Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.Bayreuth. der einzelnen Sänger und Sängerinnen für die nächste Zeit bemißt. Diese Bayreuth. der einzelnen Sänger und Sängerinnen für die nächste Zeit bemißt. Diese <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0373" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/289496"/> <fw type="header" place="top"> Bayreuth.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1248" prev="#ID_1247" next="#ID_1249"> der einzelnen Sänger und Sängerinnen für die nächste Zeit bemißt. Diese<lb/> Parolen wechseln natürlich sehr rasch, oft schon bei der nächsten Aufführung,<lb/> je nachdem etwa Herr Z. „genante" oder Frau X. ein gutes Wagnerwerk<lb/> gethan, etwa in einer Privataufführung unentgeltlich mitgewirkt hat und der¬<lb/> gleichen. Namentlich als der „Meister" noch lebte, war dies dem cartesianischen<lb/> Teufelchen zu vergleichende Hinauf und Hinunter der armen Sänger in hohem<lb/> Grade belustigend. War in diesem Semester Herr V., weil er der einzige<lb/> verwendbare Sänger des Siegfried war, die „wahrhafte Natur, die verkörperte<lb/> Stimme des Waldes," so ward er im nächsten halben Jahre, wo eine neue<lb/> Kraft sich zeigte oder Herr V. Schwierigkeiten machte, ein „Holzhacker," ein<lb/> „Auktionsbrüller" und wer weiß was alles. Was diese armen Leute, die ihre<lb/> hohen Gagen wirklich oft recht teuer bezahlen müssen, bei den Aufführungen<lb/> in Bayreuth unter der Knute ihres Tyrannen gelitten haben mögen, ist schwer<lb/> zu schildern. Aber ihr zitternder Viereifer, das unbewußte, ängstliche Schielen<lb/> nach der „Meisterloge," was „Er" nur wieder gefunden haben möge, ob mans<lb/> diesmal endlich recht gemacht habe, das alles verriet dem Kundigen traurig<lb/> genug die Begeisterungsseelenqualen der unseligen Heroen. In der Kundry der<lb/> Frau Materna, einer sehr begabten und tüchtigen Sängerin, und dem Beck¬<lb/> messer des — ich muß richtig ungebildeterweise im Zettel nachsehen — also des<lb/> Herrn Friedrichs konnte man diesmal noch die fossilen Überreste des „Bay-<lb/> reuther hohen Stiles," d. h. der Wagnerischen Einbläuungsmethode anstaunen.<lb/> Dies Zittern und dies Schweben, dies hysterische Auflachen und konvulsivische<lb/> Schluchzen, dies brummkreiselmäßige Losfahren und dies plötzliche Zusammen¬<lb/> knicken, dies Aufbrüllen und Wispern, dies Blöken, Meckern und Kreischen, zu<lb/> jedem Takt, nein zu jeder Note eine neue mimische „Nüance": das ist die<lb/> „Meisterweihe." Diese haargetreu Marionetten-, ja automatenhaft wiederzugeben,<lb/> dazu wird der Gedächtnisapparat befähigter Mimen bis zum Platzen angestrengt,<lb/> welche aus dem Eignen ein Besseres und vor allem ein Ganzes leisten könnten<lb/> und leisten würden. Das ist das Bayreuther „Ideal." Über die Sängerin<lb/> der Eva in der ersten Meistersingeraufführung, ich glaube Frau Sucher aus<lb/> Hamburg, wurde diesmal das schwere Verdikt, der große Bayreuther Bann<lb/> verhängt. Warum? Weil sie dies nicht übermäßig interessante Goldschmieds¬<lb/> töchterlein (als deren Devise mir wunderlicherweise immer der geistreiche Vers<lb/> einfällt, mit dem sie das selbsterkenntnisreiche „Ach, werd' ich dumm!" ihres<lb/> Vaters parirt: „Geh, Väterchen, geh, kleid dich um!"), weil sie diese einfach<lb/> schwer verliebte, verzogene Mäulchenmacherin und Durchgeherin weder als<lb/> Gretchen noch als Klcirchen, noch als Julia, noch Wagnerisch als alles dreics<lb/> zusammen mit Schopenhauerischer Transzendentalsauce, sondern einfach als das<lb/> spielte, was sie ist: nämlich als schlechthin schwer verliebte Mäulchenmacherin<lb/> und Durchgeherin. Dagegen war Herr Reichmann, der mit einem wahren<lb/> fliegenden Holländergesicht und den Geberden eines unzufriedenen Paschas den</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0373]
Bayreuth.
