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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Bayreuth.

Musik, wie wir sie oben zu schildern versuchten, um sich die kuriose Gesellschaft
einigermaßen zu deuten, welche sich "mit Stolz Wagnerianer nennt."

Wir sagen, zu deuten, diese seltsame Mischung von Unklarheit und Selbst¬
bewußtsein, Anmaßung gegen "Ungläubige" und übertriebener Demut vor dem
"Meister" und den Seinen, von Gelehrsamkeitsbrocken aus allen Richtungen
und knabenhafter Unwissenheit, von würdevollem Priesterton und kindischen,
altweiberhaften Interessen auf ihre Elemente zurückzuführen. Denn es zu be¬
urteilen ist nicht schwer. Man braucht nur einmal einem wagnerianischen
Gespräch gelauscht zu haben, man braucht nur in der berüchtigten Bierwirtschaft
von Angermann in Bayreuth ("wo der Meister der Töne, Richard Wagner
sonst (!) seinen Vespertrunk zu schöpfen pflegte" und aus dessen durstigen "Hallen"
infolge dessen natürlich die Kaaba des "musikalischen Mekka" geworden ist) sich
die jungen Herrchen anzusehen, die da neben den Parsifal-Blumenmädchen am
lautesten schreien, und man wird sie an ihren Früchten erkennen. Eines wird
sofort auffallen, und man wird es, wann man auch wieder das Unglück hat, mit
Wagnerianern zusammen zu geraten, immer wieder bestätigt finden, daß unter
dem bunten, hochklingenden Aushängeschilde sich ein und dasselbe nichtige Ge¬
sprächsthema mit lächerlicher Breite und Wichtigkeit verbirgt: die Debatte über
die Wagnerischen Sänger und -- eigentlich an erster Stelle -- Sängerinnen.
Wehe dem Unglücklichen, der sie nicht alle kennt bis auf die feinsten Abstufungen
ihrer Rollen- und Lebensfehler, die Winkelmann und Vogt und Neichmann und
Matten und Matcrna und Sucher u. s. w. u. s. w. bis ins kleinste Hof- und
Stadttheater hinein, all die Ärmsten, die es sich jemals vom Dämon des Ehr¬
geizes getrieben einfallen ließen, beim "Meister" zu singen und damit unter die
blutige Zuchtrute von "Ihm" und seinen Getreuen gerieten. Er ist der un¬
zurechnungsfähigste Ignorant unter der Sonne, und bei den Wagnerianern hat
er auf alle Zeit "versungen und verthan." Das Geschwätz über Schauspieler
war, wie man sich nur noch allzugut erinnert, ein Erbübel im kleinstaatlichen
Deutschland. Wir sind noch sehr damit belastet, nur ist, wie sich hier be¬
schämend zeigt, aus dem lokalen Gesprächsthema der einzelnen Städte, das nur
jede für sich etwas anging, der Gesprächsstoff eines ganzen großen Reiches
geworden. Das ist das erste, womit der Neuling in den Wagnerischen My¬
sterien empfangen, und das ist das letzte, womit er als reif entlassen wird, daß
er wisse, wie "rhinozerosmäßig" Frau A'. heute Abend wieder die Brünnhild
zugerichtet hat, und "welchen Stiefel" Herr I. wieder einmal "zusammen ge¬
sungen," wie "großartig" aber zu aller Überraschung Herr Z. gerade heute
Abend "seine Sache gemacht" habe. Herr Z. hat nämlich immer irgend eine
Nebenrolle, einen jener Jämmerlinge, die sich in diesen Stücken zum Hohn auf
sich selbst herumtreiben, und er muß für seinen guten Willen entschädigt werden.
So werden bei jeder "Wagneraufführung" Parolen ausgegeben, die allbindend
und fürs ganze Wagnerreich giltig sind, und nach denen sich die Wertschätzung


Bayreuth.

Musik, wie wir sie oben zu schildern versuchten, um sich die kuriose Gesellschaft
einigermaßen zu deuten, welche sich „mit Stolz Wagnerianer nennt."

Wir sagen, zu deuten, diese seltsame Mischung von Unklarheit und Selbst¬
bewußtsein, Anmaßung gegen „Ungläubige" und übertriebener Demut vor dem
„Meister" und den Seinen, von Gelehrsamkeitsbrocken aus allen Richtungen
und knabenhafter Unwissenheit, von würdevollem Priesterton und kindischen,
altweiberhaften Interessen auf ihre Elemente zurückzuführen. Denn es zu be¬
urteilen ist nicht schwer. Man braucht nur einmal einem wagnerianischen
Gespräch gelauscht zu haben, man braucht nur in der berüchtigten Bierwirtschaft
von Angermann in Bayreuth („wo der Meister der Töne, Richard Wagner
sonst (!) seinen Vespertrunk zu schöpfen pflegte" und aus dessen durstigen „Hallen"
infolge dessen natürlich die Kaaba des „musikalischen Mekka" geworden ist) sich
die jungen Herrchen anzusehen, die da neben den Parsifal-Blumenmädchen am
lautesten schreien, und man wird sie an ihren Früchten erkennen. Eines wird
sofort auffallen, und man wird es, wann man auch wieder das Unglück hat, mit
Wagnerianern zusammen zu geraten, immer wieder bestätigt finden, daß unter
dem bunten, hochklingenden Aushängeschilde sich ein und dasselbe nichtige Ge¬
sprächsthema mit lächerlicher Breite und Wichtigkeit verbirgt: die Debatte über
die Wagnerischen Sänger und — eigentlich an erster Stelle — Sängerinnen.
Wehe dem Unglücklichen, der sie nicht alle kennt bis auf die feinsten Abstufungen
ihrer Rollen- und Lebensfehler, die Winkelmann und Vogt und Neichmann und
Matten und Matcrna und Sucher u. s. w. u. s. w. bis ins kleinste Hof- und
Stadttheater hinein, all die Ärmsten, die es sich jemals vom Dämon des Ehr¬
geizes getrieben einfallen ließen, beim „Meister" zu singen und damit unter die
blutige Zuchtrute von „Ihm" und seinen Getreuen gerieten. Er ist der un¬
zurechnungsfähigste Ignorant unter der Sonne, und bei den Wagnerianern hat
er auf alle Zeit „versungen und verthan." Das Geschwätz über Schauspieler
war, wie man sich nur noch allzugut erinnert, ein Erbübel im kleinstaatlichen
Deutschland. Wir sind noch sehr damit belastet, nur ist, wie sich hier be¬
schämend zeigt, aus dem lokalen Gesprächsthema der einzelnen Städte, das nur
jede für sich etwas anging, der Gesprächsstoff eines ganzen großen Reiches
geworden. Das ist das erste, womit der Neuling in den Wagnerischen My¬
sterien empfangen, und das ist das letzte, womit er als reif entlassen wird, daß
er wisse, wie „rhinozerosmäßig" Frau A'. heute Abend wieder die Brünnhild
zugerichtet hat, und „welchen Stiefel" Herr I. wieder einmal „zusammen ge¬
sungen," wie „großartig" aber zu aller Überraschung Herr Z. gerade heute
Abend „seine Sache gemacht" habe. Herr Z. hat nämlich immer irgend eine
Nebenrolle, einen jener Jämmerlinge, die sich in diesen Stücken zum Hohn auf
sich selbst herumtreiben, und er muß für seinen guten Willen entschädigt werden.
So werden bei jeder „Wagneraufführung" Parolen ausgegeben, die allbindend
und fürs ganze Wagnerreich giltig sind, und nach denen sich die Wertschätzung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/372>, abgerufen am 24.08.2024.