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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Zur Geschichte der gelehrten Kunstkritik.

Gelehrten des päpstlichen Hofes souffliren ließ. Ja, der "Fürst unter den
Malern," Tizian, mußte sich bei Ausmalung der Decke des Kommunualpalastes
von Brescia die kleinlichsten Vorschriften und Anweisungen bis in die Einzel¬
heiten der Farbengebung hinein von der vorgesetzten Behörde gefallen lassen
und bedankte sich dafür noch dazu in aller Devotion, während wir von
seinem Lehrer Bellini allerdings erfahren, daß er in derartigen Dingen ein pein¬
licheres künstlerisches Ehrgefühl hatte. Aber litt denn darunter der künstlerische
Ruf dieser Meister? Blieb ihnen nicht genug Raum, ihre Schöpferkraft zu be¬
thätigen? Schämten sie sich dieser Beziehungen zu den Vertretern der geistigen
Kultur? Durchaus nicht. Anderseits verschmähten auch die Gelehrten, welche
sich auf das Gebiet der Kunstwissenschaft wagten, die Belehrung von feiten der
Künstler nicht, sei es, daß sie, wie Pomponius Gauricus, sich selbst praktisch in
die Kunst einführen ließen, der sie ihre theoretischen Studien zugewandt hatten,
sei es, daß sie in regem freundschaftlichen Verkehr mit den ausübenden Künst¬
lern gegen ihre Theoreme praktische Winke eintauschten. Heute halten beide
Kreise eine solche Annäherung für ihrer unwürdig, sie würde auch kaum von
ähnlicher Fruchtbarkeit sein, da die Gedankenwelt der einen derjenigen der andern
im Laufe der Zeiten nicht wenig entfremdet worden ist.

Benedetto Varchi, zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts, wußte, als
ihm die Frage nach dem Rangverhältnisse zwischen Malerei und Skulptur auf¬
stieg, nichts besseres zu thun, als bei den besten Künstlern seiner Zeit Umfrage zu
halten, worauf er von verschiednen, so auch von Michelangelo Antworten erhielt.
Andre, wie Francesco d'Ollcmda, kleideten ihre ästhetischen Abhandlungen in
Dialogform, wobei sie die tüchtigsten Meister ihrer Zeit das Wort führen lassen.
Lodovico Dolce, der auch diese Form wählte, läßt durch den Mund des damals
hochgeachteten, weil ängstlich gefürchteten Pietro Aretino, von dem sein vialo^o
ästig, xitturs. den Namen führt, die Anschauungen Tizians und seiner Kreise über
die Kunst verkünden; aber er fühlt die Notwendigkeit, sich gegen den Einwurf zu
verteidigen, "ob jemand, der kein Maler ist, fähig sei, über Malerei zu urteilen."
Aretino faßt seine Ansicht dahin zusammen: "Allerdings leugne ich nicht, daß
der Maler von gewissen Einzelheiten Kenntnis haben dürfte, die jemand, der
kein Maler ist, kaum je erfassen wird; aber so wichtig diese auch für das Schaffen
sein mögen, so unwichtig werden sie zum Abgeben eines gesunden Urteils er¬
scheinen. Ich glaube durch diese wenigen Worte zur Genüge nachgewiesen zu
haben, daß jedermann von Verstand, der Thätigkeit und Erfahrung in sich ver¬
einigt, über Malerei urteilen könne; besonders wenn er sich mit der Antike und
den Bildern guter Meister vertraut gemacht hat, weil es ihm dann bei einer ge¬
wissen Vorstellung des Vollkommenen, die er sich im Geiste eingeprägt haben
mag, ein Leichtes sein muß, zu urteilen, inwieweit die vorliegenden Werke jener
Vorstellung nahe kommen oder nicht." Das klingt, zumal aus dem Munde
eines Arelim, hinlänglich bescheiden und sachgemäß.


Zur Geschichte der gelehrten Kunstkritik.

Gelehrten des päpstlichen Hofes souffliren ließ. Ja, der „Fürst unter den
Malern," Tizian, mußte sich bei Ausmalung der Decke des Kommunualpalastes
von Brescia die kleinlichsten Vorschriften und Anweisungen bis in die Einzel¬
heiten der Farbengebung hinein von der vorgesetzten Behörde gefallen lassen
und bedankte sich dafür noch dazu in aller Devotion, während wir von
seinem Lehrer Bellini allerdings erfahren, daß er in derartigen Dingen ein pein¬
licheres künstlerisches Ehrgefühl hatte. Aber litt denn darunter der künstlerische
Ruf dieser Meister? Blieb ihnen nicht genug Raum, ihre Schöpferkraft zu be¬
thätigen? Schämten sie sich dieser Beziehungen zu den Vertretern der geistigen
Kultur? Durchaus nicht. Anderseits verschmähten auch die Gelehrten, welche
sich auf das Gebiet der Kunstwissenschaft wagten, die Belehrung von feiten der
Künstler nicht, sei es, daß sie, wie Pomponius Gauricus, sich selbst praktisch in
die Kunst einführen ließen, der sie ihre theoretischen Studien zugewandt hatten,
sei es, daß sie in regem freundschaftlichen Verkehr mit den ausübenden Künst¬
lern gegen ihre Theoreme praktische Winke eintauschten. Heute halten beide
Kreise eine solche Annäherung für ihrer unwürdig, sie würde auch kaum von
ähnlicher Fruchtbarkeit sein, da die Gedankenwelt der einen derjenigen der andern
im Laufe der Zeiten nicht wenig entfremdet worden ist.

