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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Bayreuth.

selbst zu obligater Begleitung zu verwenden. Aber dafür soll Wagner seine
glücklichste Idee, die eigentliche, die ihm seine "Zukunft," d. h. die heutige
Gegenwart, gesichert hat, nämlich den Stoffkreis für seine Texte der deutschen
Sage zu entnehmen, Schopenhauer verdanken. Wie wenig die Ausführung dem
Philosophen entsprach, ist durch dessen derbes Urteil über die ihm vorgelegte
"Walküre" hinlänglich bekannt. Aber in all diesen Texten, vom Tannhäuser
an, mit dem Wagner bereits dies besondre Gebiet betrat, und stellenweise doch
noch in den ungeheuerlichen Ausgeburten der für ihn so verhängnisvollen
"Meisterperiode," ist doch nicht bloß ein ganz ungemeines Geschick, sondern auch
eine (leider nur oft übereifrige) Hingebung an den Vorwurf und starke dra¬
matische Wirkungen freudig und dankbar anzuerkennen. Wenn Tannhäuser
(gleichviel wie) das Gottesgericht auf der Wartburg auf sich herabbeschwört
und Elisabeth sich schützend vor ihn wirft, wenn die von Ortrud verblendeten
Brabanter den Retter der Unschuld staunend nahen sehen und ihren Sieg in
Jubelweisen feiern, wenn die Nürnberger Bürger ihren Hans Sachs mit jenem
kräftigen Weckliede der Reformation ehren und begeistert in den Werbesang um
ihre Mitbürgerin einfallen, so wird sich kein Kind unsrer Zeit dem bestrickenden
Zauber der Szene entziehen können. Wenn irgend etwas aus diesen Opern,
die Wagners Eigentümlichkeit in der Kunstgeschichte bezeichnen und durch die
er sich seine Herrschaft über die Zeitbühne erobert hat, späterer Zeit noch ver¬
ständlich sein wird, wenn irgend etwas imstande sein wird, die Macht seiner
Kunst auf die Zeit zu erklären, so sind es solche Szenen. Und wenn in den
Meistersingern Hans Sachs dem unwillig die Meisterkette abwehrenden Walther
sein "Verachtet mir die Meister nicht!" zuruft (nur braucht er ihn dabei nicht
gleich so klobig anzupacken, wie Herr Reichmann in Bayreuth!) und dann der
prächtige Zwiegesang zwischen dem Preisliede und den Meistersingermotiven
ertönt, dann wird kein billig denkender (so schwer es einem auch mitunter ge¬
macht wird) zu denen gehören, die "ihre deutschen Meister nicht ehren," nur
jeden "grad recht in seiner Weis" und diesen nun gerade nicht als den "Meister
aller Meister," als den "Meister" an sich.

So hätte uns denn der unglückselige Parsifal mit seinem mißverständlich -
etymologischen Namen und seiner unverständlich-archäologischen Musik Fes in
das Wagncrthema hineingeführt. Aber es wäre in der That böswillig, nach
dem Vorgange der Wagnerianer diesen mühsamen Altersauszug von Wagners
Schaffen als angebliche Krone desselben zu einer billigen kritischen Abfuhr aus¬
zunutzen. Für den unbefangenen Beurteiler ist es natürlich, daß er sich dann,
statt einfach zu verdammen, lieber des ganzen Weges erinnert, auf dem es zu
solchem traurigen Ende hat kommen können und müssen. Schon der Stoff
erklärt manches. Er wäre auch dem jüngern, in Wahn -- fried noch nicht
gänzlich geistig umnebelten Komponisten zu einem Mißerfolge gerade auf seinem
eigentlichen Boden ausgeschlagen. Das Erlöserthema paßte für diesen Boden


Bayreuth.

selbst zu obligater Begleitung zu verwenden. Aber dafür soll Wagner seine
glücklichste Idee, die eigentliche, die ihm seine „Zukunft," d. h. die heutige
Gegenwart, gesichert hat, nämlich den Stoffkreis für seine Texte der deutschen
Sage zu entnehmen, Schopenhauer verdanken. Wie wenig die Ausführung dem
Philosophen entsprach, ist durch dessen derbes Urteil über die ihm vorgelegte
„Walküre" hinlänglich bekannt. Aber in all diesen Texten, vom Tannhäuser
an, mit dem Wagner bereits dies besondre Gebiet betrat, und stellenweise doch
noch in den ungeheuerlichen Ausgeburten der für ihn so verhängnisvollen
„Meisterperiode," ist doch nicht bloß ein ganz ungemeines Geschick, sondern auch
eine (leider nur oft übereifrige) Hingebung an den Vorwurf und starke dra¬
matische Wirkungen freudig und dankbar anzuerkennen. Wenn Tannhäuser
(gleichviel wie) das Gottesgericht auf der Wartburg auf sich herabbeschwört
und Elisabeth sich schützend vor ihn wirft, wenn die von Ortrud verblendeten
Brabanter den Retter der Unschuld staunend nahen sehen und ihren Sieg in
Jubelweisen feiern, wenn die Nürnberger Bürger ihren Hans Sachs mit jenem
kräftigen Weckliede der Reformation ehren und begeistert in den Werbesang um
ihre Mitbürgerin einfallen, so wird sich kein Kind unsrer Zeit dem bestrickenden
Zauber der Szene entziehen können. Wenn irgend etwas aus diesen Opern,
die Wagners Eigentümlichkeit in der Kunstgeschichte bezeichnen und durch die
er sich seine Herrschaft über die Zeitbühne erobert hat, späterer Zeit noch ver¬
ständlich sein wird, wenn irgend etwas imstande sein wird, die Macht seiner
Kunst auf die Zeit zu erklären, so sind es solche Szenen. Und wenn in den
Meistersingern Hans Sachs dem unwillig die Meisterkette abwehrenden Walther
sein „Verachtet mir die Meister nicht!" zuruft (nur braucht er ihn dabei nicht
gleich so klobig anzupacken, wie Herr Reichmann in Bayreuth!) und dann der
prächtige Zwiegesang zwischen dem Preisliede und den Meistersingermotiven
ertönt, dann wird kein billig denkender (so schwer es einem auch mitunter ge¬
macht wird) zu denen gehören, die „ihre deutschen Meister nicht ehren," nur
jeden „grad recht in seiner Weis" und diesen nun gerade nicht als den „Meister
aller Meister," als den „Meister" an sich.

