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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Bayreuth.

Auszug gebracht werden könnte, als ihn Heinrich von Stein und Glasenapp
in ihrem Richard-Wagner-Lexikon der liebebedürftigen Welt beschert haben.
Wir wollen das ja bei einem theoretisirender Dichter nicht weiter betone",
obwohl man in Deutschland auch vom theoretisirender Dichter einen umfassen¬
deren Gedankenkreis gewöhnt ist; aber wenn er auch als Dichter immer wieder
so nackt und trostlos auf dieses A und O seiner Philosophie hinauskommt, so
wird das auf die Dauer doch recht lästig und verdächtigt die Philosophie mit¬
samt der Dichtung. Hier im Parsifal haben wir nun die Wagnerische Grund¬
idee von der welterlösenden Macht der "Reine," in der ihm Schopenhauers
"Verneinung" so ausschließlich gipfelt, in ihrer äußersten und zugleich unbe¬
holfensten Form. Wie da das ungeheure Verdienst erotischer Empfindungs¬
losigkeit metaphysisch aufgebauscht und der zufällige Widerstand gegen die doch
recht mäßigen Verführungskünste einer Kundry zur erlösenden Weltthat ge¬
stempelt wird, wie das durch alle Stufen durchgehet wird in dem lächerlichen
Eunuchen Klingsor und dem "wunden" Jämmerling Amfortas, das muß man
samt seiner musikalischen Trostlosigkeit gehört und gesehen und nicht bloß ge¬
lesen haben, um es für möglich zu halten und das Verdienst zu würdigen,
dabei nicht in Kundrys verhängnisvolles Gelächter auszubrechen. Diese Lach¬
freiheit ist das einzige, um was man diese mystische Dame, die sich für ihre
Schäferstündchen durch anstrengende Spazierritte im Büßerkleide schadlos zu
halten sucht, beneidet. Aber man wird nicht umhin können, ihre (bei Klingsor
patentirte) Verführungskunst mittels der Erinnerung an die Mutter auf deu
Sohn einzuwirken, für recht naiv, hauptsächlich aber für den Gipfel der Wider¬
lichkeit zu halten. Es braucht wirklich der ganzen Widerlichkeit der "melodischen"
Quintenfolgen in dem "Verheißungsgesang," um die Erscheinung eines der¬
artigen "reinen Thoren," welcher einer solchen Person dabei nicht ein paar
Ohrfeigen verabreicht, musikalisch würdig zu illustriren.

Dies das "Werk von Bayreuth." Nun zu deu Bayrcuthern. Um eine
Erscheinung wie die Wagnerei nicht zu bespötteln, zu verlachen und zu ver¬
dammen, sondern nur um sie überhaupt zu begreifen, darf man sie ja nicht ver¬
einzelt betrachten, sondern man muß sie in das große Kapitel von der allge¬
meinen Sektenbildung einreihen, das nicht das kürzeste und unbedeutendste in
einer umfassenden Encyklopädie des menschlichen Geisteslebens sein würde. Der
Trieb zur Sektenbildung ist ein sozialer Grundtrieb der Menschennatur. Die
feststehende Art derselben zeigt sich kaum irgendwo deutlicher als in ihm. Das
fortgeschrittenste Zeitalter der Welt (ganz natürlich, denn es ist ja das letzte) lacht
über Religion und religiöse Erregung. Und gleichwohl finden sich in unsern
politischen und künstlerischen Parteien und Genossenschaften genau, lächerlich genau
die religiösen Sekten der Vergangenheit wieder. Als der Theologe Ritschl in
seiner Göttinger Festrede unsern Freisinnigen vorhielt, daß sie mittelalterliche
Ziele und Gegensätze wiederholten, ging ein allgemeines Halloh dnrch die poli-


Bayreuth.

Auszug gebracht werden könnte, als ihn Heinrich von Stein und Glasenapp
in ihrem Richard-Wagner-Lexikon der liebebedürftigen Welt beschert haben.
Wir wollen das ja bei einem theoretisirender Dichter nicht weiter betone»,
obwohl man in Deutschland auch vom theoretisirender Dichter einen umfassen¬
deren Gedankenkreis gewöhnt ist; aber wenn er auch als Dichter immer wieder
so nackt und trostlos auf dieses A und O seiner Philosophie hinauskommt, so
wird das auf die Dauer doch recht lästig und verdächtigt die Philosophie mit¬
samt der Dichtung. Hier im Parsifal haben wir nun die Wagnerische Grund¬
idee von der welterlösenden Macht der „Reine," in der ihm Schopenhauers
„Verneinung" so ausschließlich gipfelt, in ihrer äußersten und zugleich unbe¬
holfensten Form. Wie da das ungeheure Verdienst erotischer Empfindungs¬
losigkeit metaphysisch aufgebauscht und der zufällige Widerstand gegen die doch
recht mäßigen Verführungskünste einer Kundry zur erlösenden Weltthat ge¬
stempelt wird, wie das durch alle Stufen durchgehet wird in dem lächerlichen
Eunuchen Klingsor und dem „wunden" Jämmerling Amfortas, das muß man
samt seiner musikalischen Trostlosigkeit gehört und gesehen und nicht bloß ge¬
lesen haben, um es für möglich zu halten und das Verdienst zu würdigen,
dabei nicht in Kundrys verhängnisvolles Gelächter auszubrechen. Diese Lach¬
freiheit ist das einzige, um was man diese mystische Dame, die sich für ihre
Schäferstündchen durch anstrengende Spazierritte im Büßerkleide schadlos zu
halten sucht, beneidet. Aber man wird nicht umhin können, ihre (bei Klingsor
patentirte) Verführungskunst mittels der Erinnerung an die Mutter auf deu
Sohn einzuwirken, für recht naiv, hauptsächlich aber für den Gipfel der Wider¬
lichkeit zu halten. Es braucht wirklich der ganzen Widerlichkeit der „melodischen"
Quintenfolgen in dem „Verheißungsgesang," um die Erscheinung eines der¬
artigen „reinen Thoren," welcher einer solchen Person dabei nicht ein paar
Ohrfeigen verabreicht, musikalisch würdig zu illustriren.

