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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Bayreuth.

sie ist ein festes Gerüst, das sich stark und sicher ins Ohr schlägt, und an dem
sich nun die exotischen Farben der aufbrausenden und absterbenden Harmonien
aufrollen. Man wird jetzt verstehen, weshalb man die Wagnersche Musik, und
zwar zunächst in Kreisen, die musiktheoretisch unbeteiligt einen naiven Eindruck
aussprachen, dekorativ nennen konnte. Das Geheimnis des Dekorateurs, sicher
und augenblicklich starke Wirkungen zu erzielen, indem er durch übersichtlichste
Gruppirung und feste Linien das Auge bannt und die Leere des Eindrucks
durch einen berauschenden Aufwand üppiger Farben verdeckt, dies Geheimnis,
dem sein gleichgestimmtes und oft genug mit ihm verglichenes malerisches Pendant
Hans Makart seine Macht über das neunzehnte Jahrhundert*) verdankt, hat
auch Wagner zu seinem Erfolge verholfen. Es ist ja auch bezeichnend, daß
Wagner seinen zahlreichsten und lautesten Anhang in Wien gefunden hat, und
der Vergleich mußte sich diesmal wieder demjenigen so recht aufdrängen, der an den
geräumigen Anzeigeschildern der Phäakenstadt an der Donau die riesigen Ein¬
ladungen des dortigen akademischen Wagnervereins (des einzigen, der wirklich
-- dafür aber auch unheimlich starke -- Wurzeln geschlagen hat) zum Extra¬
pilgerzug "auf nach Bayreuth" zu bewundern, noch mehr, wer diese Extrapilger
dann in Bayreuth zu bewundern Gelegenheit hatte. Allein das darf doch dabei
nicht verkannt und noch weniger dem wütenden Troß der Bewunderer gegenüber
in Abrede gestellt werden, daß in den redenden Künsten ein solcher Erfolg ein
gutes Teil ernsterer und tüchtigerer Grundlage erfordert als gerade in dieser
bildenden Kunst, der Malerei. Es sind im besondern Sinne -- ohne natürlich
damit eine nachteilige Wertschätzung einzuschließen -- geistreichere Künste, und
es wird ein geiht- und kenntnisreicherer Mann sein müssen, der hier ähnliche
Wirkungen erzielen will. Besonders in Deutschland, wo doch schließlich auf
die Dauer auch in der großen Masse nichts wirklich Boden gewinnt, was so
völlig des Ernstes und des höhern Schwunges entbehrt. In dieser Hinsicht
war ja auch Meyerbeer ein allzulehrreiches Exempel gewesen, mit dem Wagner
einen so auffallenden, jetzt so gern vergessen gewünschten Parallelismus der Ent¬
wicklung zeigt. Und Wagner war nur ein allzu geiht- und kenntnisreicher Mann
für seine besondre Kunst, die Musik. Wann aber auch sonst als in unserm
Jahrhundert hätte ein geistreicher Musiker auf die überspannte Idee kommen
können, ein philosophisches System mit Haut und Haaren, d. h. mit seiner
Terminologie (und einer so wenig musikalischen wie der Arthur Schopenhauers)
in Musik zu setzen!

Die Welt als Wille und Vorstellung für Sopran- oder Tenorsolo (und
namentlich Baritonsolo) mit großem Orchester! Wenn man Mozart, der in
dieser Hinsicht gar nicht so naiv und unbelehrt war, von solcher Tollheit be¬
richtet hätte, er hätte vielleicht empfohlen, die bekannte Flöte des Philosophen



*) Einige Jahre des neunzehnten Jahrhunderts! D. Red.
Bayreuth.

sie ist ein festes Gerüst, das sich stark und sicher ins Ohr schlägt, und an dem
sich nun die exotischen Farben der aufbrausenden und absterbenden Harmonien
aufrollen. Man wird jetzt verstehen, weshalb man die Wagnersche Musik, und
zwar zunächst in Kreisen, die musiktheoretisch unbeteiligt einen naiven Eindruck
aussprachen, dekorativ nennen konnte. Das Geheimnis des Dekorateurs, sicher
und augenblicklich starke Wirkungen zu erzielen, indem er durch übersichtlichste
Gruppirung und feste Linien das Auge bannt und die Leere des Eindrucks
durch einen berauschenden Aufwand üppiger Farben verdeckt, dies Geheimnis,
dem sein gleichgestimmtes und oft genug mit ihm verglichenes malerisches Pendant
Hans Makart seine Macht über das neunzehnte Jahrhundert*) verdankt, hat
auch Wagner zu seinem Erfolge verholfen. Es ist ja auch bezeichnend, daß
Wagner seinen zahlreichsten und lautesten Anhang in Wien gefunden hat, und
der Vergleich mußte sich diesmal wieder demjenigen so recht aufdrängen, der an den
geräumigen Anzeigeschildern der Phäakenstadt an der Donau die riesigen Ein¬
ladungen des dortigen akademischen Wagnervereins (des einzigen, der wirklich
— dafür aber auch unheimlich starke — Wurzeln geschlagen hat) zum Extra¬
pilgerzug „auf nach Bayreuth" zu bewundern, noch mehr, wer diese Extrapilger
dann in Bayreuth zu bewundern Gelegenheit hatte. Allein das darf doch dabei
nicht verkannt und noch weniger dem wütenden Troß der Bewunderer gegenüber
in Abrede gestellt werden, daß in den redenden Künsten ein solcher Erfolg ein
gutes Teil ernsterer und tüchtigerer Grundlage erfordert als gerade in dieser
bildenden Kunst, der Malerei. Es sind im besondern Sinne — ohne natürlich
damit eine nachteilige Wertschätzung einzuschließen — geistreichere Künste, und
es wird ein geiht- und kenntnisreicherer Mann sein müssen, der hier ähnliche
Wirkungen erzielen will. Besonders in Deutschland, wo doch schließlich auf
die Dauer auch in der großen Masse nichts wirklich Boden gewinnt, was so
völlig des Ernstes und des höhern Schwunges entbehrt. In dieser Hinsicht
war ja auch Meyerbeer ein allzulehrreiches Exempel gewesen, mit dem Wagner
einen so auffallenden, jetzt so gern vergessen gewünschten Parallelismus der Ent¬
wicklung zeigt. Und Wagner war nur ein allzu geiht- und kenntnisreicher Mann
für seine besondre Kunst, die Musik. Wann aber auch sonst als in unserm
Jahrhundert hätte ein geistreicher Musiker auf die überspannte Idee kommen
können, ein philosophisches System mit Haut und Haaren, d. h. mit seiner
Terminologie (und einer so wenig musikalischen wie der Arthur Schopenhauers)
in Musik zu setzen!

