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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Bayreuth.

Hans Sachs spielte, der "wahrhafte Vertreter deutscher Biederkeit und Tüch¬
tigkeit." er hätte den Wagnerianern "nur noch mehr thun können."

Aber man wird in diesen Blättern keinen "Bericht" suchen. Wir möchten
nur auch hieran eine allgemeine Bemerkung knüpfen, die die Bayreuther "Mustcr-
bühue" und ihren "Stil" als solche betrifft. Man weiß, welche ausschweifenden
Hoffnungen für die Hebung der gesamten Bühne Wagner damit verknüpfte.
Wir wollen dem liberregsamen und energischen Manne seine unmittelbaren und
mittelbaren Verdienste um die technische und künstlerische Hebung der Theater¬
orchester, um die allerdings sehr einseitig ihm zu gute kommende Aufrappelung
des meist so toten Sängerpersonals und des mechanischen Opernregiewesens
gewiß nicht verkürzen. Aber seine "Mustcrbühne" war von Anfang an dazu
geeignet, diese Vorteile echt menschlich in doppelt so viel Nachteile zu Verkehren.
Diese Musterbühne war von Anfang an ausschließlich für das Wagnerische
Muster bestimmt, und welches Muster dies ist, dafür legen dramatisch-musikalisch
der Parsifal als "überreifer, höherer als der höchste Stil," mimisch die
Zuckungen Kundrys und Beckmessers, "gefänglich" die Schreie Brünnhilds und
Isoldens und dekorativ der unglaublich groteske Gemüsegarten der Parsifalschen
Blumenmädchen Zeugnis ab. Aber davou wollen wir jetzt nicht reden, sondern
über den dunkeln Punkt, über den es anch im Wagnerianischen Hauptlager
immer deutlicher zu rumoren anfängt. Diese "Musterausführungen" werden
zu stände gebracht auf das Konto der Wagnervereine, von Sängern, Sänge¬
rinnen und Orchestermitgliedern aus allen Ecken der Welt, die sich einander
wildfremd sind, unter Dirigenten, die ihnen völlig neu sind, die ihre besonder"
Auffassungen zur Geltung bringen wollen und noch die der Frau Cosima und
ihres Generalstabes zur Geltung bringen müssen -- und dies alles in drei
Wochen, die noch dazu meist die heißesten des Jahres sind. Da sollen Orchester¬
kombinationen wie die Wagners tadellos und frisch und stilvoll zu Gehör ge¬
bracht werden, da sollen Chorwildnisse urbar gemacht werden, wie die der
Blumenmädchen im Parsifal oder die Streit- und Prügelszenen in den Meister¬
singern, die auch den Vernünftigeren unter den Wagnerianern ein "Problem"
sind, wie sie geschmackvoll das deutsche Wort Unsinn übersetzen. Wenn man
mit diese" Zuständen und den knapp bemessenen drei Wochen die Forderungen
vergleicht, welche die Wagnerianer an andern Bühnen, die keine Musterbühnen
sind und sein wollen, für die Einstudirnng ihrer Idole erheben, so kann man
sich über die (wenigstens in dieser Hinsicht) Zufriedenheit und Bescheidenheit
wirkende Macht der Bayreuther Luft nicht genug verwundern. Vielleicht aber
weniger freuen. Ich erlauschte folgende Auslassung in dem "Cafe Sammet" (dem
"Angermann" gegenüber, wie es scheint, dem Sammelplatz der "Unbegeisterten,"
wo man auch noch einige harmlose Bayreuther und nicht bloß Berliner und
Wiener findet): "Ist was rechts mit den Vereinen und ihren Mitgliederzahlen!
Wenn sie doch lieber hinauswerfen wollten, statt neu aufzunehmen! Vor-


Bayreuth.

Hans Sachs spielte, der „wahrhafte Vertreter deutscher Biederkeit und Tüch¬
tigkeit." er hätte den Wagnerianern „nur noch mehr thun können."

