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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Erinnerungen aus Alt-Jena.

Reichstruppen zu besetzen und die einheimischen Garnisonen zu verlegen. Die
Entscheidung fiel in dem sonst so friedlichen Jena, das jetzt der Mittelpunkt
der aufrührerischen Bewegung geworden war. Der erste Anlauf, den noch am
4. Oktober die Staatsgewalt mit einheimischen Truppen gegen die Partei der
Unordnung nahm, wurde übrigens nicht ganz geschickt ausgeführt. Wenn auch
fürs erste die Ordnung wieder zurückkehrte, so fühlten sich doch die Demagogen
durch diesen Angriff nichts weniger als eingeschüchtert. Ihre Zuversicht hob
sich sogar in dem Maße, daß sie durch eine rasch zusammengetrommelte Volks¬
versammlung jenes bewaffnete Eingreifen für ungesetzlich erklären ließen und auf
Sonntag den 8. Oktober eine bewaffnete allgemeine Volksversammlung nach
Jena ausschrieben. Eine möglichst großartige Kundgebung des beleidigten souve¬
ränen Volkswillens sollte in Szene gesetzt werden. Aber schon Freitag den
6. Oktober veränderte sich plötzlich die Szene. Eine erkleckliche Anzahl "Reichs-
truppen" -- man sprach von ein paar tausend Mann --, königlich sächsische
und altenburgische Infanterie und Reiterei nebst entsprechender Artillerie, er¬
schien vor den Thoren der überraschten Stadt und pflanzte ihre Kanonen im
sogenannten "Paradiese" auf. Von der geplanten demokratischen "Demonstra¬
tion" konnte unter diesen Umständen keine Rede mehr sein; doch erschienen am
Sonntage nachmittags eine ziemliche Masse Bauern und Arbeiter, zum Teil
mit Stöcken ausgerüstet, und hielten uuter den Augen der aufmarschirten Bürger¬
wehr, in hinlänglich herausfordernder Haltung, ihren Einzug in Jena. Es kam
nun zu verschiednen verwirrenden Auftritten, bis endlich die Linientruppen da¬
zwischen traten, die Stadt besetzten und sich der dreistesten Aufwiegler bemäch¬
tigten, unter denen der weimarische Litterat Jacke, Lafauries Gehilfe, der ver¬
wegenste war; aber auch dieser selbst, gegen den schon vordem ein Haftbefehl
wegen Hochverrats ergangen war und der sich jetzt wieder aus seinem Schlupf¬
winkel hervorgewagt hatte, fiel bei dieser Gelegenheit in die Hände der Ver¬
folger. Blut floß übrigens auch jetzt nicht; die "Reichstruppen" benahmen sich
taktvoll, und das verführte Landvolk zeigte wenig Neigung, sich an den "ver¬
tierten Söldlingen" zu versuchen. Schon Tags darauf zogen diese in der Rich¬
tung gegen Weimar wieder ab und führten die verhafteten Aufwiegler mit sich.
So viel ich weiß, ließ man gegen diese bald genug Gnade für Recht ergehen.
Die Hauptsache blieb: die Niederlage der thüringischen Demokratie, insoweit sich
diese mit republikanischen und anarchischen Tendenzen befreundet hatte, war mit
den Vorgängen des 8. Oktober vollendet; was noch weiter erfolgte, waren ver¬
einzelte Zuckungen, die keine weitere Bedeutung mehr gewannen.

Die gute Stadt Jena erhielt nun ihr altes friedliches Aussehen wieder zurück,
wenn auch vorläufig die Bürgerwehr noch bestehen blieb. Die Vorlesungen an
der Universität wurden eröffnet, die Frequenz wies freilich, und wie viele
meinten, nicht ohne Schuld der geschilderten Vorgänge, eher eine Verminderung
als eine Steigerung auf. Der "demokratische" Verein, der in jenen Tagen mit


Erinnerungen aus Alt-Jena.

Reichstruppen zu besetzen und die einheimischen Garnisonen zu verlegen. Die
Entscheidung fiel in dem sonst so friedlichen Jena, das jetzt der Mittelpunkt
der aufrührerischen Bewegung geworden war. Der erste Anlauf, den noch am
4. Oktober die Staatsgewalt mit einheimischen Truppen gegen die Partei der
Unordnung nahm, wurde übrigens nicht ganz geschickt ausgeführt. Wenn auch
fürs erste die Ordnung wieder zurückkehrte, so fühlten sich doch die Demagogen
durch diesen Angriff nichts weniger als eingeschüchtert. Ihre Zuversicht hob
sich sogar in dem Maße, daß sie durch eine rasch zusammengetrommelte Volks¬
versammlung jenes bewaffnete Eingreifen für ungesetzlich erklären ließen und auf
Sonntag den 8. Oktober eine bewaffnete allgemeine Volksversammlung nach
Jena ausschrieben. Eine möglichst großartige Kundgebung des beleidigten souve¬
ränen Volkswillens sollte in Szene gesetzt werden. Aber schon Freitag den
6. Oktober veränderte sich plötzlich die Szene. Eine erkleckliche Anzahl „Reichs-
truppen" — man sprach von ein paar tausend Mann —, königlich sächsische
und altenburgische Infanterie und Reiterei nebst entsprechender Artillerie, er¬
schien vor den Thoren der überraschten Stadt und pflanzte ihre Kanonen im
sogenannten „Paradiese" auf. Von der geplanten demokratischen „Demonstra¬
tion" konnte unter diesen Umständen keine Rede mehr sein; doch erschienen am
Sonntage nachmittags eine ziemliche Masse Bauern und Arbeiter, zum Teil
mit Stöcken ausgerüstet, und hielten uuter den Augen der aufmarschirten Bürger¬
wehr, in hinlänglich herausfordernder Haltung, ihren Einzug in Jena. Es kam
nun zu verschiednen verwirrenden Auftritten, bis endlich die Linientruppen da¬
zwischen traten, die Stadt besetzten und sich der dreistesten Aufwiegler bemäch¬
tigten, unter denen der weimarische Litterat Jacke, Lafauries Gehilfe, der ver¬
wegenste war; aber auch dieser selbst, gegen den schon vordem ein Haftbefehl
wegen Hochverrats ergangen war und der sich jetzt wieder aus seinem Schlupf¬
winkel hervorgewagt hatte, fiel bei dieser Gelegenheit in die Hände der Ver¬
folger. Blut floß übrigens auch jetzt nicht; die „Reichstruppen" benahmen sich
taktvoll, und das verführte Landvolk zeigte wenig Neigung, sich an den „ver¬
tierten Söldlingen" zu versuchen. Schon Tags darauf zogen diese in der Rich¬
tung gegen Weimar wieder ab und führten die verhafteten Aufwiegler mit sich.
So viel ich weiß, ließ man gegen diese bald genug Gnade für Recht ergehen.
Die Hauptsache blieb: die Niederlage der thüringischen Demokratie, insoweit sich
diese mit republikanischen und anarchischen Tendenzen befreundet hatte, war mit
den Vorgängen des 8. Oktober vollendet; was noch weiter erfolgte, waren ver¬
einzelte Zuckungen, die keine weitere Bedeutung mehr gewannen.