der einzelnen Sänger und Sängerinnen für die nächste Zeit bemißt. Diese
Parolen wechseln natürlich sehr rasch, oft schon bei der nächsten Aufführung,
je nachdem etwa Herr Z. „genante" oder Frau X. ein gutes Wagnerwerk
gethan, etwa in einer Privataufführung unentgeltlich mitgewirkt hat und der¬
gleichen. Namentlich als der „Meister" noch lebte, war dies dem cartesianischen
Teufelchen zu vergleichende Hinauf und Hinunter der armen Sänger in hohem
Grade belustigend. War in diesem Semester Herr V., weil er der einzige
verwendbare Sänger des Siegfried war, die „wahrhafte Natur, die verkörperte
Stimme des Waldes," so ward er im nächsten halben Jahre, wo eine neue
Kraft sich zeigte oder Herr V. Schwierigkeiten machte, ein „Holzhacker," ein
„Auktionsbrüller" und wer weiß was alles. Was diese armen Leute, die ihre
hohen Gagen wirklich oft recht teuer bezahlen müssen, bei den Aufführungen
in Bayreuth unter der Knute ihres Tyrannen gelitten haben mögen, ist schwer
zu schildern. Aber ihr zitternder Viereifer, das unbewußte, ängstliche Schielen
nach der „Meisterloge," was „Er" nur wieder gefunden haben möge, ob mans
diesmal endlich recht gemacht habe, das alles verriet dem Kundigen traurig
genug die Begeisterungsseelenqualen der unseligen Heroen. In der Kundry der
Frau Materna, einer sehr begabten und tüchtigen Sängerin, und dem Beck¬
messer des — ich muß richtig ungebildeterweise im Zettel nachsehen — also des
Herrn Friedrichs konnte man diesmal noch die fossilen Überreste des „Bay-
reuther hohen Stiles," d. h. der Wagnerischen Einbläuungsmethode anstaunen.
Dies Zittern und dies Schweben, dies hysterische Auflachen und konvulsivische
Schluchzen, dies brummkreiselmäßige Losfahren und dies plötzliche Zusammen¬
knicken, dies Aufbrüllen und Wispern, dies Blöken, Meckern und Kreischen, zu
jedem Takt, nein zu jeder Note eine neue mimische „Nüance": das ist die
„Meisterweihe." Diese haargetreu Marionetten-, ja automatenhaft wiederzugeben,
dazu wird der Gedächtnisapparat befähigter Mimen bis zum Platzen angestrengt,
welche aus dem Eignen ein Besseres und vor allem ein Ganzes leisten könnten
und leisten würden. Das ist das Bayreuther „Ideal." Über die Sängerin
der Eva in der ersten Meistersingeraufführung, ich glaube Frau Sucher aus
Hamburg, wurde diesmal das schwere Verdikt, der große Bayreuther Bann
verhängt. Warum? Weil sie dies nicht übermäßig interessante Goldschmieds¬
töchterlein (als deren Devise mir wunderlicherweise immer der geistreiche Vers
einfällt, mit dem sie das selbsterkenntnisreiche „Ach, werd' ich dumm!" ihres
Vaters parirt: „Geh, Väterchen, geh, kleid dich um!"), weil sie diese einfach
schwer verliebte, verzogene Mäulchenmacherin und Durchgeherin weder als
Gretchen noch als Klcirchen, noch als Julia, noch Wagnerisch als alles dreics
zusammen mit Schopenhauerischer Transzendentalsauce, sondern einfach als das
spielte, was sie ist: nämlich als schlechthin schwer verliebte Mäulchenmacherin
und Durchgeherin. Dagegen war Herr Reichmann, der mit einem wahren
fliegenden Holländergesicht und den Geberden eines unzufriedenen Paschas den
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