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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Niet5 Tyhne.

mit ihm herein, und sein Bart war ganz voller kleiner, blitzender Tropfen.
Dann würde er sagen -- ja was würde er wohl sagen?

Sie lächelte und sah an sich nieder.

Und noch immer war der Mond nicht zum Vorschein gekommen.

Sie trat wieder ans Fenster, blieb dort stehen und sah in das Dunkel
hinaus, bis kleine Funken und regenbogenfarbene Ringe vor ihren Augen tanzten.
Aber sie waren nur so unbestimmt da. Sie hätte es gern gesehen, wenn da
draußen ein Feuerwerk gewesen wären, Raketen, die in einem langen, langen
Streifen in die Luft aufstiegen und dann zu kleinen Würmern würden, die sich
in den Himmel einbohrten und mit einem Knall verschwänden, oder auch eine
große, große matte Kugel, die zitternd in die Höhe schwebte und dann langsam
in einem Regen von tauscndfarbigen Sternen herabsänke. Sieh, sieh doch!
so weich und rund wie ein Neigen, ganz wie ein Goldregen, der sich herab¬
neigt. Lebt wohl! Lebt wohl! Das waren die letzten. Du großer Gott, daß
er auch nicht kam! Und sie wollte nicht spielen.

In demselben Augenblicke wendete sie sich nach dem Klavier um, schlug
eine Oktave hart an und hielt die Tasten so lange fest, bis der Ton ganz er-
storben war, und das wiederholte sie wieder und wieder. Sie wollte nicht
spielen, nein, nicht spielen, aber tanzen! Einen Augenblick schloß sie ihre Augen
und brauste in Gedanken dahin durch einen unermeßlichen Saal von Rot, Weiß
und Gold. Wie herrlich wäre es, zu tanzen, warm zu werden und Champagner
zu trinken! Dann mußte sie daran denken, wie sie einmal, als sie noch in die
Schule ging, zusammen mit einer Freundin Champagner aus Sodawasser und
Eau de Cologne gemacht hatte, und wie sie beide so krank von dem Getränk
geworden waren.

Sie richtete sich auf und ging durchs Zimmer, instinktmäßig ihr Kleid nach
dem Tanze ordnend.

Ja wenn wir nun endlich vernünftig würden! sagte sie halblaut, nahm
ihre Arbeit und setzte sich in den großen Lehnstuhl bei der Lampe.

Aber sie konnte nicht fleißig sein, die Hände sanken ihr bald in den Schoß,
und ganz allmählich, mit kleinen Bewegungen, machte sie es sich in dem großen
Stuhle behaglich, sich darin zurückkehrend, das Kinn in die Hand gestützt und
das Kleid über die Füße gezogen.

Sie dachte neugierig darüber nach, ob die andern Frauen auch wohl so
wären wie sie, ob auch sie sich geirrt hätten und unglücklich gewesen wären
und dann einen andern geliebt hätten. Sie nahm die Damen von Fjordby
eine nach der andern durch, dann dachte sie plötzlich an Frau Boye; sie war
immer ein peinigendes Rätsel für sie gewesen, diese Frau, die sie haßte und von
der sie sich gedemütigt fühlte.

Erik hatte auch einmal gesagt, daß er rasend in Frau Boye verliebt ge¬
wesen sei.


Niet5 Tyhne.

mit ihm herein, und sein Bart war ganz voller kleiner, blitzender Tropfen.
Dann würde er sagen — ja was würde er wohl sagen?

Sie lächelte und sah an sich nieder.

Und noch immer war der Mond nicht zum Vorschein gekommen.

Sie trat wieder ans Fenster, blieb dort stehen und sah in das Dunkel
hinaus, bis kleine Funken und regenbogenfarbene Ringe vor ihren Augen tanzten.
Aber sie waren nur so unbestimmt da. Sie hätte es gern gesehen, wenn da
draußen ein Feuerwerk gewesen wären, Raketen, die in einem langen, langen
Streifen in die Luft aufstiegen und dann zu kleinen Würmern würden, die sich
in den Himmel einbohrten und mit einem Knall verschwänden, oder auch eine
große, große matte Kugel, die zitternd in die Höhe schwebte und dann langsam
in einem Regen von tauscndfarbigen Sternen herabsänke. Sieh, sieh doch!
so weich und rund wie ein Neigen, ganz wie ein Goldregen, der sich herab¬
neigt. Lebt wohl! Lebt wohl! Das waren die letzten. Du großer Gott, daß
er auch nicht kam! Und sie wollte nicht spielen.

In demselben Augenblicke wendete sie sich nach dem Klavier um, schlug
eine Oktave hart an und hielt die Tasten so lange fest, bis der Ton ganz er-
storben war, und das wiederholte sie wieder und wieder. Sie wollte nicht
spielen, nein, nicht spielen, aber tanzen! Einen Augenblick schloß sie ihre Augen
und brauste in Gedanken dahin durch einen unermeßlichen Saal von Rot, Weiß
und Gold. Wie herrlich wäre es, zu tanzen, warm zu werden und Champagner
zu trinken! Dann mußte sie daran denken, wie sie einmal, als sie noch in die
Schule ging, zusammen mit einer Freundin Champagner aus Sodawasser und
Eau de Cologne gemacht hatte, und wie sie beide so krank von dem Getränk
geworden waren.

Sie richtete sich auf und ging durchs Zimmer, instinktmäßig ihr Kleid nach
dem Tanze ordnend.

Ja wenn wir nun endlich vernünftig würden! sagte sie halblaut, nahm
ihre Arbeit und setzte sich in den großen Lehnstuhl bei der Lampe.

Aber sie konnte nicht fleißig sein, die Hände sanken ihr bald in den Schoß,
und ganz allmählich, mit kleinen Bewegungen, machte sie es sich in dem großen
Stuhle behaglich, sich darin zurückkehrend, das Kinn in die Hand gestützt und
das Kleid über die Füße gezogen.

Sie dachte neugierig darüber nach, ob die andern Frauen auch wohl so
wären wie sie, ob auch sie sich geirrt hätten und unglücklich gewesen wären
und dann einen andern geliebt hätten. Sie nahm die Damen von Fjordby
eine nach der andern durch, dann dachte sie plötzlich an Frau Boye; sie war
immer ein peinigendes Rätsel für sie gewesen, diese Frau, die sie haßte und von
der sie sich gedemütigt fühlte.

Erik hatte auch einmal gesagt, daß er rasend in Frau Boye verliebt ge¬
wesen sei.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/434>, abgerufen am 22.07.2024.