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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Ricks Lyhne.

dessen losem Futter, und ein Schneegestöber nach dem andern bedeckte die Erde
mit einer dichten Schicht. Späterhin trat Stille ein mit Hellem Frost, und
der Fjord lag unter einer dichten Eisdecke da> die sich lange hielt.

Gegen Ende des Monats, eines Abends nach dem Thee, saß Fennimore
allein in ihrem Wohnzimmer und wartete.

Es war sehr hell drinnen, das Klavier stand offen, die Lichter darauf waren
angezündet, und von den Lampen waren die Schleier abgenommen, sodaß die
Goldleisten und alles, was an den Wänden hing, deutlich und klar hervortrat.
Die Hyazinthen waren von den Fensterbrettern genommen und auf den Schreib¬
tisch gestellt und standen nun da, ein Haufe scheinender Farben, die Luft mit
ihrem reinen, starken Duft erfüllend. Im Ofen brannte das Feuer mit ge¬
dämpftem, vergnüglichen Summen.

Fennimore ging im Zimmer auf und ab, auf einem der dunkelroten Streifen
des Teppichs fast balancirend. Sie trug ein etwas altmodisches, schwarzes
seidnes Kleid, das schwer von den vielen Garnirungen hinter ihr herschleppte
und sich, so wie sie ging, von der einen Seite auf die andre legte.

Sie summte eine Melodie vor sich hin und hatte mit beiden Händen in
die mattgelbe Kette von großen Bernsteinperlen gefaßt, die sie um den Hals
trug, und wenn sie auf ihrem roten Streifen schwankte, hielt sie mit der Me¬
lodie inne, hielt sich aber noch immer an der Kette fest. Vielleicht war ihr
ihre Wanderung eine Vorbedeutung, daß, wenn sie so und so viele male im
Zimmer ans und abgegangen sei, ohne vom Streifen herunter zu kommen und
ohne die Kette loszulassen, dann Ricks kommen würde.

Er war am Vormittage dagewesen, als Erik fortfuhr, und war bis gegen
Abend geblieben, doch hatte er versprochen, wiederzukommen, sobald der Mond
aufginge und es hell genug wäre, um sich über den durch Waaken gefährdeten
Fjord zu wagen.

Fennimore war mit ihrem Orakel fertig, welcher Art auch das Ergebnis
geworden sein mochte, und trat nun ans Fenster.

Es sah gar nicht aus, als wenn der Mond heute Abend noch durch¬
kommen würde, so schwarz war der Himmel, und es war noch viel dunkler da
draußen auf dem graublauen Eise, als hier am Lande, wo der Weiße Schnee
lag. Es war wohl das Vernünftigste, wenn er wegblieb. Und sie setzte sich
mit einem resignirten Seufzer ans Klavier, stand aber wieder auf, um nach
der Stutzuhr zu sehen. Dann kehrte sie zurück und setzte entschlossen ein großes,
dickes Buch mit Noten vor sich hin, aber sie spielte doch nicht, sie blätterte wie
geistesabwesend in dem Buche und verfiel in Gedanken. Wenn er nun doch jetzt
drüben an dem andern Ufer stünde und seine Schlittschuhe anschnallte, und dann
in wenigen Minuten hier wäre! Sie sah ihn so deutlich vor sich, er atmete
ein wenig schwer nach dem schnellen Lauf und blinzelte mit den Augen bei
dem hellen Licht hier drinnen nach all der Dunkelheit. Es kam so eine Kälte


Grenzboten III. 1388. 54
Ricks Lyhne.

dessen losem Futter, und ein Schneegestöber nach dem andern bedeckte die Erde
mit einer dichten Schicht. Späterhin trat Stille ein mit Hellem Frost, und
der Fjord lag unter einer dichten Eisdecke da> die sich lange hielt.

Gegen Ende des Monats, eines Abends nach dem Thee, saß Fennimore
allein in ihrem Wohnzimmer und wartete.

Es war sehr hell drinnen, das Klavier stand offen, die Lichter darauf waren
angezündet, und von den Lampen waren die Schleier abgenommen, sodaß die
Goldleisten und alles, was an den Wänden hing, deutlich und klar hervortrat.
Die Hyazinthen waren von den Fensterbrettern genommen und auf den Schreib¬
tisch gestellt und standen nun da, ein Haufe scheinender Farben, die Luft mit
ihrem reinen, starken Duft erfüllend. Im Ofen brannte das Feuer mit ge¬
dämpftem, vergnüglichen Summen.

Fennimore ging im Zimmer auf und ab, auf einem der dunkelroten Streifen
des Teppichs fast balancirend. Sie trug ein etwas altmodisches, schwarzes
seidnes Kleid, das schwer von den vielen Garnirungen hinter ihr herschleppte
und sich, so wie sie ging, von der einen Seite auf die andre legte.

Sie summte eine Melodie vor sich hin und hatte mit beiden Händen in
die mattgelbe Kette von großen Bernsteinperlen gefaßt, die sie um den Hals
trug, und wenn sie auf ihrem roten Streifen schwankte, hielt sie mit der Me¬
lodie inne, hielt sich aber noch immer an der Kette fest. Vielleicht war ihr
ihre Wanderung eine Vorbedeutung, daß, wenn sie so und so viele male im
Zimmer ans und abgegangen sei, ohne vom Streifen herunter zu kommen und
ohne die Kette loszulassen, dann Ricks kommen würde.

Er war am Vormittage dagewesen, als Erik fortfuhr, und war bis gegen
Abend geblieben, doch hatte er versprochen, wiederzukommen, sobald der Mond
aufginge und es hell genug wäre, um sich über den durch Waaken gefährdeten
Fjord zu wagen.

Fennimore war mit ihrem Orakel fertig, welcher Art auch das Ergebnis
geworden sein mochte, und trat nun ans Fenster.

Es sah gar nicht aus, als wenn der Mond heute Abend noch durch¬
kommen würde, so schwarz war der Himmel, und es war noch viel dunkler da
draußen auf dem graublauen Eise, als hier am Lande, wo der Weiße Schnee
lag. Es war wohl das Vernünftigste, wenn er wegblieb. Und sie setzte sich
mit einem resignirten Seufzer ans Klavier, stand aber wieder auf, um nach
der Stutzuhr zu sehen. Dann kehrte sie zurück und setzte entschlossen ein großes,
dickes Buch mit Noten vor sich hin, aber sie spielte doch nicht, sie blätterte wie
geistesabwesend in dem Buche und verfiel in Gedanken. Wenn er nun doch jetzt
drüben an dem andern Ufer stünde und seine Schlittschuhe anschnallte, und dann
in wenigen Minuten hier wäre! Sie sah ihn so deutlich vor sich, er atmete
ein wenig schwer nach dem schnellen Lauf und blinzelte mit den Augen bei
dem hellen Licht hier drinnen nach all der Dunkelheit. Es kam so eine Kälte


Grenzboten III. 1388. 54
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/433>, abgerufen am 24.08.2024.