Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Bayreuth.

zu einem ganz abseits gelegenen tiefen (verminderte Dezime, None) herunter¬
springen, oder es ist ein quälendes Umherspringen in unreinen Quarten, Quinten,
übermäßigen und verminderten Septimer u. dergl. Man erinnere sich nur an
die Hauptvertreter dieser -- Quäkweise, an Mime in den Nibelungen, Kur-
venal im Tristan, Beckmesser in den Meistersingern, und man wird der Noten-
bcispiele entraten können, die einem den häßlichen Singsang nur unnötigerweise
wieder vor die Ohren bringen würden. Er ist durchaus nicht bloß komisch,
alle Personen beteiligen sich daran, einige glückliche, viel auf Cantilenen gestellte,
wie Siegmund, Walther von Stoltzing, nur etwas weniger. Das ist nun
Wagners idealer "Singsprechton," der Dialekt des nationalen Gesamtkunst-
werkcs. Es ist peinlich zu sagen, aber wenn die Ccmtilene darin (die Sprach¬
forscher sprechen von der Cantilene eines Dialekts, um seine musikalische Fär¬
bung zu bezeichnen), wenn dieser Singsang an einen deutschen Dialekt erinnert,
so ist es einer, dem man gerade heutzutage das Beiwort "national" entrüstet
vorenthalten würde, und der es in Wahrheit auch nicht verdient. Wagner ist
dazu gelangt, weil er das alte Nezitativ von nun an, d. h. von Zürich an,
verschmähte, weil es ja allerdings den Nachteil hatte, nicht von ihm erfunden
zu sein, sondern die ehrwürdige Arbeit mehrerer Jahrhunderte darzustellen.
Keine geringe Arbeit. Wie gewissenhaft wachte früher der Kompositionslehrcr gerade
über richtige musikalische Deklamation im Nezitativ, wie lange und vielgestaltig war
die Übung darin, wie scharf der Tadel über das Verfehlte, wie groß der Jnbel
über einen unanfechtbaren Fortschritt gerade in dieser Kunst! Wie besonnen
und sicher, wie natürlich und angemessen schritt man aber auch darin fort!
Das musikalische Nezitativ ist ein Bau für sich, zu dem Unzählige die Steine
getragen haben. Darum konnte aber auch ein Mozart darin wohnen, ohne
sich beengt zu fühlen. Welch seltsamer Geschmack, diesen Bau zu verlassen (der
noch lange nicht ausgebaut ist), um sich solch einen Affenkäfig nach eigner
Fayon dafür herzurichten. Denn das Quäkende wird man dabei in der Vor¬
stellung nicht los. Zu dieser musikalischen Übergesuchtheit auf der Bühne tritt
nun im Orchester, gleichsam zur Versöhnung, wie oben angekündigt, die Trivia¬
lität und zieht allerdings meist verlegen genug (die wohlberechnete Einstreuung
beliebter Kadenzen in Melodie und Harmonie) vor dem Publikum den Hut.
Ich kann mir nun einmal nicht helfen, die stete Wiederholung eines, sei es auch
noch so hübschen Melismas, ob man es nun zehnmal mit dem stolzen Namen
Leitmotiv belegen mag, ist und bleibt nach urewigen künstlerischen Gesetzen eine
Trivialität. Thatsächlich und aller musikalisch-dramatischen Spekulation entkleidet
(um die sich das Publikum in Wahrheit keinen Deut kümmert, es müßte denn
so Wahn -- so wagnerisch sein, die Leitmotivtabulaturen von Heinze, Wol¬
zogen u. s. w. auswendig zu lernen), rein künstlerisch betrachtet, hören die Leute
hierbei ein ins Ohr fallendes Motiv zum soundsovielten male. Das mutet sie
als alter Bekannter an, das gefällt schließlich, das muß schließlich gefallen, xar


Bayreuth.