Aber man wird in diesen Blättern keinen „Bericht" suchen. Wir möchten
nur auch hieran eine allgemeine Bemerkung knüpfen, die die Bayreuther „Mustcr-
bühue" und ihren „Stil" als solche betrifft. Man weiß, welche ausschweifenden
Hoffnungen für die Hebung der gesamten Bühne Wagner damit verknüpfte.
Wir wollen dem liberregsamen und energischen Manne seine unmittelbaren und
mittelbaren Verdienste um die technische und künstlerische Hebung der Theater¬
orchester, um die allerdings sehr einseitig ihm zu gute kommende Aufrappelung
des meist so toten Sängerpersonals und des mechanischen Opernregiewesens
gewiß nicht verkürzen. Aber seine „Mustcrbühne" war von Anfang an dazu
geeignet, diese Vorteile echt menschlich in doppelt so viel Nachteile zu Verkehren.
Diese Musterbühne war von Anfang an ausschließlich für das Wagnerische
Muster bestimmt, und welches Muster dies ist, dafür legen dramatisch-musikalisch
der Parsifal als „überreifer, höherer als der höchste Stil," mimisch die
Zuckungen Kundrys und Beckmessers, „gefänglich" die Schreie Brünnhilds und
Isoldens und dekorativ der unglaublich groteske Gemüsegarten der Parsifalschen
Blumenmädchen Zeugnis ab. Aber davou wollen wir jetzt nicht reden, sondern
über den dunkeln Punkt, über den es anch im Wagnerianischen Hauptlager
immer deutlicher zu rumoren anfängt. Diese „Musterausführungen" werden
zu stände gebracht auf das Konto der Wagnervereine, von Sängern, Sänge¬
rinnen und Orchestermitgliedern aus allen Ecken der Welt, die sich einander
wildfremd sind, unter Dirigenten, die ihnen völlig neu sind, die ihre besonder»
Auffassungen zur Geltung bringen wollen und noch die der Frau Cosima und
ihres Generalstabes zur Geltung bringen müssen — und dies alles in drei
Wochen, die noch dazu meist die heißesten des Jahres sind. Da sollen Orchester¬
kombinationen wie die Wagners tadellos und frisch und stilvoll zu Gehör ge¬
bracht werden, da sollen Chorwildnisse urbar gemacht werden, wie die der
Blumenmädchen im Parsifal oder die Streit- und Prügelszenen in den Meister¬
singern, die auch den Vernünftigeren unter den Wagnerianern ein „Problem"
sind, wie sie geschmackvoll das deutsche Wort Unsinn übersetzen. Wenn man
mit diese» Zuständen und den knapp bemessenen drei Wochen die Forderungen
vergleicht, welche die Wagnerianer an andern Bühnen, die keine Musterbühnen
sind und sein wollen, für die Einstudirnng ihrer Idole erheben, so kann man
sich über die (wenigstens in dieser Hinsicht) Zufriedenheit und Bescheidenheit
wirkende Macht der Bayreuther Luft nicht genug verwundern. Vielleicht aber
weniger freuen. Ich erlauschte folgende Auslassung in dem „Cafe Sammet" (dem
„Angermann" gegenüber, wie es scheint, dem Sammelplatz der „Unbegeisterten,"
wo man auch noch einige harmlose Bayreuther und nicht bloß Berliner und
Wiener findet): „Ist was rechts mit den Vereinen und ihren Mitgliederzahlen!
Wenn sie doch lieber hinauswerfen wollten, statt neu aufzunehmen! Vor-


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[0374] Bayreuth. Hans Sachs spielte, der „wahrhafte Vertreter deutscher Biederkeit und Tüch¬ tigkeit." er hätte den Wagnerianern „nur noch mehr thun können." Aber man wird in diesen Blättern keinen „Bericht" suchen. Wir möchten nur auch hieran eine allgemeine Bemerkung knüpfen, die die Bayreuther „Mustcr- bühue" und ihren „Stil" als solche betrifft. Man weiß, welche ausschweifenden Hoffnungen für die Hebung der gesamten Bühne Wagner damit verknüpfte. Wir wollen dem liberregsamen und energischen Manne seine unmittelbaren und mittelbaren Verdienste um die technische und künstlerische Hebung der Theater¬ orchester, um die allerdings sehr einseitig ihm zu gute kommende Aufrappelung des meist so toten Sängerpersonals und des mechanischen Opernregiewesens gewiß nicht verkürzen. Aber seine „Mustcrbühne" war von Anfang an dazu geeignet, diese Vorteile echt menschlich in doppelt so viel Nachteile zu Verkehren. Diese Musterbühne war von Anfang an ausschließlich für das Wagnerische Muster bestimmt, und welches Muster dies ist, dafür legen dramatisch-musikalisch der Parsifal als „überreifer, höherer als der höchste Stil," mimisch die Zuckungen Kundrys und Beckmessers, „gefänglich" die Schreie Brünnhilds und Isoldens und dekorativ der unglaublich groteske Gemüsegarten der Parsifalschen Blumenmädchen Zeugnis ab. Aber davou wollen wir jetzt nicht reden, sondern über den dunkeln Punkt, über den es anch im Wagnerianischen Hauptlager immer deutlicher zu rumoren anfängt. Diese „Musterausführungen" werden zu stände gebracht auf das Konto der Wagnervereine, von Sängern, Sänge¬ rinnen und Orchestermitgliedern aus allen Ecken der Welt, die sich einander wildfremd sind, unter Dirigenten, die ihnen völlig neu sind, die ihre besonder» Auffassungen zur Geltung bringen wollen und noch die der Frau Cosima und ihres Generalstabes zur Geltung bringen müssen — und dies alles in drei Wochen, die noch dazu meist die heißesten des Jahres sind. Da sollen Orchester¬ kombinationen wie die Wagners tadellos und frisch und stilvoll zu Gehör ge¬ bracht werden, da sollen Chorwildnisse urbar gemacht werden, wie die der Blumenmädchen im Parsifal oder die Streit- und Prügelszenen in den Meister¬ singern, die auch den Vernünftigeren unter den Wagnerianern ein „Problem" sind, wie sie geschmackvoll das deutsche Wort Unsinn übersetzen. Wenn man mit diese» Zuständen und den knapp bemessenen drei Wochen die Forderungen vergleicht, welche die Wagnerianer an andern Bühnen, die keine Musterbühnen sind und sein wollen, für die Einstudirnng ihrer Idole erheben, so kann man sich über die (wenigstens in dieser Hinsicht) Zufriedenheit und Bescheidenheit wirkende Macht der Bayreuther Luft nicht genug verwundern. Vielleicht aber weniger freuen. Ich erlauschte folgende Auslassung in dem „Cafe Sammet" (dem „Angermann" gegenüber, wie es scheint, dem Sammelplatz der „Unbegeisterten," wo man auch noch einige harmlose Bayreuther und nicht bloß Berliner und Wiener findet): „Ist was rechts mit den Vereinen und ihren Mitgliederzahlen! Wenn sie doch lieber hinauswerfen wollten, statt neu aufzunehmen! Vor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/374>, abgerufen am 24.08.2024.