Die Welt als Wille und Vorstellung für Sopran- oder Tenorsolo (und
namentlich Baritonsolo) mit großem Orchester! Wenn man Mozart, der in
dieser Hinsicht gar nicht so naiv und unbelehrt war, von solcher Tollheit be¬
richtet hätte, er hätte vielleicht empfohlen, die bekannte Flöte des Philosophen



*) Einige Jahre des neunzehnten Jahrhunderts! D. Red.
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[0367] Bayreuth. sie ist ein festes Gerüst, das sich stark und sicher ins Ohr schlägt, und an dem sich nun die exotischen Farben der aufbrausenden und absterbenden Harmonien aufrollen. Man wird jetzt verstehen, weshalb man die Wagnersche Musik, und zwar zunächst in Kreisen, die musiktheoretisch unbeteiligt einen naiven Eindruck aussprachen, dekorativ nennen konnte. Das Geheimnis des Dekorateurs, sicher und augenblicklich starke Wirkungen zu erzielen, indem er durch übersichtlichste Gruppirung und feste Linien das Auge bannt und die Leere des Eindrucks durch einen berauschenden Aufwand üppiger Farben verdeckt, dies Geheimnis, dem sein gleichgestimmtes und oft genug mit ihm verglichenes malerisches Pendant Hans Makart seine Macht über das neunzehnte Jahrhundert*) verdankt, hat auch Wagner zu seinem Erfolge verholfen. Es ist ja auch bezeichnend, daß Wagner seinen zahlreichsten und lautesten Anhang in Wien gefunden hat, und der Vergleich mußte sich diesmal wieder demjenigen so recht aufdrängen, der an den geräumigen Anzeigeschildern der Phäakenstadt an der Donau die riesigen Ein¬ ladungen des dortigen akademischen Wagnervereins (des einzigen, der wirklich — dafür aber auch unheimlich starke — Wurzeln geschlagen hat) zum Extra¬ pilgerzug „auf nach Bayreuth" zu bewundern, noch mehr, wer diese Extrapilger dann in Bayreuth zu bewundern Gelegenheit hatte. Allein das darf doch dabei nicht verkannt und noch weniger dem wütenden Troß der Bewunderer gegenüber in Abrede gestellt werden, daß in den redenden Künsten ein solcher Erfolg ein gutes Teil ernsterer und tüchtigerer Grundlage erfordert als gerade in dieser bildenden Kunst, der Malerei. Es sind im besondern Sinne — ohne natürlich damit eine nachteilige Wertschätzung einzuschließen — geistreichere Künste, und es wird ein geiht- und kenntnisreicherer Mann sein müssen, der hier ähnliche Wirkungen erzielen will. Besonders in Deutschland, wo doch schließlich auf die Dauer auch in der großen Masse nichts wirklich Boden gewinnt, was so völlig des Ernstes und des höhern Schwunges entbehrt. In dieser Hinsicht war ja auch Meyerbeer ein allzulehrreiches Exempel gewesen, mit dem Wagner einen so auffallenden, jetzt so gern vergessen gewünschten Parallelismus der Ent¬ wicklung zeigt. Und Wagner war nur ein allzu geiht- und kenntnisreicher Mann für seine besondre Kunst, die Musik. Wann aber auch sonst als in unserm Jahrhundert hätte ein geistreicher Musiker auf die überspannte Idee kommen können, ein philosophisches System mit Haut und Haaren, d. h. mit seiner Terminologie (und einer so wenig musikalischen wie der Arthur Schopenhauers) in Musik zu setzen! Die Welt als Wille und Vorstellung für Sopran- oder Tenorsolo (und namentlich Baritonsolo) mit großem Orchester! Wenn man Mozart, der in dieser Hinsicht gar nicht so naiv und unbelehrt war, von solcher Tollheit be¬ richtet hätte, er hätte vielleicht empfohlen, die bekannte Flöte des Philosophen *) Einige Jahre des neunzehnten Jahrhunderts! D. Red.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/367>, abgerufen am 01.10.2024.