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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Erinnerungen aus Alt-Jena.

muß freilich dahin gestellt bleiben. Zufolge einer Mitteilung, die uns hinterher
gemacht wurde, war es hohe Zeit, daß wir die Versammlung schlossen, weil
unsre Widersacher angeblich den Vorsatz gefaßt hatten, unsre Rednerbtthne,
d. h. die alte Postkutsche, auf der ein Teil von uns sich niedergelassen hatte,
zu überfallen und sie samt ihrer Besatzung in einen in der Nähe, auf dem
Marktplatze befindliche" Tümpel zu befördern. Diese Mitteilung klang gar nicht
unglaublich, ja es ist sogar wahrscheinlich, daß wir ohne die angedeutete Sicher-
hcitswehr der uns zugedachten demokratischen Wiedertaufe schwerlich entgangen
wären.

Wie dem aber sei, dieser erste Versuch einer konservativen Propaganda
blieb zugleich der letzte von unsrer Seite. Es hing das hauptsächlich mit der
fast gleichzeitig eintretenden Wendung der allgemeinen Verhältnisse und der sich
daran schließenden Niederlage der thüringischen Demokratie, deren Schauplatz
Jena wurde, zusammen. Ein kurzer Bericht über diese Vorgänge, soweit sie in
meinem Gedächtnisse haften geblieben find, mag die Erinnerungen aus jenen
Tagen beschließen.

Wie erwähnt, hatte sich die demagogische Agitation und Wühlerei den
ganzen Sommer über unbehindert fortgesetzt und die populäre Gährung dem¬
gemäß eine nicht unbedenkliche Gestalt angenommen. Dr. Lafauries Verbin¬
dungen reichten, wie man wohl nicht ohne Grund vermutete, über Thüringen
hinaus, und man traute ihm zu, daß er mit Struve im Einverständnis stehe.
Die Ereignisse der nächsten Tage legten die Annahme mit fast zwingender Ge¬
walt nahe, daß er jetzt die Stunde der Entscheidung für gekommen hielt und
einen Aufstand vorbereitete. Eine ruhige Erwägung, deren der Fanatiker freilich
niemals fähig gewesen war, hätte ihm sagen müssen, das der thüringische Bauer
mit gewissenlosen Versprechungen leichter aufzuregen als in das Feuer zu jagen sei.
Die Lage der Bauern ließ zwar vielfach vieles zu wünschen übrig, war aber doch
nirgends so drückend, daß sie eine verzweifelte Selbsthilfe hätte rechtfertigen können.
Eine Zurückverweisung auf den Bauernkrieg war unter allen Umständen eine Thor¬
heit und Dr. Lafaurie trotz allem kein Thomas Münzer. Der Aufstand in Frank¬
furt vom 18. September, durch die scheußliche Ermordung des Fürsten Lich-
nowski und des Herrn von Auerswald gebrandmarkt, hatte seine Funken über
die Berge Thüringens herüber geworfen und die Gemüter noch mehr erhitzt.
Die Niederwerfung desselben galt für den Anfang der Reaktion, und dem sollte
bei Zeiten vorgebeugt werden. An einen größern oder einigermaßen nachhal¬
tigen Erfolg eines "Putsches" war nun freilich in keinem Falle zu denken, aber
ein hübsches Stück Verwirrung hätte doch herbeigeführt werden können, wenn
die Widerstandskraft der Kleinstaaterei auf sich selbst angewiesen blieb, denn
Lafaurie und seine Genossen hatten bereits angefangen, sich in die Herzen der
Garnisonen von Weimar und Eisenach den Weg zu bahnen. Da griff endlich
das Reichsministerium ein und erließ die Anordnung, die Herzogtümer mit'


Grenzboten III. 1388. 52
Erinnerungen aus Alt-Jena.

muß freilich dahin gestellt bleiben. Zufolge einer Mitteilung, die uns hinterher
gemacht wurde, war es hohe Zeit, daß wir die Versammlung schlossen, weil
unsre Widersacher angeblich den Vorsatz gefaßt hatten, unsre Rednerbtthne,
d. h. die alte Postkutsche, auf der ein Teil von uns sich niedergelassen hatte,
zu überfallen und sie samt ihrer Besatzung in einen in der Nähe, auf dem
Marktplatze befindliche» Tümpel zu befördern. Diese Mitteilung klang gar nicht
unglaublich, ja es ist sogar wahrscheinlich, daß wir ohne die angedeutete Sicher-
hcitswehr der uns zugedachten demokratischen Wiedertaufe schwerlich entgangen
wären.

Wie dem aber sei, dieser erste Versuch einer konservativen Propaganda
blieb zugleich der letzte von unsrer Seite. Es hing das hauptsächlich mit der
fast gleichzeitig eintretenden Wendung der allgemeinen Verhältnisse und der sich
daran schließenden Niederlage der thüringischen Demokratie, deren Schauplatz
Jena wurde, zusammen. Ein kurzer Bericht über diese Vorgänge, soweit sie in
meinem Gedächtnisse haften geblieben find, mag die Erinnerungen aus jenen
Tagen beschließen.

Wie erwähnt, hatte sich die demagogische Agitation und Wühlerei den
ganzen Sommer über unbehindert fortgesetzt und die populäre Gährung dem¬
gemäß eine nicht unbedenkliche Gestalt angenommen. Dr. Lafauries Verbin¬
dungen reichten, wie man wohl nicht ohne Grund vermutete, über Thüringen
hinaus, und man traute ihm zu, daß er mit Struve im Einverständnis stehe.
Die Ereignisse der nächsten Tage legten die Annahme mit fast zwingender Ge¬
walt nahe, daß er jetzt die Stunde der Entscheidung für gekommen hielt und
einen Aufstand vorbereitete. Eine ruhige Erwägung, deren der Fanatiker freilich
niemals fähig gewesen war, hätte ihm sagen müssen, das der thüringische Bauer
mit gewissenlosen Versprechungen leichter aufzuregen als in das Feuer zu jagen sei.
Die Lage der Bauern ließ zwar vielfach vieles zu wünschen übrig, war aber doch
nirgends so drückend, daß sie eine verzweifelte Selbsthilfe hätte rechtfertigen können.
Eine Zurückverweisung auf den Bauernkrieg war unter allen Umständen eine Thor¬
heit und Dr. Lafaurie trotz allem kein Thomas Münzer. Der Aufstand in Frank¬
furt vom 18. September, durch die scheußliche Ermordung des Fürsten Lich-
nowski und des Herrn von Auerswald gebrandmarkt, hatte seine Funken über
die Berge Thüringens herüber geworfen und die Gemüter noch mehr erhitzt.
Die Niederwerfung desselben galt für den Anfang der Reaktion, und dem sollte
bei Zeiten vorgebeugt werden. An einen größern oder einigermaßen nachhal¬
tigen Erfolg eines „Putsches" war nun freilich in keinem Falle zu denken, aber
ein hübsches Stück Verwirrung hätte doch herbeigeführt werden können, wenn
die Widerstandskraft der Kleinstaaterei auf sich selbst angewiesen blieb, denn
Lafaurie und seine Genossen hatten bereits angefangen, sich in die Herzen der
Garnisonen von Weimar und Eisenach den Weg zu bahnen. Da griff endlich
das Reichsministerium ein und erließ die Anordnung, die Herzogtümer mit'


Grenzboten III. 1388. 52
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/417>, abgerufen am 01.07.2024.