Die gute Stadt Jena erhielt nun ihr altes friedliches Aussehen wieder zurück,
wenn auch vorläufig die Bürgerwehr noch bestehen blieb. Die Vorlesungen an
der Universität wurden eröffnet, die Frequenz wies freilich, und wie viele
meinten, nicht ohne Schuld der geschilderten Vorgänge, eher eine Verminderung
als eine Steigerung auf. Der „demokratische" Verein, der in jenen Tagen mit


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[0418] Erinnerungen aus Alt-Jena. Reichstruppen zu besetzen und die einheimischen Garnisonen zu verlegen. Die Entscheidung fiel in dem sonst so friedlichen Jena, das jetzt der Mittelpunkt der aufrührerischen Bewegung geworden war. Der erste Anlauf, den noch am 4. Oktober die Staatsgewalt mit einheimischen Truppen gegen die Partei der Unordnung nahm, wurde übrigens nicht ganz geschickt ausgeführt. Wenn auch fürs erste die Ordnung wieder zurückkehrte, so fühlten sich doch die Demagogen durch diesen Angriff nichts weniger als eingeschüchtert. Ihre Zuversicht hob sich sogar in dem Maße, daß sie durch eine rasch zusammengetrommelte Volks¬ versammlung jenes bewaffnete Eingreifen für ungesetzlich erklären ließen und auf Sonntag den 8. Oktober eine bewaffnete allgemeine Volksversammlung nach Jena ausschrieben. Eine möglichst großartige Kundgebung des beleidigten souve¬ ränen Volkswillens sollte in Szene gesetzt werden. Aber schon Freitag den 6. Oktober veränderte sich plötzlich die Szene. Eine erkleckliche Anzahl „Reichs- truppen" — man sprach von ein paar tausend Mann —, königlich sächsische und altenburgische Infanterie und Reiterei nebst entsprechender Artillerie, er¬ schien vor den Thoren der überraschten Stadt und pflanzte ihre Kanonen im sogenannten „Paradiese" auf. Von der geplanten demokratischen „Demonstra¬ tion" konnte unter diesen Umständen keine Rede mehr sein; doch erschienen am Sonntage nachmittags eine ziemliche Masse Bauern und Arbeiter, zum Teil mit Stöcken ausgerüstet, und hielten uuter den Augen der aufmarschirten Bürger¬ wehr, in hinlänglich herausfordernder Haltung, ihren Einzug in Jena. Es kam nun zu verschiednen verwirrenden Auftritten, bis endlich die Linientruppen da¬ zwischen traten, die Stadt besetzten und sich der dreistesten Aufwiegler bemäch¬ tigten, unter denen der weimarische Litterat Jacke, Lafauries Gehilfe, der ver¬ wegenste war; aber auch dieser selbst, gegen den schon vordem ein Haftbefehl wegen Hochverrats ergangen war und der sich jetzt wieder aus seinem Schlupf¬ winkel hervorgewagt hatte, fiel bei dieser Gelegenheit in die Hände der Ver¬ folger. Blut floß übrigens auch jetzt nicht; die „Reichstruppen" benahmen sich taktvoll, und das verführte Landvolk zeigte wenig Neigung, sich an den „ver¬ tierten Söldlingen" zu versuchen. Schon Tags darauf zogen diese in der Rich¬ tung gegen Weimar wieder ab und führten die verhafteten Aufwiegler mit sich. So viel ich weiß, ließ man gegen diese bald genug Gnade für Recht ergehen. Die Hauptsache blieb: die Niederlage der thüringischen Demokratie, insoweit sich diese mit republikanischen und anarchischen Tendenzen befreundet hatte, war mit den Vorgängen des 8. Oktober vollendet; was noch weiter erfolgte, waren ver¬ einzelte Zuckungen, die keine weitere Bedeutung mehr gewannen. Die gute Stadt Jena erhielt nun ihr altes friedliches Aussehen wieder zurück, wenn auch vorläufig die Bürgerwehr noch bestehen blieb. Die Vorlesungen an der Universität wurden eröffnet, die Frequenz wies freilich, und wie viele meinten, nicht ohne Schuld der geschilderten Vorgänge, eher eine Verminderung als eine Steigerung auf. Der „demokratische" Verein, der in jenen Tagen mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/418>, abgerufen am 29.06.2024.