So hätte uns denn der unglückselige Parsifal mit seinem mißverständlich -
etymologischen Namen und seiner unverständlich-archäologischen Musik Fes in
das Wagncrthema hineingeführt. Aber es wäre in der That böswillig, nach
dem Vorgange der Wagnerianer diesen mühsamen Altersauszug von Wagners
Schaffen als angebliche Krone desselben zu einer billigen kritischen Abfuhr aus¬
zunutzen. Für den unbefangenen Beurteiler ist es natürlich, daß er sich dann,
statt einfach zu verdammen, lieber des ganzen Weges erinnert, auf dem es zu
solchem traurigen Ende hat kommen können und müssen. Schon der Stoff
erklärt manches. Er wäre auch dem jüngern, in Wahn — fried noch nicht
gänzlich geistig umnebelten Komponisten zu einem Mißerfolge gerade auf seinem
eigentlichen Boden ausgeschlagen. Das Erlöserthema paßte für diesen Boden


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[0368] Bayreuth. selbst zu obligater Begleitung zu verwenden. Aber dafür soll Wagner seine glücklichste Idee, die eigentliche, die ihm seine „Zukunft," d. h. die heutige Gegenwart, gesichert hat, nämlich den Stoffkreis für seine Texte der deutschen Sage zu entnehmen, Schopenhauer verdanken. Wie wenig die Ausführung dem Philosophen entsprach, ist durch dessen derbes Urteil über die ihm vorgelegte „Walküre" hinlänglich bekannt. Aber in all diesen Texten, vom Tannhäuser an, mit dem Wagner bereits dies besondre Gebiet betrat, und stellenweise doch noch in den ungeheuerlichen Ausgeburten der für ihn so verhängnisvollen „Meisterperiode," ist doch nicht bloß ein ganz ungemeines Geschick, sondern auch eine (leider nur oft übereifrige) Hingebung an den Vorwurf und starke dra¬ matische Wirkungen freudig und dankbar anzuerkennen. Wenn Tannhäuser (gleichviel wie) das Gottesgericht auf der Wartburg auf sich herabbeschwört und Elisabeth sich schützend vor ihn wirft, wenn die von Ortrud verblendeten Brabanter den Retter der Unschuld staunend nahen sehen und ihren Sieg in Jubelweisen feiern, wenn die Nürnberger Bürger ihren Hans Sachs mit jenem kräftigen Weckliede der Reformation ehren und begeistert in den Werbesang um ihre Mitbürgerin einfallen, so wird sich kein Kind unsrer Zeit dem bestrickenden Zauber der Szene entziehen können. Wenn irgend etwas aus diesen Opern, die Wagners Eigentümlichkeit in der Kunstgeschichte bezeichnen und durch die er sich seine Herrschaft über die Zeitbühne erobert hat, späterer Zeit noch ver¬ ständlich sein wird, wenn irgend etwas imstande sein wird, die Macht seiner Kunst auf die Zeit zu erklären, so sind es solche Szenen. Und wenn in den Meistersingern Hans Sachs dem unwillig die Meisterkette abwehrenden Walther sein „Verachtet mir die Meister nicht!" zuruft (nur braucht er ihn dabei nicht gleich so klobig anzupacken, wie Herr Reichmann in Bayreuth!) und dann der prächtige Zwiegesang zwischen dem Preisliede und den Meistersingermotiven ertönt, dann wird kein billig denkender (so schwer es einem auch mitunter ge¬ macht wird) zu denen gehören, die „ihre deutschen Meister nicht ehren," nur jeden „grad recht in seiner Weis" und diesen nun gerade nicht als den „Meister aller Meister," als den „Meister" an sich. So hätte uns denn der unglückselige Parsifal mit seinem mißverständlich - etymologischen Namen und seiner unverständlich-archäologischen Musik Fes in das Wagncrthema hineingeführt. Aber es wäre in der That böswillig, nach dem Vorgange der Wagnerianer diesen mühsamen Altersauszug von Wagners Schaffen als angebliche Krone desselben zu einer billigen kritischen Abfuhr aus¬ zunutzen. Für den unbefangenen Beurteiler ist es natürlich, daß er sich dann, statt einfach zu verdammen, lieber des ganzen Weges erinnert, auf dem es zu solchem traurigen Ende hat kommen können und müssen. Schon der Stoff erklärt manches. Er wäre auch dem jüngern, in Wahn — fried noch nicht gänzlich geistig umnebelten Komponisten zu einem Mißerfolge gerade auf seinem eigentlichen Boden ausgeschlagen. Das Erlöserthema paßte für diesen Boden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/368>, abgerufen am 24.08.2024.