zu einem ganz abseits gelegenen tiefen (verminderte Dezime, None) herunter¬
springen, oder es ist ein quälendes Umherspringen in unreinen Quarten, Quinten,
übermäßigen und verminderten Septimer u. dergl. Man erinnere sich nur an
die Hauptvertreter dieser — Quäkweise, an Mime in den Nibelungen, Kur-
venal im Tristan, Beckmesser in den Meistersingern, und man wird der Noten-
bcispiele entraten können, die einem den häßlichen Singsang nur unnötigerweise
wieder vor die Ohren bringen würden. Er ist durchaus nicht bloß komisch,
alle Personen beteiligen sich daran, einige glückliche, viel auf Cantilenen gestellte,
wie Siegmund, Walther von Stoltzing, nur etwas weniger. Das ist nun
Wagners idealer „Singsprechton," der Dialekt des nationalen Gesamtkunst-
werkcs. Es ist peinlich zu sagen, aber wenn die Ccmtilene darin (die Sprach¬
forscher sprechen von der Cantilene eines Dialekts, um seine musikalische Fär¬
bung zu bezeichnen), wenn dieser Singsang an einen deutschen Dialekt erinnert,
so ist es einer, dem man gerade heutzutage das Beiwort „national" entrüstet
vorenthalten würde, und der es in Wahrheit auch nicht verdient. Wagner ist
dazu gelangt, weil er das alte Nezitativ von nun an, d. h. von Zürich an,
verschmähte, weil es ja allerdings den Nachteil hatte, nicht von ihm erfunden
zu sein, sondern die ehrwürdige Arbeit mehrerer Jahrhunderte darzustellen.
Keine geringe Arbeit. Wie gewissenhaft wachte früher der Kompositionslehrcr gerade
über richtige musikalische Deklamation im Nezitativ, wie lange und vielgestaltig war
die Übung darin, wie scharf der Tadel über das Verfehlte, wie groß der Jnbel
über einen unanfechtbaren Fortschritt gerade in dieser Kunst! Wie besonnen
und sicher, wie natürlich und angemessen schritt man aber auch darin fort!
Das musikalische Nezitativ ist ein Bau für sich, zu dem Unzählige die Steine
getragen haben. Darum konnte aber auch ein Mozart darin wohnen, ohne
sich beengt zu fühlen. Welch seltsamer Geschmack, diesen Bau zu verlassen (der
noch lange nicht ausgebaut ist), um sich solch einen Affenkäfig nach eigner
Fayon dafür herzurichten. Denn das Quäkende wird man dabei in der Vor¬
stellung nicht los. Zu dieser musikalischen Übergesuchtheit auf der Bühne tritt
nun im Orchester, gleichsam zur Versöhnung, wie oben angekündigt, die Trivia¬
lität und zieht allerdings meist verlegen genug (die wohlberechnete Einstreuung
beliebter Kadenzen in Melodie und Harmonie) vor dem Publikum den Hut.
