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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Bayrouth.

doree in^fürs, und das nennt man in der Musik eben trivial. Jetzt macht sich
schon jeder Operettenkomponist diese billige Methode, eine Weise "populär" zu
machen, zu nutze. Wie stolz verschmähten sie die ältern Meister! Denn sie
schreibt sich natürlich nicht von heute und gestern, nicht von Wagner und auch
nicht von Weber her. Was so auf der flachen Hand liegt, das bedarf doch
wahrhaftig keines Genius zu seiner Erweckung. Wohl aber war es Weber, der
zuerst Mißbrauch damit getrieben hat, nachdem Mozart (im Don Juan das Largo
der Ouvertüre) und Beethoven (Arie des Florestan) einen der Natur des Gegen¬
standes angemessenen, vorsichtigen und feinfühligen, aber darum auch edel wirkungs¬
vollen Gebrauch davon gemacht hatten. Nun darf man allerdings nicht über¬
sehen, welch tiefere Bedeutung diese Methode für Wagner hat. Sie durchzieht
nämlich sein ganzes musikalisches Schaffen und ist am besten imstande, es zu
charakterisiren. Die RePetition musikalisch gesprochen ist das Lebensprinzip von
Wagners Komposition, wie im großen die Wiederholung der ganzen Weise
und des sogenannten leitenden Motivs, so im einzelnen in der Durchführung
die Wiederholung des Themas. Diese unveränderte Wiederholung eines Themas
auf verschiedenen Tonstufen nannte die alte musikalische Sprache spöttisch "Ro-
salie" oder "Schusterfleck," um die schlumpige Bequemlichkeit oder das Banau¬
sische daran zu bezeichnen. Haydn und Mozart haben sie humoristischer Wir¬
kungen halber nicht selten mit Bewußtsein angewandt; ein Prachtbeispiel dafür
bietet sich mir gerade im ersten Satze des an starken Gegensätzen so reichen
D-wM-Konzertes von Mozart. Man wird nun unter den blinden Bewunderern
des "Meisters" natürlich empört sein, über die Brutalität, zwischen der himmel¬
stürmenden "unendlichen Melodie" und der alten, bescheidenen "Rosalie"
enge verwandtschaftliche Beziehungen aufdecken zu wollen. Aber das wäre das
Schlimmste nicht, was man der "unendlichen Melodie" nachsagen könnte. Man
kocht auch in der Kunst nur mit Wasser, und es kommt nur auf den Meister
an, Nektar und Ambrosia zu bereiten. Der Nektar der unendlichen Melodie
aber muß es sich auch gefallen lassen, einmal auf seine Bestandteile chemisch
analysirt zu werden. Nun ist es ja eine bekannte Sache, daß Wagner die
Vergöttlichung der besagten "Rosalie" zur "unendlichen Melodie" durch ein
oft staunenswert scharfsinniges System der Harmonisirung erreichte, wobei
er zwar in den so verachteten "musikalischen Nippesverkäufern" Chopin und
Schumann ebenbürtige Vorarbeiter fand, worin ihm aber der Ruhm geistreicher
Selbständigkeit niemals bestritten werden soll. Auf dieser Grundlage wurde es
ihm möglich, aus dem steifleinensten aller musikalischen Kompositionsprinzipien
jenes melodische Wunderwerk zu schaffen, das ein nervöses Geschlecht, welches
nur mit halbem Ohre hört und daher des entschiedensten Entgegenkommens
von seiten des Komponisten bedarf, in die Wagnerianismus genannte Ekstase
versetzte. Die Melodie ist jetzt nicht mehr ein bewegliches "entschwindendes,"
aber dafür künstlerisch mannichfaltiges Bild, welches verfolgt sein will, sondern


Bayrouth.

doree in^fürs, und das nennt man in der Musik eben trivial. Jetzt macht sich
schon jeder Operettenkomponist diese billige Methode, eine Weise „populär" zu
machen, zu nutze. Wie stolz verschmähten sie die ältern Meister! Denn sie
schreibt sich natürlich nicht von heute und gestern, nicht von Wagner und auch
nicht von Weber her. Was so auf der flachen Hand liegt, das bedarf doch
wahrhaftig keines Genius zu seiner Erweckung. Wohl aber war es Weber, der
zuerst Mißbrauch damit getrieben hat, nachdem Mozart (im Don Juan das Largo
der Ouvertüre) und Beethoven (Arie des Florestan) einen der Natur des Gegen¬
standes angemessenen, vorsichtigen und feinfühligen, aber darum auch edel wirkungs¬
vollen Gebrauch davon gemacht hatten. Nun darf man allerdings nicht über¬
sehen, welch tiefere Bedeutung diese Methode für Wagner hat. Sie durchzieht
nämlich sein ganzes musikalisches Schaffen und ist am besten imstande, es zu
charakterisiren. Die RePetition musikalisch gesprochen ist das Lebensprinzip von
Wagners Komposition, wie im großen die Wiederholung der ganzen Weise
und des sogenannten leitenden Motivs, so im einzelnen in der Durchführung
die Wiederholung des Themas. Diese unveränderte Wiederholung eines Themas
auf verschiedenen Tonstufen nannte die alte musikalische Sprache spöttisch „Ro-
salie" oder „Schusterfleck," um die schlumpige Bequemlichkeit oder das Banau¬
sische daran zu bezeichnen. Haydn und Mozart haben sie humoristischer Wir¬
kungen halber nicht selten mit Bewußtsein angewandt; ein Prachtbeispiel dafür
bietet sich mir gerade im ersten Satze des an starken Gegensätzen so reichen
D-wM-Konzertes von Mozart. Man wird nun unter den blinden Bewunderern
des „Meisters" natürlich empört sein, über die Brutalität, zwischen der himmel¬
stürmenden „unendlichen Melodie" und der alten, bescheidenen „Rosalie"
enge verwandtschaftliche Beziehungen aufdecken zu wollen. Aber das wäre das
Schlimmste nicht, was man der „unendlichen Melodie" nachsagen könnte. Man
kocht auch in der Kunst nur mit Wasser, und es kommt nur auf den Meister
an, Nektar und Ambrosia zu bereiten. Der Nektar der unendlichen Melodie
aber muß es sich auch gefallen lassen, einmal auf seine Bestandteile chemisch
analysirt zu werden. Nun ist es ja eine bekannte Sache, daß Wagner die
Vergöttlichung der besagten „Rosalie" zur „unendlichen Melodie" durch ein
oft staunenswert scharfsinniges System der Harmonisirung erreichte, wobei
er zwar in den so verachteten „musikalischen Nippesverkäufern" Chopin und
Schumann ebenbürtige Vorarbeiter fand, worin ihm aber der Ruhm geistreicher
Selbständigkeit niemals bestritten werden soll. Auf dieser Grundlage wurde es
ihm möglich, aus dem steifleinensten aller musikalischen Kompositionsprinzipien
jenes melodische Wunderwerk zu schaffen, das ein nervöses Geschlecht, welches
nur mit halbem Ohre hört und daher des entschiedensten Entgegenkommens
von seiten des Komponisten bedarf, in die Wagnerianismus genannte Ekstase
versetzte. Die Melodie ist jetzt nicht mehr ein bewegliches „entschwindendes,"
aber dafür künstlerisch mannichfaltiges Bild, welches verfolgt sein will, sondern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/366>, abgerufen am 01.07.2024.