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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Bayreuth.

Wie die Lilie in ein Päonien- und Georginenbeet. Man weiß jetzt, daß Wagner
sich lange mit dem Plane trug, die Büßerin von Magdala in irdischer Liebe für
den Heiland entbrennen zu lassen. Das wäre auch für Bayreuth unausführbar
gewesen, und so erhielten wir denn die dünne Umflorung dieses Vorwurfs mit der
Geschichte unsers tiefsinnigen, mittelalterlichen Romanhelden, dessen ehrwürdige
Gestalt für einen solchen Kulissendienst doch zu gut hätte sein sollen. Aber
auch so ist die Sache widerwärtig genug. Die Verführungsszeue mit dem
Blumenmädchen steht dabei wahrlich nicht im Vordergründe. Jeder Zeitungs¬
schreiber und mancher, ders gewiß nicht nötig hat, verdreht dabei die Augen.
Sie ist nur eine Wiederholung der berüchtigten, ebenso deutlichen Nheintochter-
szene aus dem Rheingold, und wir finden sie genau so abgeschmackt wie jene.
Sie erhebt sich gar nicht zu der Höhe einer moralischen Beurteilung; dafür ist
sie gar zu knabenhaft albern. Sie ist "in Wort und Weise" so grotesk plump
und unwahr (wiewohl es doch so grimmig ernst beabsichtigt ist), daß sie niemals
zu bösem Kitzel, sondern höchstens zu homerischen Gelächter reizen kann.


Ihr seid mir ein zicreS Geschlecht I
Nenn ich euch schön --
Dünkt euch das recht?

Solche Windelverse musikalischer Wickelkinder, die nur quälen und schreien, lassen
doch sofort jeden Ansatz zu einer schwülen Stimmung, den etwa die Hand¬
greiflichkeit der kurzröckigen "Mädchenblnmen" heraufbeschwört, im Nu sich ent¬
laden. Sie "dünken" denn auch den Wagnerianern "recht" und -- unschuldig
genug, sie auf ihre Briefbogen (mit denen in Bciyrenth die Spielwarenläden
einen schwunghaften Handel treiben) drucken zu lassen. Nein, es ist etwas
andres, tiefer liegendes und bezeichnenderweise auch gleich für den ganzen
Wagner typisches, was sich uns dabei so unangenehm aufdrängt. Das ist
-- wir können hierbei deutlich werden; hat ja doch die junge Damenwelt die
Wagnerischen Textbücher in der Hand -- das ist die widerliche Breite und
Wichtigkeit, mit der -- wir suchen doch nach einer weniger anstößigen Fassung,
da ja dieser Aufsatz nicht gesungen wird -- die Nachtseite der menschlichen
Liebessphäre sich in Wagners Denken und Dichten vordrängt. Wer die elf
Großoktavbände Wagnerischer Philosophie und Poesie nicht bloß mit heiliger
Scheu in ihren Einbänden bewundert, dem wird es bald auffallen, welch eine
erst verblüffende, später abstoßende Rolle der aus dieser Sphäre hergeholte
Vergleich in Wagners theoretischen Schriften spielt. Durch alle Reiche der
Natur hindurch, Physisch und metaphysisch, wühlt er förmlich in dieser einen
Vorstellung herum, indem er sich zu ihrem philosophisch-poetisch-sozialen Rein¬
heitshort aufwirft. Das ist der springende Punkt, aus dem er sich die Schopen-
hauersche Philosophie und alles Denken und Dichten der Welt konstruirte. "Der
Mann -- das Weib" und wieder "das Weib -- der Mann," vom übrigen zu
schweigen, das ist der Kehrreim seiner Theorie, die in einen sehr viel schmäleren


Grenzboten III. 1888. 46
Bayreuth.

Wie die Lilie in ein Päonien- und Georginenbeet. Man weiß jetzt, daß Wagner
sich lange mit dem Plane trug, die Büßerin von Magdala in irdischer Liebe für
den Heiland entbrennen zu lassen. Das wäre auch für Bayreuth unausführbar
gewesen, und so erhielten wir denn die dünne Umflorung dieses Vorwurfs mit der
Geschichte unsers tiefsinnigen, mittelalterlichen Romanhelden, dessen ehrwürdige
Gestalt für einen solchen Kulissendienst doch zu gut hätte sein sollen. Aber
auch so ist die Sache widerwärtig genug. Die Verführungsszeue mit dem
Blumenmädchen steht dabei wahrlich nicht im Vordergründe. Jeder Zeitungs¬
schreiber und mancher, ders gewiß nicht nötig hat, verdreht dabei die Augen.
Sie ist nur eine Wiederholung der berüchtigten, ebenso deutlichen Nheintochter-
szene aus dem Rheingold, und wir finden sie genau so abgeschmackt wie jene.
Sie erhebt sich gar nicht zu der Höhe einer moralischen Beurteilung; dafür ist
sie gar zu knabenhaft albern. Sie ist „in Wort und Weise" so grotesk plump
und unwahr (wiewohl es doch so grimmig ernst beabsichtigt ist), daß sie niemals
zu bösem Kitzel, sondern höchstens zu homerischen Gelächter reizen kann.


Ihr seid mir ein zicreS Geschlecht I
Nenn ich euch schön —
Dünkt euch das recht?

