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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Erinnerungen aus Alt-Jena.

wohlverstandenen Bedürfnisse derselben manchmal mit ihren eignen persönlichen
Wünschen verwechselt.

Unmittelbar an das Profcssorenparlament schloß sich ein Unternehmen des
Jenaer konstitutionellen Vereins an, das ich noch ans dem Grunde erwähnen
will, weil einige der noch anwesenden Kongreßgäste daran teilnahmen. Der
Verein hatte nämlich die unliebsame Wahrnehmung gemacht, daß, während er
in der Stadt noch die Mehrheit für sich hatte, auf dem flachen Lande die fort¬
gesetzte demagogische Wühlerei ihm vollständig zuvorgekommen war. In
Erwägung dieser Thatsache wurde beschlossen, dem nicht länger unthätig zu¬
zusehen und von Zeit zu Zeit zunächst in den umliegenden Ortschaften Ver¬
sammlungen abzuhalten, um für die gute Sache zu wirken. Der Vorschlag an
sich ließ sich hören, hätte aber um ein halbes Jahr früher gemacht werden
sollen. Man dachte jedoch: besser spät als gar nicht. Als der erste Angriffs¬
punkt des beschlossenen Experiments wurde das Städtchen Dornburg am linken
Ufer der Saale, ein paar Stunden nördlich von Jena gelegen, ausersehen. Es
ist mit seinem reizenden Schlosse weithin sichtbar; der weimarische Hof hat sich
früher zeitweise im Sommer gern dort aufgehalten, und Goethe u. a. sich nach dem
Tode des Großherzogs Karl August für mehrere Tage dahin zurückgezogen,
um seinem Schmerze um den geschiedenen fürstlichen Freund ungestört nachzu¬
hängen. So machten wir uns denn zur bestimmten Zeit -- es war ein Sonn¬
tag -- auf, um unsre Fahrt dahin anzutreten; an unsre wenigen Gesinnungs¬
genossen im Städtchen und an die Ortschaften der Umgegend war eine recht¬
zeitige Mitteilung ergangen. Bei unsrer Ankunft ging es schon ziemlich lebhaft
her; die gegnerische, demokratische Partei hatte unser Vorhaben nicht übersehen
und ebenfalls ihre Getreuen aufgeboten. Ihre Absicht war offenbar, die ge¬
plante Versammlung gar nicht zu stände kommen und in Wirksamkeit treten zu
lassen. Und es sehlte nicht viel, so wäre ihr das auch gelungen. Dreimal
zwangen sie uus durch ihr tumultuarisches Gebahren, den Standpunkt zu
wechseln, ehe endlich unsre Aktion beginnen konnte. Zum dritten male nahmen
wir auf dem Marktplatze Stellung und wandelten eine alte Postkutsche, die zu¬
fällig dort stand, zur Rednerbühne um. Ein Teil der konservativen Bürger-
Wehr Dornburgs stellte sich zum Schutze um sie auf. da die Demokraten uns
gefolgt waren und in benachbarten Wirtshäusern johlend Posto gefaßt hatten.
Immerhin, unsre Versammlung konnte zu Ende geführt werden. Der "alte
Frommann" präsidirte, als Redner traten n. a. auf: Geh. Kirchenrat Ednard
Schwarz aus Jena, der Professor der Theologie Ilr. Fricke ans Leipzig, der
aus Veranlassung der Profcssorcnvcrsmnmlung herübergekommen war, und end¬
lich ein Pastor Büttner aus der Nähe von Neustadt a. d. Orla, der mehrere
Jahre in der neuen Welt gelebt hatte und nun auf Grund seiner Erfahrungen
ein nicht gerade schmeichelhaftes Bild der nordamerikanischen Freiheit entwarf.
Ob er und die übrigen Redner einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen haben,


Erinnerungen aus Alt-Jena.

wohlverstandenen Bedürfnisse derselben manchmal mit ihren eignen persönlichen
Wünschen verwechselt.

Unmittelbar an das Profcssorenparlament schloß sich ein Unternehmen des
Jenaer konstitutionellen Vereins an, das ich noch ans dem Grunde erwähnen
will, weil einige der noch anwesenden Kongreßgäste daran teilnahmen. Der
Verein hatte nämlich die unliebsame Wahrnehmung gemacht, daß, während er
in der Stadt noch die Mehrheit für sich hatte, auf dem flachen Lande die fort¬
gesetzte demagogische Wühlerei ihm vollständig zuvorgekommen war. In
Erwägung dieser Thatsache wurde beschlossen, dem nicht länger unthätig zu¬
zusehen und von Zeit zu Zeit zunächst in den umliegenden Ortschaften Ver¬
sammlungen abzuhalten, um für die gute Sache zu wirken. Der Vorschlag an
sich ließ sich hören, hätte aber um ein halbes Jahr früher gemacht werden
sollen. Man dachte jedoch: besser spät als gar nicht. Als der erste Angriffs¬
punkt des beschlossenen Experiments wurde das Städtchen Dornburg am linken
Ufer der Saale, ein paar Stunden nördlich von Jena gelegen, ausersehen. Es
ist mit seinem reizenden Schlosse weithin sichtbar; der weimarische Hof hat sich
früher zeitweise im Sommer gern dort aufgehalten, und Goethe u. a. sich nach dem
Tode des Großherzogs Karl August für mehrere Tage dahin zurückgezogen,
um seinem Schmerze um den geschiedenen fürstlichen Freund ungestört nachzu¬
hängen. So machten wir uns denn zur bestimmten Zeit — es war ein Sonn¬
tag — auf, um unsre Fahrt dahin anzutreten; an unsre wenigen Gesinnungs¬
genossen im Städtchen und an die Ortschaften der Umgegend war eine recht¬
zeitige Mitteilung ergangen. Bei unsrer Ankunft ging es schon ziemlich lebhaft
her; die gegnerische, demokratische Partei hatte unser Vorhaben nicht übersehen
und ebenfalls ihre Getreuen aufgeboten. Ihre Absicht war offenbar, die ge¬
plante Versammlung gar nicht zu stände kommen und in Wirksamkeit treten zu
lassen. Und es sehlte nicht viel, so wäre ihr das auch gelungen. Dreimal
zwangen sie uus durch ihr tumultuarisches Gebahren, den Standpunkt zu
wechseln, ehe endlich unsre Aktion beginnen konnte. Zum dritten male nahmen
wir auf dem Marktplatze Stellung und wandelten eine alte Postkutsche, die zu¬
fällig dort stand, zur Rednerbühne um. Ein Teil der konservativen Bürger-
Wehr Dornburgs stellte sich zum Schutze um sie auf. da die Demokraten uns
gefolgt waren und in benachbarten Wirtshäusern johlend Posto gefaßt hatten.
Immerhin, unsre Versammlung konnte zu Ende geführt werden. Der „alte
Frommann" präsidirte, als Redner traten n. a. auf: Geh. Kirchenrat Ednard
Schwarz aus Jena, der Professor der Theologie Ilr. Fricke ans Leipzig, der
aus Veranlassung der Profcssorcnvcrsmnmlung herübergekommen war, und end¬
lich ein Pastor Büttner aus der Nähe von Neustadt a. d. Orla, der mehrere
Jahre in der neuen Welt gelebt hatte und nun auf Grund seiner Erfahrungen
ein nicht gerade schmeichelhaftes Bild der nordamerikanischen Freiheit entwarf.
Ob er und die übrigen Redner einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen haben,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/416>, abgerufen am 01.10.2024.