Benedetto Varchi, zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts, wußte, als
ihm die Frage nach dem Rangverhältnisse zwischen Malerei und Skulptur auf¬
stieg, nichts besseres zu thun, als bei den besten Künstlern seiner Zeit Umfrage zu
halten, worauf er von verschiednen, so auch von Michelangelo Antworten erhielt.
Andre, wie Francesco d'Ollcmda, kleideten ihre ästhetischen Abhandlungen in
Dialogform, wobei sie die tüchtigsten Meister ihrer Zeit das Wort führen lassen.
Lodovico Dolce, der auch diese Form wählte, läßt durch den Mund des damals
hochgeachteten, weil ängstlich gefürchteten Pietro Aretino, von dem sein vialo^o
ästig, xitturs. den Namen führt, die Anschauungen Tizians und seiner Kreise über
die Kunst verkünden; aber er fühlt die Notwendigkeit, sich gegen den Einwurf zu
verteidigen, „ob jemand, der kein Maler ist, fähig sei, über Malerei zu urteilen."
Aretino faßt seine Ansicht dahin zusammen: „Allerdings leugne ich nicht, daß
der Maler von gewissen Einzelheiten Kenntnis haben dürfte, die jemand, der
kein Maler ist, kaum je erfassen wird; aber so wichtig diese auch für das Schaffen
sein mögen, so unwichtig werden sie zum Abgeben eines gesunden Urteils er¬
scheinen. Ich glaube durch diese wenigen Worte zur Genüge nachgewiesen zu
haben, daß jedermann von Verstand, der Thätigkeit und Erfahrung in sich ver¬
einigt, über Malerei urteilen könne; besonders wenn er sich mit der Antike und
den Bildern guter Meister vertraut gemacht hat, weil es ihm dann bei einer ge¬
wissen Vorstellung des Vollkommenen, die er sich im Geiste eingeprägt haben
mag, ein Leichtes sein muß, zu urteilen, inwieweit die vorliegenden Werke jener
Vorstellung nahe kommen oder nicht." Das klingt, zumal aus dem Munde
eines Arelim, hinlänglich bescheiden und sachgemäß.


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[0422] Zur Geschichte der gelehrten Kunstkritik. Gelehrten des päpstlichen Hofes souffliren ließ. Ja, der „Fürst unter den Malern," Tizian, mußte sich bei Ausmalung der Decke des Kommunualpalastes von Brescia die kleinlichsten Vorschriften und Anweisungen bis in die Einzel¬ heiten der Farbengebung hinein von der vorgesetzten Behörde gefallen lassen und bedankte sich dafür noch dazu in aller Devotion, während wir von seinem Lehrer Bellini allerdings erfahren, daß er in derartigen Dingen ein pein¬ licheres künstlerisches Ehrgefühl hatte. Aber litt denn darunter der künstlerische Ruf dieser Meister? Blieb ihnen nicht genug Raum, ihre Schöpferkraft zu be¬ thätigen? Schämten sie sich dieser Beziehungen zu den Vertretern der geistigen Kultur? Durchaus nicht. Anderseits verschmähten auch die Gelehrten, welche sich auf das Gebiet der Kunstwissenschaft wagten, die Belehrung von feiten der Künstler nicht, sei es, daß sie, wie Pomponius Gauricus, sich selbst praktisch in die Kunst einführen ließen, der sie ihre theoretischen Studien zugewandt hatten, sei es, daß sie in regem freundschaftlichen Verkehr mit den ausübenden Künst¬ lern gegen ihre Theoreme praktische Winke eintauschten. Heute halten beide Kreise eine solche Annäherung für ihrer unwürdig, sie würde auch kaum von ähnlicher Fruchtbarkeit sein, da die Gedankenwelt der einen derjenigen der andern im Laufe der Zeiten nicht wenig entfremdet worden ist. Benedetto Varchi, zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts, wußte, als ihm die Frage nach dem Rangverhältnisse zwischen Malerei und Skulptur auf¬ stieg, nichts besseres zu thun, als bei den besten Künstlern seiner Zeit Umfrage zu halten, worauf er von verschiednen, so auch von Michelangelo Antworten erhielt. Andre, wie Francesco d'Ollcmda, kleideten ihre ästhetischen Abhandlungen in Dialogform, wobei sie die tüchtigsten Meister ihrer Zeit das Wort führen lassen. Lodovico Dolce, der auch diese Form wählte, läßt durch den Mund des damals hochgeachteten, weil ängstlich gefürchteten Pietro Aretino, von dem sein vialo^o ästig, xitturs. den Namen führt, die Anschauungen Tizians und seiner Kreise über die Kunst verkünden; aber er fühlt die Notwendigkeit, sich gegen den Einwurf zu verteidigen, „ob jemand, der kein Maler ist, fähig sei, über Malerei zu urteilen." Aretino faßt seine Ansicht dahin zusammen: „Allerdings leugne ich nicht, daß der Maler von gewissen Einzelheiten Kenntnis haben dürfte, die jemand, der kein Maler ist, kaum je erfassen wird; aber so wichtig diese auch für das Schaffen sein mögen, so unwichtig werden sie zum Abgeben eines gesunden Urteils er¬ scheinen. Ich glaube durch diese wenigen Worte zur Genüge nachgewiesen zu haben, daß jedermann von Verstand, der Thätigkeit und Erfahrung in sich ver¬ einigt, über Malerei urteilen könne; besonders wenn er sich mit der Antike und den Bildern guter Meister vertraut gemacht hat, weil es ihm dann bei einer ge¬ wissen Vorstellung des Vollkommenen, die er sich im Geiste eingeprägt haben mag, ein Leichtes sein muß, zu urteilen, inwieweit die vorliegenden Werke jener Vorstellung nahe kommen oder nicht." Das klingt, zumal aus dem Munde eines Arelim, hinlänglich bescheiden und sachgemäß.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/422>, abgerufen am 26.06.2024.