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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Zur Geschichte der gelehrten Kunstkritik.

war und teilweise in sehr handgreiflicher Weise, nämlich durch Verbrennen und
Zerschlagen der kirchlichen Bildwerke, geführt wurde, bemächtigte sich natürlich
auch die Streittheologie dieses Gebietes, und sowohl zwischen Protestanten und
Katholiken als auch innerhalb der protestantischen Kreise selbst wurde so manche
Disputation lebhaftester Art darüber ausgefochten. Bei dieser Gelegenheit nahm
der Erzbischof von Mailand Federigo Borromäo Veranlassung, in seinem 1648
erschienenen Buche: I>e xiowm saers. die Maler zur richtigen und schicklichen
Darstellung der heiligen Personen und Vorgänge anzuleiten. Am Schlüsse des
Jahrhunderts dann, als der Naturalismus der Neapolitaner Schule in Italien
wie in Holland und Deutschland sich in höchst unerquicklicher Verwilderung
auflebte und die künstlerische Darstellung der heiligen Dinge noch weit über
Rembrandts nach theologischen Urteil "plebejische" Auffassung sich hinauswagte,
bildete sich ein ganz eigner Litteraturzweig über die Irrtümer und Fehler der Maler,
"so sie in Entwerfung der biblischen Geschichten zu begehen pflegen." Man glaubte
die heilige Schrift gegen die Künstler in Schutz nehmen zu müssen, wagte sich
aber fast niemals aus dem Nahmen einer rein theoretisch-litterarischen Er¬
örterung heraus. Einer der ersten unter diesen Kämpfern in Deutschland war
Johann Friedrich Jünger, der am 6. April 1678 in Leipzig mit einem unga¬
rischen Theologen Johann Ferber as eng-nidus xioturis disputirte. Den Malern
wird hier namentlich vorgehalten, daß sie sich in heiligen wie profanen Dingen
aus schlechten Quellen unterrichteten oder gar aus Bosheit Fehler gegen besseres
Wissen begingen. Die Riesengestalt des heiligen Christoph, der Panzer des
heiligen Georg und andre ähnlich wichtige Dinge müssen für die Kritik herhalten;
neben vielem Lächerlichen, das nur vorgebracht wird, um die Gelehrsamkeit
und Belesenheit (die erstere deckte sich damals meist mit der letzteren) der Dis¬
putanten in Helles Licht zu setzen, finden wir aber doch auch gesunde Kritik:
so z. B. betreffs der sogenannten Lukasbilder, die in manchen Gegenden und
schlimmer noch in der Litteratur auch heute noch nicht völlig ausgerottet sind.

Derartige Fragen beschäftigten aber nicht nur die theologischen Fakultäten
von Leipzig, Wittenberg und Jena, auch im Auslande fand man an dem er¬
giebigen Diskussionsstoff Gefallen. In den Nsmoirss as rrsvoux erschien
1704/5 eine Reihe von Aufsätzen Lur Iss srrsurs ach xsintrss äg-us 1a rs-
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die 1772 auch ins Deutsche übersetzt wurden. Der Verfasser, Pelletier, trägt
kein Bedenken, in seiner Vorrede auch Naffael schwerer Vergehen wider die
heilige Schrift zu zeihen. In der Abgeschmacktheit und Anstößigkeit der nieder¬
ländischen Bilder des sechzehnten Jahrhunderts sieht er eine Hauptveranlassung
zu der Vilderstürmerei der Reformationszeit. Aber auch zu des Verfassers
Zeit staken die Kirchenbilder voller Irrtümer, die durchaus vermieden werden
müßten. Gleichwohl schimmert bei Pelletier bereits etwas von kritischem Billig¬
keitsgefühl durch, indem er sich selbst den Einwurf macht, daß der Künstler doch


Zur Geschichte der gelehrten Kunstkritik.

war und teilweise in sehr handgreiflicher Weise, nämlich durch Verbrennen und
Zerschlagen der kirchlichen Bildwerke, geführt wurde, bemächtigte sich natürlich
auch die Streittheologie dieses Gebietes, und sowohl zwischen Protestanten und
Katholiken als auch innerhalb der protestantischen Kreise selbst wurde so manche
Disputation lebhaftester Art darüber ausgefochten. Bei dieser Gelegenheit nahm
der Erzbischof von Mailand Federigo Borromäo Veranlassung, in seinem 1648
erschienenen Buche: I>e xiowm saers. die Maler zur richtigen und schicklichen
Darstellung der heiligen Personen und Vorgänge anzuleiten. Am Schlüsse des
Jahrhunderts dann, als der Naturalismus der Neapolitaner Schule in Italien
wie in Holland und Deutschland sich in höchst unerquicklicher Verwilderung
auflebte und die künstlerische Darstellung der heiligen Dinge noch weit über
Rembrandts nach theologischen Urteil „plebejische" Auffassung sich hinauswagte,
bildete sich ein ganz eigner Litteraturzweig über die Irrtümer und Fehler der Maler,
„so sie in Entwerfung der biblischen Geschichten zu begehen pflegen." Man glaubte
die heilige Schrift gegen die Künstler in Schutz nehmen zu müssen, wagte sich
aber fast niemals aus dem Nahmen einer rein theoretisch-litterarischen Er¬
örterung heraus. Einer der ersten unter diesen Kämpfern in Deutschland war
Johann Friedrich Jünger, der am 6. April 1678 in Leipzig mit einem unga¬
rischen Theologen Johann Ferber as eng-nidus xioturis disputirte. Den Malern
wird hier namentlich vorgehalten, daß sie sich in heiligen wie profanen Dingen
aus schlechten Quellen unterrichteten oder gar aus Bosheit Fehler gegen besseres
Wissen begingen. Die Riesengestalt des heiligen Christoph, der Panzer des
heiligen Georg und andre ähnlich wichtige Dinge müssen für die Kritik herhalten;
neben vielem Lächerlichen, das nur vorgebracht wird, um die Gelehrsamkeit
und Belesenheit (die erstere deckte sich damals meist mit der letzteren) der Dis¬
putanten in Helles Licht zu setzen, finden wir aber doch auch gesunde Kritik:
so z. B. betreffs der sogenannten Lukasbilder, die in manchen Gegenden und
schlimmer noch in der Litteratur auch heute noch nicht völlig ausgerottet sind.

