kommt er als fertiger, tüch¬
tiger Ciseleur ins Heimathdorf zurück, obwohl er doch wissen muß, daß die Er¬
innerung an seine Jugendstreiche ihm dort wenig Freundschaft gewinnen kann.
Und er kommt gerade dazu, als die Eltern Liserls, eigennützige, beschränkte
Krämerseelen, das Liserl, ohne sie auch nur zu fragen, mit dem dummen, aber
reichen Sohne eines Geschäftsfreundes öffentlich "versprechen." Hans benimmt
sich dabei sehr dumm. Von der Großmutter Liserls läßt er sich nasführen und
mit guten Worten zum Verzicht auf die Geliebte bewegen. Nun tritt wieder
ein Zuchthäusler in Aktion u. s. w. Schließlich kriegen sie sich doch noch, der
Hans und das Liserl.

Wenn Maximilian Schmidt auf den Titel seines Buches die Bemerkung
geschrieben hätte: "Erzählung für die reifere Jugend," so hätten wir vielleicht
den richtigen Gesichtspunkt für die Beurteilung derselben finden können; wir
hätten schließlich zugestanden, daß es eine nicht unpassende Jugendlektüre sei.
Für ältere Leser ist sie aber doch gar zu simpel.

Ganghofer hat in seinem "Unfried," dem ersten Dorfroman, den er ge¬
schrieben, einen tüchtigen Schritt vorwärts gemacht. Läuft auch die Erzählung
fatalerweise wieder einmal in eine Kriminalgeschichte aus, so ist sie doch zum
größern Teile ein wahres Charakterdrama. Es stehen da Menschen in kräftiger
Leiblichkeit, in scharfer Individualisirung überzeugungsvoll und liebenswert,
jeder in seiner Art, vor unsrer Phantasie, sie fesseln uus persönlich, nicht bloß
durch die Handlung. Darin liegt der große künstlerische Wert der bedeutenderen
ersten Hälfte des Buches. Dabei ist die Komposition klar, übersichtlich, fein
berechnet, Schritt für Schritt wohl abgewogen, einzelne Szenen sind schon
pantomimisch von großer Beredsamkeit, Knotenpunkte der Handlung. Freilich
läßt sich das Bedenken nicht unterdrücken, daß gerade der "Unfried," die schöne
Kuni -- eine Schwester oder mindestens Base der Sternsteinhosbäuerin von
Ludwig Anzengrnber --, nicht ganz widerspruchsfrei charakterisirt worden ist; es


Hochlandsgeschichten.

liebe Freier abgefertigt worden ist. Der Held ist hier auch ein Kunstgenie.
Hans hat in seiner Jugend nicht gut gethan; er wurde sogar in die Zwangs¬
arbeitsanstalt zu Andechs gesteckt, um nicht ganz verwahrlost zu werden. Das
Liserl aber weiß dem Buben Dank, weil er ihr einmal, als sie im Kindesalter
am See waren und sie ins Wasser fiel, das Leben gerettet hat. In Wahrheit
pflegen Kinder für dergleichen Erlebnisse kein Gedächtnis zu haben. Das Liserl
hat nun seinerseits einmal Gelegenheit, den Hans vor Verbrechen und Zucht¬
haus zu bewahren, und damit wären sie nun quitt, wenn sie nicht, so jung sie
auch sind, in einander „für Leben und Ewigkeit" verliebt wären. Hans bessert
sich in der That in der Zwangsarbeitsschule; König Ludwig I. muß komme»,
sein Talent für bildende Kunst zu entdecken und ihm aus seiner höchsteignen
Privatschatulle die Mittel zur vollen Ausbildung in München zu geben. Nach
acht Jahren, indessen Hans an kein andres Mädel als an das Liserl und sie
an keinen andern Buben als an ihn gedacht hat, kommt er als fertiger, tüch¬
tiger Ciseleur ins Heimathdorf zurück, obwohl er doch wissen muß, daß die Er¬
innerung an seine Jugendstreiche ihm dort wenig Freundschaft gewinnen kann.
Und er kommt gerade dazu, als die Eltern Liserls, eigennützige, beschränkte
Krämerseelen, das Liserl, ohne sie auch nur zu fragen, mit dem dummen, aber
reichen Sohne eines Geschäftsfreundes öffentlich „versprechen." Hans benimmt
sich dabei sehr dumm. Von der Großmutter Liserls läßt er sich nasführen und
mit guten Worten zum Verzicht auf die Geliebte bewegen. Nun tritt wieder
ein Zuchthäusler in Aktion u. s. w. Schließlich kriegen sie sich doch noch, der
Hans und das Liserl.

Wenn Maximilian Schmidt auf den Titel seines Buches die Bemerkung
geschrieben hätte: „Erzählung für die reifere Jugend," so hätten wir vielleicht
den richtigen Gesichtspunkt für die Beurteilung derselben finden können; wir
hätten schließlich zugestanden, daß es eine nicht unpassende Jugendlektüre sei.
Für ältere Leser ist sie aber doch gar zu simpel.

