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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Hochlandsgeschichten,

Behandlung, die sie durch ihre Stiefmutter erlitt, zwang sie, in fremde Dienste
zu treten. Auf der Alm lernt sie der Jäger Franz kennen und verliebt sich in
sie. Er ist aber eine Art von Dorfstreber, möchte bald Förster werden und
bedarf also einer bessern Frau, einer "gebildeten." Darum bemüht er sich, die
schöne, aber sonst ganz urwüchsige Dirne zu erziehen. Um sie im Zitherspielen
auszubilden, bestellt er seinen Freund Baptist, den Musikanten von Tegernsee,
ein musikalisches Dorfgenie, das alle Instrumente zu spielen versteht, wegen
seiner harmlosen Gutmütigkeit auch überall beliebt ist. Nun verliebt sich aber
Cilli in den Musiklehrer (wie jeder städtische Backfisch); den Franz hat sie
eigentlich nur als guten Freund um sich gelitten. Baptist geht seitdem kopf¬
hängerisch umher; seiner guten Seele widerstrebt der Verrat am Freunde.
Allein die Liebe ist doch stärker, und Cilli giebt ihm klare Zeichen ihrer Nei¬
gung. In dieser Not findet Baptists Mutter ein Auskunftsmittel. Dem Streber
Franz will sie weißmachen, daß die alte närrische Jungfer Urschi, die mit ihrer
im Dienste der hohen Herrschaften in München erworbenen Bildung auf dem
Lande großthut, eigentlich besser zu ihm passe, als die Magd Cilli. Und wirk¬
lich, Franz geht auf den Leim, läßt sich von der Jungfer herumkriegen, sagt
der Cilli ab und tritt sie förmlich dem Freunde Musikus ab. Damit hätte die
Geschichte ein Ende, ein allzu frühes freilich für einen starken Band, der ge¬
schrieben werden muß; sie hätte gerade nnr für eine heitere Blüette hingereicht.
Da setzt aber Schmidt mit einer andern Wilddieb- und sonstigen Kriminal¬
geschichte ein, die im Grunde nichts mit dem gegebenen Hauptmotiv zu thun
hat und auch den Musikanten in den Hintergrund drängt. Diese Geschichte
wiederzugeben, können wir füglich unterlassen, sie ist recht unerquicklich. Genug,
daß sie nicht dazu dient, den Charakter Baptists weiter zu entwickeln, vielmehr
wird Franz ihr wankelmütiger Held; er hat schnell bereut, sich von Cilli los¬
gesagt zu haben, besteht auf seine vermeintlichen Liebhaberrechte, und die andern
Beteiligten sind merkwürdigerweise zu schwach und zu feig, sich seiner zu erwehren.

Auch in der sentimentalen, an Handlung weit ärmern "Erzählung vom
Ammersee" spukt das Kriminal überall herum. Wie in der erster" die Ge¬
schichte Tegernsees ausführlich von den alten Zeiten her berichtet wird, so müssen
im "Liserl" die Legende der heiligen Elisabeth, die Geschichte des Klosters
Andechs, der Wartburgkrieg, der Sängerstreit mit Klingschor und ausführliche
Mitteilungen über die "Devotions"-, Stroh- und Holzindustrie der Gegend
die Lücken der Handlung füllen, was weder geschmackvoll noch besonders kurz¬
weilig ist. Auch hier stehen ideale Seelenreinheit und realistische Bauernrohheit
unvermittelt nebeneinander; auch hier ist das Mädchen eine große Schönheit,
fabelhaft treu und ebenso dumm. Auch hier werden uns Wandlungen von
Charakteren als glaubhaft zugemutet, die wir höchst unwahrscheinlich finden;
und natürlich finden sich auch hier die Liebenden, nachdem sie sich gegenseitig
alle möglichen Opfer gebracht haben, und nachdem der ungeliebte, aber zudring-