Solche Windelverse musikalischer Wickelkinder, die nur quälen und schreien, lassen
doch sofort jeden Ansatz zu einer schwülen Stimmung, den etwa die Hand¬
greiflichkeit der kurzröckigen „Mädchenblnmen" heraufbeschwört, im Nu sich ent¬
laden. Sie „dünken" denn auch den Wagnerianern „recht" und — unschuldig
genug, sie auf ihre Briefbogen (mit denen in Bciyrenth die Spielwarenläden
einen schwunghaften Handel treiben) drucken zu lassen. Nein, es ist etwas
andres, tiefer liegendes und bezeichnenderweise auch gleich für den ganzen
Wagner typisches, was sich uns dabei so unangenehm aufdrängt. Das ist
— wir können hierbei deutlich werden; hat ja doch die junge Damenwelt die
Wagnerischen Textbücher in der Hand — das ist die widerliche Breite und
Wichtigkeit, mit der — wir suchen doch nach einer weniger anstößigen Fassung,
da ja dieser Aufsatz nicht gesungen wird — die Nachtseite der menschlichen
Liebessphäre sich in Wagners Denken und Dichten vordrängt. Wer die elf
Großoktavbände Wagnerischer Philosophie und Poesie nicht bloß mit heiliger
Scheu in ihren Einbänden bewundert, dem wird es bald auffallen, welch eine
erst verblüffende, später abstoßende Rolle der aus dieser Sphäre hergeholte
Vergleich in Wagners theoretischen Schriften spielt. Durch alle Reiche der
Natur hindurch, Physisch und metaphysisch, wühlt er förmlich in dieser einen
Vorstellung herum, indem er sich zu ihrem philosophisch-poetisch-sozialen Rein¬
heitshort aufwirft. Das ist der springende Punkt, aus dem er sich die Schopen-
hauersche Philosophie und alles Denken und Dichten der Welt konstruirte. „Der
Mann — das Weib" und wieder „das Weib — der Mann," vom übrigen zu
schweigen, das ist der Kehrreim seiner Theorie, die in einen sehr viel schmäleren


Grenzboten III. 1888. 46
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[0369] Bayreuth. Wie die Lilie in ein Päonien- und Georginenbeet. Man weiß jetzt, daß Wagner sich lange mit dem Plane trug, die Büßerin von Magdala in irdischer Liebe für den Heiland entbrennen zu lassen. Das wäre auch für Bayreuth unausführbar gewesen, und so erhielten wir denn die dünne Umflorung dieses Vorwurfs mit der Geschichte unsers tiefsinnigen, mittelalterlichen Romanhelden, dessen ehrwürdige Gestalt für einen solchen Kulissendienst doch zu gut hätte sein sollen. Aber auch so ist die Sache widerwärtig genug. Die Verführungsszeue mit dem Blumenmädchen steht dabei wahrlich nicht im Vordergründe. Jeder Zeitungs¬ schreiber und mancher, ders gewiß nicht nötig hat, verdreht dabei die Augen. Sie ist nur eine Wiederholung der berüchtigten, ebenso deutlichen Nheintochter- szene aus dem Rheingold, und wir finden sie genau so abgeschmackt wie jene. Sie erhebt sich gar nicht zu der Höhe einer moralischen Beurteilung; dafür ist sie gar zu knabenhaft albern. Sie ist „in Wort und Weise" so grotesk plump und unwahr (wiewohl es doch so grimmig ernst beabsichtigt ist), daß sie niemals zu bösem Kitzel, sondern höchstens zu homerischen Gelächter reizen kann. Ihr seid mir ein zicreS Geschlecht I Nenn ich euch schön — Dünkt euch das recht? Solche Windelverse musikalischer Wickelkinder, die nur quälen und schreien, lassen doch sofort jeden Ansatz zu einer schwülen Stimmung, den etwa die Hand¬ greiflichkeit der kurzröckigen „Mädchenblnmen" heraufbeschwört, im Nu sich ent¬ laden. Sie „dünken" denn auch den Wagnerianern „recht" und — unschuldig genug, sie auf ihre Briefbogen (mit denen in Bciyrenth die Spielwarenläden einen schwunghaften Handel treiben) drucken zu lassen. Nein, es ist etwas andres, tiefer liegendes und bezeichnenderweise auch gleich für den ganzen Wagner typisches, was sich uns dabei so unangenehm aufdrängt. Das ist — wir können hierbei deutlich werden; hat ja doch die junge Damenwelt die Wagnerischen Textbücher in der Hand — das ist die widerliche Breite und Wichtigkeit, mit der — wir suchen doch nach einer weniger anstößigen Fassung, da ja dieser Aufsatz nicht gesungen wird — die Nachtseite der menschlichen Liebessphäre sich in Wagners Denken und Dichten vordrängt. Wer die elf Großoktavbände Wagnerischer Philosophie und Poesie nicht bloß mit heiliger Scheu in ihren Einbänden bewundert, dem wird es bald auffallen, welch eine erst verblüffende, später abstoßende Rolle der aus dieser Sphäre hergeholte Vergleich in Wagners theoretischen Schriften spielt. Durch alle Reiche der Natur hindurch, Physisch und metaphysisch, wühlt er förmlich in dieser einen Vorstellung herum, indem er sich zu ihrem philosophisch-poetisch-sozialen Rein¬ heitshort aufwirft. Das ist der springende Punkt, aus dem er sich die Schopen- hauersche Philosophie und alles Denken und Dichten der Welt konstruirte. „Der Mann — das Weib" und wieder „das Weib — der Mann," vom übrigen zu schweigen, das ist der Kehrreim seiner Theorie, die in einen sehr viel schmäleren Grenzboten III. 1888. 46

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/369>, abgerufen am 24.08.2024.