Ganghofer hat in seinem „Unfried," dem ersten Dorfroman, den er ge¬
schrieben, einen tüchtigen Schritt vorwärts gemacht. Läuft auch die Erzählung
fatalerweise wieder einmal in eine Kriminalgeschichte aus, so ist sie doch zum
größern Teile ein wahres Charakterdrama. Es stehen da Menschen in kräftiger
Leiblichkeit, in scharfer Individualisirung überzeugungsvoll und liebenswert,
jeder in seiner Art, vor unsrer Phantasie, sie fesseln uus persönlich, nicht bloß
durch die Handlung. Darin liegt der große künstlerische Wert der bedeutenderen
ersten Hälfte des Buches. Dabei ist die Komposition klar, übersichtlich, fein
berechnet, Schritt für Schritt wohl abgewogen, einzelne Szenen sind schon
pantomimisch von großer Beredsamkeit, Knotenpunkte der Handlung. Freilich
läßt sich das Bedenken nicht unterdrücken, daß gerade der „Unfried," die schöne
Kuni — eine Schwester oder mindestens Base der Sternsteinhosbäuerin von
Ludwig Anzengrnber —, nicht ganz widerspruchsfrei charakterisirt worden ist; es


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[0471] Hochlandsgeschichten. liebe Freier abgefertigt worden ist. Der Held ist hier auch ein Kunstgenie. Hans hat in seiner Jugend nicht gut gethan; er wurde sogar in die Zwangs¬ arbeitsanstalt zu Andechs gesteckt, um nicht ganz verwahrlost zu werden. Das Liserl aber weiß dem Buben Dank, weil er ihr einmal, als sie im Kindesalter am See waren und sie ins Wasser fiel, das Leben gerettet hat. In Wahrheit pflegen Kinder für dergleichen Erlebnisse kein Gedächtnis zu haben. Das Liserl hat nun seinerseits einmal Gelegenheit, den Hans vor Verbrechen und Zucht¬ haus zu bewahren, und damit wären sie nun quitt, wenn sie nicht, so jung sie auch sind, in einander „für Leben und Ewigkeit" verliebt wären. Hans bessert sich in der That in der Zwangsarbeitsschule; König Ludwig I. muß komme», sein Talent für bildende Kunst zu entdecken und ihm aus seiner höchsteignen Privatschatulle die Mittel zur vollen Ausbildung in München zu geben. Nach acht Jahren, indessen Hans an kein andres Mädel als an das Liserl und sie an keinen andern Buben als an ihn gedacht hat, kommt er als fertiger, tüch¬ tiger Ciseleur ins Heimathdorf zurück, obwohl er doch wissen muß, daß die Er¬ innerung an seine Jugendstreiche ihm dort wenig Freundschaft gewinnen kann. Und er kommt gerade dazu, als die Eltern Liserls, eigennützige, beschränkte Krämerseelen, das Liserl, ohne sie auch nur zu fragen, mit dem dummen, aber reichen Sohne eines Geschäftsfreundes öffentlich „versprechen." Hans benimmt sich dabei sehr dumm. Von der Großmutter Liserls läßt er sich nasführen und mit guten Worten zum Verzicht auf die Geliebte bewegen. Nun tritt wieder ein Zuchthäusler in Aktion u. s. w. Schließlich kriegen sie sich doch noch, der Hans und das Liserl. Wenn Maximilian Schmidt auf den Titel seines Buches die Bemerkung geschrieben hätte: „Erzählung für die reifere Jugend," so hätten wir vielleicht den richtigen Gesichtspunkt für die Beurteilung derselben finden können; wir hätten schließlich zugestanden, daß es eine nicht unpassende Jugendlektüre sei. Für ältere Leser ist sie aber doch gar zu simpel. Ganghofer hat in seinem „Unfried," dem ersten Dorfroman, den er ge¬ schrieben, einen tüchtigen Schritt vorwärts gemacht. Läuft auch die Erzählung fatalerweise wieder einmal in eine Kriminalgeschichte aus, so ist sie doch zum größern Teile ein wahres Charakterdrama. Es stehen da Menschen in kräftiger Leiblichkeit, in scharfer Individualisirung überzeugungsvoll und liebenswert, jeder in seiner Art, vor unsrer Phantasie, sie fesseln uus persönlich, nicht bloß durch die Handlung. Darin liegt der große künstlerische Wert der bedeutenderen ersten Hälfte des Buches. Dabei ist die Komposition klar, übersichtlich, fein berechnet, Schritt für Schritt wohl abgewogen, einzelne Szenen sind schon pantomimisch von großer Beredsamkeit, Knotenpunkte der Handlung. Freilich läßt sich das Bedenken nicht unterdrücken, daß gerade der „Unfried," die schöne Kuni — eine Schwester oder mindestens Base der Sternsteinhosbäuerin von Ludwig Anzengrnber —, nicht ganz widerspruchsfrei charakterisirt worden ist; es

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/471>, abgerufen am 24.08.2024.