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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Zur Geschichte der gelehrten Kunstkritik.

Aber schon der venezianische Arzt Michael Angelo Biondo zeigt in seinem
1549 erschienenen "Werke von der hochedeln Malerei und ihrer Kunstübung,"
daß es ihm mehr um die Verherrlichung seiner schriftstellerischen Fähigkeiten
als um den Gegenstand zu thun ist, und neben aufdringlich schwülstiger Ge¬
lehrsamkeit nehmen wir bei ihm zum ersten male die Anmaßung wahr, die
Kunst ihren eignen Meistern zu erklären und den Malern ungebeten von seinem
Geiste vorzuschießen. Seine große Anmaßung, der nur seine Unkenntnis künstle¬
rischer Dinge einigermaßen gleichkommt, mögen die Schlußworte seines zweiten
Kapitels kennzeichnen: "Ich ermahne deshalb jeden, der ein guter Maler werden
will, daß er diese meine Erörterung und Unterredung von der Malerei öfter
lese und mit Eifer und Fleiß durchgehe, bis er diese Lehre wohlverstanden und
später auch gut in Übung gesetzt habe; auf solche Weise wird er leicht ein voll¬
kommener, ergötzlicher und lieblicher Maler werden, weil dieser Weg der kürzeste,
der nutzreichste und ferner der notwendigste ist." Was würden unsre Künstler
Wohl zu solcher Mahnung sagen? Ihre italienischen Kollegen des sechzehnten
Jahrhunderts -- schwiegen und kümmerten sich nicht weiter um den ästhetisirenden
Medicus. Und wir müssen ihnen dankbar dafür sein, denn man stelle sich
einmal vor, ein Maler folgte der nachstehenden Anweisung, die wir nur ihrer
Kürze wegen aus der Zahl der übrigen zehn durchaus auf gleicher Hohe stehenden
herausheben: "Ich möchte, daß das vierte Gemälde bedeckt sei mit Sonnen¬
strahlen, die meinen Blick gänzlich blenden, nur daß man ein wenig vom Firma¬
ment sehe und insbesondre die Erde, die wir bewohnen. Dann soll man auf
der einen Seite Bacchus erblicken, wie er von Ägypten mit seinen Weinreben
auszieht, auf der andern Seite stelle man dar, wie Narcissus vor Echo flieht
und wie er gewesen, als sie sich in ihn verliebte; die dritte Seite enthalte die
verliebten Tauben der Ägina, die vierte Seite, wie Thisbe beim Schein des
Mondes vor der Löwin flieht und wie Pyramus sich mit dem eignen Schwerte
den Tod giebt, dann, wie seine Geliebte, wie sie mit ihm sterben will, die
Brust mit demselben Eisen durchstößt. Schließlich wünsche ich, daß die Ge¬
schichte des Kadmus alle diese Dinge rings umgebe, aber in der Mitte soll
Merkur Trismegistos mit seiner Lehre dargestellt werden. Alles übrige von dem
Bilde soll mit schön grünem Buxbaum und heiligen Oliven geziert sein." (Über¬
setzung von A. Jlg; Wien. 1873.) Liest man dazu das Datum dieser Phan¬
tasien am Schluß des Werkchens: "Aus dem Häuschen des Biondo zur Zeit
der Erneuerung seiner Leiden," so ist man versucht, diese Leiden besonders im
Hirn des Verfassers zu vermuten. Und doch galt er seinen Zeitgenossen als
geistig normal, ja sogar als ein sehr bedeutender -- Arzt.

Diesem kunstschriftstellernden Arzte will ich noch einige Theologen des
siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts gegenüberstellen, die sich mit der
ganzen Würde und Wucht ihrer Gottesgelahrtheit wider die "Irrtümer derer
Maler" wandten. Als durch die Reformation der Bilderstreit wieder ausgelebt


Zur Geschichte der gelehrten Kunstkritik.

Aber schon der venezianische Arzt Michael Angelo Biondo zeigt in seinem
1549 erschienenen „Werke von der hochedeln Malerei und ihrer Kunstübung,"
daß es ihm mehr um die Verherrlichung seiner schriftstellerischen Fähigkeiten
als um den Gegenstand zu thun ist, und neben aufdringlich schwülstiger Ge¬
lehrsamkeit nehmen wir bei ihm zum ersten male die Anmaßung wahr, die
Kunst ihren eignen Meistern zu erklären und den Malern ungebeten von seinem
Geiste vorzuschießen. Seine große Anmaßung, der nur seine Unkenntnis künstle¬
rischer Dinge einigermaßen gleichkommt, mögen die Schlußworte seines zweiten
Kapitels kennzeichnen: „Ich ermahne deshalb jeden, der ein guter Maler werden
will, daß er diese meine Erörterung und Unterredung von der Malerei öfter
lese und mit Eifer und Fleiß durchgehe, bis er diese Lehre wohlverstanden und
später auch gut in Übung gesetzt habe; auf solche Weise wird er leicht ein voll¬
kommener, ergötzlicher und lieblicher Maler werden, weil dieser Weg der kürzeste,
der nutzreichste und ferner der notwendigste ist." Was würden unsre Künstler
Wohl zu solcher Mahnung sagen? Ihre italienischen Kollegen des sechzehnten
Jahrhunderts — schwiegen und kümmerten sich nicht weiter um den ästhetisirenden
Medicus. Und wir müssen ihnen dankbar dafür sein, denn man stelle sich
einmal vor, ein Maler folgte der nachstehenden Anweisung, die wir nur ihrer
Kürze wegen aus der Zahl der übrigen zehn durchaus auf gleicher Hohe stehenden
herausheben: „Ich möchte, daß das vierte Gemälde bedeckt sei mit Sonnen¬
strahlen, die meinen Blick gänzlich blenden, nur daß man ein wenig vom Firma¬
ment sehe und insbesondre die Erde, die wir bewohnen. Dann soll man auf
der einen Seite Bacchus erblicken, wie er von Ägypten mit seinen Weinreben
auszieht, auf der andern Seite stelle man dar, wie Narcissus vor Echo flieht
und wie er gewesen, als sie sich in ihn verliebte; die dritte Seite enthalte die
verliebten Tauben der Ägina, die vierte Seite, wie Thisbe beim Schein des
Mondes vor der Löwin flieht und wie Pyramus sich mit dem eignen Schwerte
den Tod giebt, dann, wie seine Geliebte, wie sie mit ihm sterben will, die
Brust mit demselben Eisen durchstößt. Schließlich wünsche ich, daß die Ge¬
schichte des Kadmus alle diese Dinge rings umgebe, aber in der Mitte soll
Merkur Trismegistos mit seiner Lehre dargestellt werden. Alles übrige von dem
Bilde soll mit schön grünem Buxbaum und heiligen Oliven geziert sein." (Über¬
setzung von A. Jlg; Wien. 1873.) Liest man dazu das Datum dieser Phan¬
tasien am Schluß des Werkchens: „Aus dem Häuschen des Biondo zur Zeit
der Erneuerung seiner Leiden," so ist man versucht, diese Leiden besonders im
Hirn des Verfassers zu vermuten. Und doch galt er seinen Zeitgenossen als
geistig normal, ja sogar als ein sehr bedeutender — Arzt.