Derartige Fragen beschäftigten aber nicht nur die theologischen Fakultäten
von Leipzig, Wittenberg und Jena, auch im Auslande fand man an dem er¬
giebigen Diskussionsstoff Gefallen. In den Nsmoirss as rrsvoux erschien
1704/5 eine Reihe von Aufsätzen Lur Iss srrsurs ach xsintrss äg-us 1a rs-
xrössntMcm as nos wüsteres se äg,n8 Iss sujsts dirs?: as 1'lliswirs Sö-orss,
die 1772 auch ins Deutsche übersetzt wurden. Der Verfasser, Pelletier, trägt
kein Bedenken, in seiner Vorrede auch Naffael schwerer Vergehen wider die
heilige Schrift zu zeihen. In der Abgeschmacktheit und Anstößigkeit der nieder¬
ländischen Bilder des sechzehnten Jahrhunderts sieht er eine Hauptveranlassung
zu der Vilderstürmerei der Reformationszeit. Aber auch zu des Verfassers
Zeit staken die Kirchenbilder voller Irrtümer, die durchaus vermieden werden
müßten. Gleichwohl schimmert bei Pelletier bereits etwas von kritischem Billig¬
keitsgefühl durch, indem er sich selbst den Einwurf macht, daß der Künstler doch


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[0424] Zur Geschichte der gelehrten Kunstkritik. war und teilweise in sehr handgreiflicher Weise, nämlich durch Verbrennen und Zerschlagen der kirchlichen Bildwerke, geführt wurde, bemächtigte sich natürlich auch die Streittheologie dieses Gebietes, und sowohl zwischen Protestanten und Katholiken als auch innerhalb der protestantischen Kreise selbst wurde so manche Disputation lebhaftester Art darüber ausgefochten. Bei dieser Gelegenheit nahm der Erzbischof von Mailand Federigo Borromäo Veranlassung, in seinem 1648 erschienenen Buche: I>e xiowm saers. die Maler zur richtigen und schicklichen Darstellung der heiligen Personen und Vorgänge anzuleiten. Am Schlüsse des Jahrhunderts dann, als der Naturalismus der Neapolitaner Schule in Italien wie in Holland und Deutschland sich in höchst unerquicklicher Verwilderung auflebte und die künstlerische Darstellung der heiligen Dinge noch weit über Rembrandts nach theologischen Urteil „plebejische" Auffassung sich hinauswagte, bildete sich ein ganz eigner Litteraturzweig über die Irrtümer und Fehler der Maler, „so sie in Entwerfung der biblischen Geschichten zu begehen pflegen." Man glaubte die heilige Schrift gegen die Künstler in Schutz nehmen zu müssen, wagte sich aber fast niemals aus dem Nahmen einer rein theoretisch-litterarischen Er¬ örterung heraus. Einer der ersten unter diesen Kämpfern in Deutschland war Johann Friedrich Jünger, der am 6. April 1678 in Leipzig mit einem unga¬ rischen Theologen Johann Ferber as eng-nidus xioturis disputirte. Den Malern wird hier namentlich vorgehalten, daß sie sich in heiligen wie profanen Dingen aus schlechten Quellen unterrichteten oder gar aus Bosheit Fehler gegen besseres Wissen begingen. Die Riesengestalt des heiligen Christoph, der Panzer des heiligen Georg und andre ähnlich wichtige Dinge müssen für die Kritik herhalten; neben vielem Lächerlichen, das nur vorgebracht wird, um die Gelehrsamkeit und Belesenheit (die erstere deckte sich damals meist mit der letzteren) der Dis¬ putanten in Helles Licht zu setzen, finden wir aber doch auch gesunde Kritik: so z. B. betreffs der sogenannten Lukasbilder, die in manchen Gegenden und schlimmer noch in der Litteratur auch heute noch nicht völlig ausgerottet sind. Derartige Fragen beschäftigten aber nicht nur die theologischen Fakultäten von Leipzig, Wittenberg und Jena, auch im Auslande fand man an dem er¬ giebigen Diskussionsstoff Gefallen. In den Nsmoirss as rrsvoux erschien 1704/5 eine Reihe von Aufsätzen Lur Iss srrsurs ach xsintrss äg-us 1a rs- xrössntMcm as nos wüsteres se äg,n8 Iss sujsts dirs?: as 1'lliswirs Sö-orss, die 1772 auch ins Deutsche übersetzt wurden. Der Verfasser, Pelletier, trägt kein Bedenken, in seiner Vorrede auch Naffael schwerer Vergehen wider die heilige Schrift zu zeihen. In der Abgeschmacktheit und Anstößigkeit der nieder¬ ländischen Bilder des sechzehnten Jahrhunderts sieht er eine Hauptveranlassung zu der Vilderstürmerei der Reformationszeit. Aber auch zu des Verfassers Zeit staken die Kirchenbilder voller Irrtümer, die durchaus vermieden werden müßten. Gleichwohl schimmert bei Pelletier bereits etwas von kritischem Billig¬ keitsgefühl durch, indem er sich selbst den Einwurf macht, daß der Künstler doch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/424>, abgerufen am 01.07.2024.