Ich kann mir nun einmal nicht helfen, die stete Wiederholung eines, sei es auch
noch so hübschen Melismas, ob man es nun zehnmal mit dem stolzen Namen
Leitmotiv belegen mag, ist und bleibt nach urewigen künstlerischen Gesetzen eine
Trivialität. Thatsächlich und aller musikalisch-dramatischen Spekulation entkleidet
(um die sich das Publikum in Wahrheit keinen Deut kümmert, es müßte denn
so Wahn — so wagnerisch sein, die Leitmotivtabulaturen von Heinze, Wol¬
zogen u. s. w. auswendig zu lernen), rein künstlerisch betrachtet, hören die Leute
hierbei ein ins Ohr fallendes Motiv zum soundsovielten male. Das mutet sie
als alter Bekannter an, das gefällt schließlich, das muß schließlich gefallen, xar


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0365" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/289488"/>
          <fw type="header" place="top"> Bayreuth.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1235" prev="#ID_1234" next="#ID_1236"> zu einem ganz abseits gelegenen tiefen (verminderte Dezime, None) herunter¬<lb/>
springen, oder es ist ein quälendes Umherspringen in unreinen Quarten, Quinten,<lb/>
übermäßigen und verminderten Septimer u. dergl. Man erinnere sich nur an<lb/>
die Hauptvertreter dieser &#x2014; Quäkweise, an Mime in den Nibelungen, Kur-<lb/>
venal im Tristan, Beckmesser in den Meistersingern, und man wird der Noten-<lb/>
bcispiele entraten können, die einem den häßlichen Singsang nur unnötigerweise<lb/>
wieder vor die Ohren bringen würden. Er ist durchaus nicht bloß komisch,<lb/>
alle Personen beteiligen sich daran, einige glückliche, viel auf Cantilenen gestellte,<lb/>
wie Siegmund, Walther von Stoltzing, nur etwas weniger. Das ist nun<lb/>
Wagners idealer &#x201E;Singsprechton," der Dialekt des nationalen Gesamtkunst-<lb/>
werkcs. Es ist peinlich zu sagen, aber wenn die Ccmtilene darin (die Sprach¬<lb/>
forscher sprechen von der Cantilene eines Dialekts, um seine musikalische Fär¬<lb/>
bung zu bezeichnen), wenn dieser Singsang an einen deutschen Dialekt erinnert,<lb/>
so ist es einer, dem man gerade heutzutage das Beiwort &#x201E;national" entrüstet<lb/>
vorenthalten würde, und der es in Wahrheit auch nicht verdient. Wagner ist<lb/>
dazu gelangt, weil er das alte Nezitativ von nun an, d. h. von Zürich an,<lb/>
verschmähte, weil es ja allerdings den Nachteil hatte, nicht von ihm erfunden<lb/>
zu sein, sondern die ehrwürdige Arbeit mehrerer Jahrhunderte darzustellen.<lb/>
Keine geringe Arbeit. Wie gewissenhaft wachte früher der Kompositionslehrcr gerade<lb/>
über richtige musikalische Deklamation im Nezitativ, wie lange und vielgestaltig war<lb/>
die Übung darin, wie scharf der Tadel über das Verfehlte, wie groß der Jnbel<lb/>
über einen unanfechtbaren Fortschritt gerade in dieser Kunst! Wie besonnen<lb/>
und sicher, wie natürlich und angemessen schritt man aber auch darin fort!<lb/>
Das musikalische Nezitativ ist ein Bau für sich, zu dem Unzählige die Steine<lb/>
getragen haben. Darum konnte aber auch ein Mozart darin wohnen, ohne<lb/>
sich beengt zu fühlen. Welch seltsamer Geschmack, diesen Bau zu verlassen (der<lb/>
noch lange nicht ausgebaut ist), um sich solch einen Affenkäfig nach eigner<lb/>
Fayon dafür herzurichten. Denn das Quäkende wird man dabei in der Vor¬<lb/>
stellung nicht los. Zu dieser musikalischen Übergesuchtheit auf der Bühne tritt<lb/>
nun im Orchester, gleichsam zur Versöhnung, wie oben angekündigt, die Trivia¬<lb/>
lität und zieht allerdings meist verlegen genug (die wohlberechnete Einstreuung<lb/>
beliebter Kadenzen in Melodie und Harmonie) vor dem Publikum den Hut.<lb/>
Ich kann mir nun einmal nicht helfen, die stete Wiederholung eines, sei es auch<lb/>
noch so hübschen Melismas, ob man es nun zehnmal mit dem stolzen Namen<lb/>
Leitmotiv belegen mag, ist und bleibt nach urewigen künstlerischen Gesetzen eine<lb/>