Diesem kunstschriftstellernden Arzte will ich noch einige Theologen des
siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts gegenüberstellen, die sich mit der
ganzen Würde und Wucht ihrer Gottesgelahrtheit wider die „Irrtümer derer
Maler" wandten. Als durch die Reformation der Bilderstreit wieder ausgelebt


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[0423] Zur Geschichte der gelehrten Kunstkritik. Aber schon der venezianische Arzt Michael Angelo Biondo zeigt in seinem 1549 erschienenen „Werke von der hochedeln Malerei und ihrer Kunstübung," daß es ihm mehr um die Verherrlichung seiner schriftstellerischen Fähigkeiten als um den Gegenstand zu thun ist, und neben aufdringlich schwülstiger Ge¬ lehrsamkeit nehmen wir bei ihm zum ersten male die Anmaßung wahr, die Kunst ihren eignen Meistern zu erklären und den Malern ungebeten von seinem Geiste vorzuschießen. Seine große Anmaßung, der nur seine Unkenntnis künstle¬ rischer Dinge einigermaßen gleichkommt, mögen die Schlußworte seines zweiten Kapitels kennzeichnen: „Ich ermahne deshalb jeden, der ein guter Maler werden will, daß er diese meine Erörterung und Unterredung von der Malerei öfter lese und mit Eifer und Fleiß durchgehe, bis er diese Lehre wohlverstanden und später auch gut in Übung gesetzt habe; auf solche Weise wird er leicht ein voll¬ kommener, ergötzlicher und lieblicher Maler werden, weil dieser Weg der kürzeste, der nutzreichste und ferner der notwendigste ist." Was würden unsre Künstler Wohl zu solcher Mahnung sagen? Ihre italienischen Kollegen des sechzehnten Jahrhunderts — schwiegen und kümmerten sich nicht weiter um den ästhetisirenden Medicus. Und wir müssen ihnen dankbar dafür sein, denn man stelle sich einmal vor, ein Maler folgte der nachstehenden Anweisung, die wir nur ihrer Kürze wegen aus der Zahl der übrigen zehn durchaus auf gleicher Hohe stehenden herausheben: „Ich möchte, daß das vierte Gemälde bedeckt sei mit Sonnen¬ strahlen, die meinen Blick gänzlich blenden, nur daß man ein wenig vom Firma¬ ment sehe und insbesondre die Erde, die wir bewohnen. Dann soll man auf der einen Seite Bacchus erblicken, wie er von Ägypten mit seinen Weinreben auszieht, auf der andern Seite stelle man dar, wie Narcissus vor Echo flieht und wie er gewesen, als sie sich in ihn verliebte; die dritte Seite enthalte die verliebten Tauben der Ägina, die vierte Seite, wie Thisbe beim Schein des Mondes vor der Löwin flieht und wie Pyramus sich mit dem eignen Schwerte den Tod giebt, dann, wie seine Geliebte, wie sie mit ihm sterben will, die Brust mit demselben Eisen durchstößt. Schließlich wünsche ich, daß die Ge¬ schichte des Kadmus alle diese Dinge rings umgebe, aber in der Mitte soll Merkur Trismegistos mit seiner Lehre dargestellt werden. Alles übrige von dem Bilde soll mit schön grünem Buxbaum und heiligen Oliven geziert sein." (Über¬ setzung von A. Jlg; Wien. 1873.) Liest man dazu das Datum dieser Phan¬ tasien am Schluß des Werkchens: „Aus dem Häuschen des Biondo zur Zeit der Erneuerung seiner Leiden," so ist man versucht, diese Leiden besonders im Hirn des Verfassers zu vermuten. Und doch galt er seinen Zeitgenossen als geistig normal, ja sogar als ein sehr bedeutender — Arzt. Diesem kunstschriftstellernden Arzte will ich noch einige Theologen des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts gegenüberstellen, die sich mit der ganzen Würde und Wucht ihrer Gottesgelahrtheit wider die „Irrtümer derer Maler" wandten. Als durch die Reformation der Bilderstreit wieder ausgelebt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/423>, abgerufen am 29.06.2024.