Dies das „Werk von Bayreuth." Nun zu deu Bayrcuthern. Um eine
Erscheinung wie die Wagnerei nicht zu bespötteln, zu verlachen und zu ver¬
dammen, sondern nur um sie überhaupt zu begreifen, darf man sie ja nicht ver¬
einzelt betrachten, sondern man muß sie in das große Kapitel von der allge¬
meinen Sektenbildung einreihen, das nicht das kürzeste und unbedeutendste in
einer umfassenden Encyklopädie des menschlichen Geisteslebens sein würde. Der
Trieb zur Sektenbildung ist ein sozialer Grundtrieb der Menschennatur. Die
feststehende Art derselben zeigt sich kaum irgendwo deutlicher als in ihm. Das
fortgeschrittenste Zeitalter der Welt (ganz natürlich, denn es ist ja das letzte) lacht
über Religion und religiöse Erregung. Und gleichwohl finden sich in unsern
politischen und künstlerischen Parteien und Genossenschaften genau, lächerlich genau
die religiösen Sekten der Vergangenheit wieder. Als der Theologe Ritschl in
seiner Göttinger Festrede unsern Freisinnigen vorhielt, daß sie mittelalterliche
Ziele und Gegensätze wiederholten, ging ein allgemeines Halloh dnrch die poli-


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[0370] Bayreuth. Auszug gebracht werden könnte, als ihn Heinrich von Stein und Glasenapp in ihrem Richard-Wagner-Lexikon der liebebedürftigen Welt beschert haben. Wir wollen das ja bei einem theoretisirender Dichter nicht weiter betone», obwohl man in Deutschland auch vom theoretisirender Dichter einen umfassen¬ deren Gedankenkreis gewöhnt ist; aber wenn er auch als Dichter immer wieder so nackt und trostlos auf dieses A und O seiner Philosophie hinauskommt, so wird das auf die Dauer doch recht lästig und verdächtigt die Philosophie mit¬ samt der Dichtung. Hier im Parsifal haben wir nun die Wagnerische Grund¬ idee von der welterlösenden Macht der „Reine," in der ihm Schopenhauers „Verneinung" so ausschließlich gipfelt, in ihrer äußersten und zugleich unbe¬ holfensten Form. Wie da das ungeheure Verdienst erotischer Empfindungs¬ losigkeit metaphysisch aufgebauscht und der zufällige Widerstand gegen die doch recht mäßigen Verführungskünste einer Kundry zur erlösenden Weltthat ge¬ stempelt wird, wie das durch alle Stufen durchgehet wird in dem lächerlichen Eunuchen Klingsor und dem „wunden" Jämmerling Amfortas, das muß man samt seiner musikalischen Trostlosigkeit gehört und gesehen und nicht bloß ge¬ lesen haben, um es für möglich zu halten und das Verdienst zu würdigen, dabei nicht in Kundrys verhängnisvolles Gelächter auszubrechen. Diese Lach¬ freiheit ist das einzige, um was man diese mystische Dame, die sich für ihre Schäferstündchen durch anstrengende Spazierritte im Büßerkleide schadlos zu halten sucht, beneidet. Aber man wird nicht umhin können, ihre (bei Klingsor patentirte) Verführungskunst mittels der Erinnerung an die Mutter auf deu Sohn einzuwirken, für recht naiv, hauptsächlich aber für den Gipfel der Wider¬ lichkeit zu halten. Es braucht wirklich der ganzen Widerlichkeit der „melodischen" Quintenfolgen in dem „Verheißungsgesang," um die Erscheinung eines der¬ artigen „reinen Thoren," welcher einer solchen Person dabei nicht ein paar Ohrfeigen verabreicht, musikalisch würdig zu illustriren. Dies das „Werk von Bayreuth." Nun zu deu Bayrcuthern. Um eine Erscheinung wie die Wagnerei nicht zu bespötteln, zu verlachen und zu ver¬ dammen, sondern nur um sie überhaupt zu begreifen, darf man sie ja nicht ver¬ einzelt betrachten, sondern man muß sie in das große Kapitel von der allge¬ meinen Sektenbildung einreihen, das nicht das kürzeste und unbedeutendste in einer umfassenden Encyklopädie des menschlichen Geisteslebens sein würde. Der Trieb zur Sektenbildung ist ein sozialer Grundtrieb der Menschennatur. Die feststehende Art derselben zeigt sich kaum irgendwo deutlicher als in ihm. Das fortgeschrittenste Zeitalter der Welt (ganz natürlich, denn es ist ja das letzte) lacht über Religion und religiöse Erregung. Und gleichwohl finden sich in unsern politischen und künstlerischen Parteien und Genossenschaften genau, lächerlich genau die religiösen Sekten der Vergangenheit wieder. Als der Theologe Ritschl in seiner Göttinger Festrede unsern Freisinnigen vorhielt, daß sie mittelalterliche Ziele und Gegensätze wiederholten, ging ein allgemeines Halloh dnrch die poli-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/370>, abgerufen am 24.08.2024.