Hochlandsgeschichten,

Behandlung, die sie durch ihre Stiefmutter erlitt, zwang sie, in fremde Dienste
zu treten. Auf der Alm lernt sie der Jäger Franz kennen und verliebt sich in
sie. Er ist aber eine Art von Dorfstreber, möchte bald Förster werden und
bedarf also einer bessern Frau, einer „gebildeten." Darum bemüht er sich, die
schöne, aber sonst ganz urwüchsige Dirne zu erziehen. Um sie im Zitherspielen
auszubilden, bestellt er seinen Freund Baptist, den Musikanten von Tegernsee,
ein musikalisches Dorfgenie, das alle Instrumente zu spielen versteht, wegen
seiner harmlosen Gutmütigkeit auch überall beliebt ist. Nun verliebt sich aber
Cilli in den Musiklehrer (wie jeder städtische Backfisch); den Franz hat sie
eigentlich nur als guten Freund um sich gelitten. Baptist geht seitdem kopf¬
hängerisch umher; seiner guten Seele widerstrebt der Verrat am Freunde.
Allein die Liebe ist doch stärker, und Cilli giebt ihm klare Zeichen ihrer Nei¬
gung. In dieser Not findet Baptists Mutter ein Auskunftsmittel. Dem Streber
Franz will sie weißmachen, daß die alte närrische Jungfer Urschi, die mit ihrer
im Dienste der hohen Herrschaften in München erworbenen Bildung auf dem
Lande großthut, eigentlich besser zu ihm passe, als die Magd Cilli. Und wirk¬
lich, Franz geht auf den Leim, läßt sich von der Jungfer herumkriegen, sagt
der Cilli ab und tritt sie förmlich dem Freunde Musikus ab. Damit hätte die
Geschichte ein Ende, ein allzu frühes freilich für einen starken Band, der ge¬
schrieben werden muß; sie hätte gerade nnr für eine heitere Blüette hingereicht.
Da setzt aber Schmidt mit einer andern Wilddieb- und sonstigen Kriminal¬
geschichte ein, die im Grunde nichts mit dem gegebenen Hauptmotiv zu thun
hat und auch den Musikanten in den Hintergrund drängt. Diese Geschichte
wiederzugeben, können wir füglich unterlassen, sie ist recht unerquicklich. Genug,
daß sie nicht dazu dient, den Charakter Baptists weiter zu entwickeln, vielmehr
wird Franz ihr wankelmütiger Held; er hat schnell bereut, sich von Cilli los¬
gesagt zu haben, besteht auf seine vermeintlichen Liebhaberrechte, und die andern
Beteiligten sind merkwürdigerweise zu schwach und zu feig, sich seiner zu erwehren.

Auch in der sentimentalen, an Handlung weit ärmern „Erzählung vom
Ammersee" spukt das Kriminal überall herum. Wie in der erster» die Ge¬
schichte Tegernsees ausführlich von den alten Zeiten her berichtet wird, so müssen
im „Liserl" die Legende der heiligen Elisabeth, die Geschichte des Klosters
Andechs, der Wartburgkrieg, der Sängerstreit mit Klingschor und ausführliche
Mitteilungen über die „Devotions"-, Stroh- und Holzindustrie der Gegend
die Lücken der Handlung füllen, was weder geschmackvoll noch besonders kurz¬
weilig ist. Auch hier stehen ideale Seelenreinheit und realistische Bauernrohheit
unvermittelt nebeneinander; auch hier ist das Mädchen eine große Schönheit,
fabelhaft treu und ebenso dumm. Auch hier werden uns Wandlungen von
Charakteren als glaubhaft zugemutet, die wir höchst unwahrscheinlich finden;
und natürlich finden sich auch hier die Liebenden, nachdem sie sich gegenseitig
alle möglichen Opfer gebracht haben, und nachdem der ungeliebte, aber zudring-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/470>, abgerufen am 22.07.2024.