Trivialität. Thatsächlich und aller musikalisch-dramatischen Spekulation entkleidet<lb/>
(um die sich das Publikum in Wahrheit keinen Deut kümmert, es müßte denn<lb/>
so Wahn &#x2014; so wagnerisch sein, die Leitmotivtabulaturen von Heinze, Wol¬<lb/>
zogen u. s. w. auswendig zu lernen), rein künstlerisch betrachtet, hören die Leute<lb/>
hierbei ein ins Ohr fallendes Motiv zum soundsovielten male. Das mutet sie<lb/>
als alter Bekannter an, das gefällt schließlich, das muß schließlich gefallen, xar</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0365] Bayreuth. zu einem ganz abseits gelegenen tiefen (verminderte Dezime, None) herunter¬ springen, oder es ist ein quälendes Umherspringen in unreinen Quarten, Quinten, übermäßigen und verminderten Septimer u. dergl. Man erinnere sich nur an die Hauptvertreter dieser — Quäkweise, an Mime in den Nibelungen, Kur- venal im Tristan, Beckmesser in den Meistersingern, und man wird der Noten- bcispiele entraten können, die einem den häßlichen Singsang nur unnötigerweise wieder vor die Ohren bringen würden. Er ist durchaus nicht bloß komisch, alle Personen beteiligen sich daran, einige glückliche, viel auf Cantilenen gestellte, wie Siegmund, Walther von Stoltzing, nur etwas weniger. Das ist nun Wagners idealer „Singsprechton," der Dialekt des nationalen Gesamtkunst- werkcs. Es ist peinlich zu sagen, aber wenn die Ccmtilene darin (die Sprach¬ forscher sprechen von der Cantilene eines Dialekts, um seine musikalische Fär¬ bung zu bezeichnen), wenn dieser Singsang an einen deutschen Dialekt erinnert, so ist es einer, dem man gerade heutzutage das Beiwort „national" entrüstet vorenthalten würde, und der es in Wahrheit auch nicht verdient. Wagner ist dazu gelangt, weil er das alte Nezitativ von nun an, d. h. von Zürich an, verschmähte, weil es ja allerdings den Nachteil hatte, nicht von ihm erfunden zu sein, sondern die ehrwürdige Arbeit mehrerer Jahrhunderte darzustellen. Keine geringe Arbeit. Wie gewissenhaft wachte früher der Kompositionslehrcr gerade über richtige musikalische Deklamation im Nezitativ, wie lange und vielgestaltig war die Übung darin, wie scharf der Tadel über das Verfehlte, wie groß der Jnbel über einen unanfechtbaren Fortschritt gerade in dieser Kunst! Wie besonnen und sicher, wie natürlich und angemessen schritt man aber auch darin fort! Das musikalische Nezitativ ist ein Bau für sich, zu dem Unzählige die Steine getragen haben. Darum konnte aber auch ein Mozart darin wohnen, ohne sich beengt zu fühlen. Welch seltsamer Geschmack, diesen Bau zu verlassen (der noch lange nicht ausgebaut ist), um sich solch einen Affenkäfig nach eigner Fayon dafür herzurichten. Denn das Quäkende wird man dabei in der Vor¬ stellung nicht los. Zu dieser musikalischen Übergesuchtheit auf der Bühne tritt nun im Orchester, gleichsam zur Versöhnung, wie oben angekündigt, die Trivia¬ lität und zieht allerdings meist verlegen genug (die wohlberechnete Einstreuung beliebter Kadenzen in Melodie und Harmonie) vor dem Publikum den Hut. Ich kann mir nun einmal nicht helfen, die stete Wiederholung eines, sei es auch noch so hübschen Melismas, ob man es nun zehnmal mit dem stolzen Namen Leitmotiv belegen mag, ist und bleibt nach urewigen künstlerischen Gesetzen eine Trivialität. Thatsächlich und aller musikalisch-dramatischen Spekulation entkleidet (um die sich das Publikum in Wahrheit keinen Deut kümmert, es müßte denn so Wahn — so wagnerisch sein, die Leitmotivtabulaturen von Heinze, Wol¬ zogen u. s. w. auswendig zu lernen), rein künstlerisch betrachtet, hören die Leute hierbei ein ins Ohr fallendes Motiv zum soundsovielten male. Das mutet sie als alter Bekannter an, das gefällt schließlich, das muß schließlich gefallen, xar

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/365
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/365>, abgerufen am 29.06.2024.