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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Bayreuth.

einander geklebt, findet man da die Blüten der Wagnerischen Manier beisammen.
Und beängstigend einförmig ist der Eindruck allerdings, der uns dabei von ihnen
zu Teil wird. Da haben wir sie, die stoßförmigen, kurzen Zweiunddreißigstel
der Bässe, mit denen Kundry herein galoppirt wie Brünnhild, mit denen Or-
trud die Leute anfaucht, und Lohengrin und Telramund sich schlagen und ver¬
tragen, mit denen Tannhäuser in den Venusberg und der fliegende Holländer
zur Erlösung fährt, unter denen Siegfried erzogen und Beckmesser geprügelt
wird. Da ist sie, die langgezogene Sehnsuchtsmelodie des Lohengrin im Vor¬
spiel und der siegreiche Reigen im dritten, hier zweiten Akt, aber ach, mühsam,
schleppend, heiser, rat- und hilflos. Schon König Ludwig hatte die Rücksichts¬
losigkeit, das bei seiner Übersüße doch stark sich durchsetzende, mächtig anschwel¬
lende, wenn auch verlegen abbrechende Lohengrinvorspiel der ersten Privatauf¬
führung des Parstfalvorspiels folgen zu lassen, eine Stilvergleichungssucht, die
den "Meister" zum zornigen Aufbruch veranlaßt haben soll. Da ist zunächst
ein vierzig gleichförmige Takte langer Versuch, das von einer Terz zur andern
irrende und endlich mit einem Widerschlag der obern kleinen Sekunde sich dürftig
zufriedengebende Leidensmotiv des Gral endlich durchzuführen. Armer Gral!
Es gelingt nicht. Programmmäßig, natürlich! Dann setzt der Bläserchor nach
einer Fermate von der Länge eines bequemen Vaterunsers, auf die man zum
mindesten eine neunte Symphonie erwartet, mit einer ganz gewöhnlichen Wald-
und Wiesenfanfare ein. Nach feierlich majestätischer Wiederholung wieder große
Pause, und dann mit Posaunen und Trompeten wieder ein andres Bild, jene
gleichmäßig herabstapfenden Viertelnoten im Unisono, die den "Glauben" nicht
viel anders verkörpern als Fafner und Fasolt, die "ruppiger Riesen" im
"Rheingold." Dann folgt wie gewöhnlich bei Wagner eine Schlacht auf Leben
und Tod zwischen den beiden Motiven, bei der es aber gemütlicher hergeht, als
in dem starken Wogen der Tannhäuserouvertüre oder in der strammen, kontra¬
punktischen Verarbeitung des Meistersingervorspiels. Der Neigen mit seinen
Walzeransätzen, die immer wieder nur auf eine von den Geigen aufgehaltene
schwirrende Dominante auslaufen, sucht vergebens den Weg zu der Bizarrerie der
Rheintöchter zurückzufinden, mit denen er ja die berüchtigte hochdramatische Situa¬
tion teilt. Er ist vorbildlich für das unerfreuliche Schwanken zwischen Trivialität
und Gesuchtheit, auf die der eigentlich als "zukünftig" patentirte Stil des Züricher
Wagner hinauslief. Namentlich im Nezitativ, auf das Wagner bei der Natur
seiner Texte und seiner geringen lyrischen Begabung ja meistens angewiesen ist
(und das sich nebenbei so gut vom Arioso bei ihm unterscheiden läßt wie beim
vergangensten Opernkomponisten), in der musikalischen Ausstattung namentlich
der zahllosen kurzen Floskeln, mit denen seine Personen um sich zu werfen
lieben, hat sich dadurch eine Weise bei ihm ausgebildet, die man, wenn die
Übertragung auf das Gesangsgebiet erlaubt ist, nicht anders als Jargon be¬
zeichnen kann. Meist sind es rasch hinauflaufende Töne, die mit einem male


Bayreuth.

einander geklebt, findet man da die Blüten der Wagnerischen Manier beisammen.
Und beängstigend einförmig ist der Eindruck allerdings, der uns dabei von ihnen
zu Teil wird. Da haben wir sie, die stoßförmigen, kurzen Zweiunddreißigstel
der Bässe, mit denen Kundry herein galoppirt wie Brünnhild, mit denen Or-
trud die Leute anfaucht, und Lohengrin und Telramund sich schlagen und ver¬
tragen, mit denen Tannhäuser in den Venusberg und der fliegende Holländer
zur Erlösung fährt, unter denen Siegfried erzogen und Beckmesser geprügelt
wird. Da ist sie, die langgezogene Sehnsuchtsmelodie des Lohengrin im Vor¬
spiel und der siegreiche Reigen im dritten, hier zweiten Akt, aber ach, mühsam,
schleppend, heiser, rat- und hilflos. Schon König Ludwig hatte die Rücksichts¬
losigkeit, das bei seiner Übersüße doch stark sich durchsetzende, mächtig anschwel¬
lende, wenn auch verlegen abbrechende Lohengrinvorspiel der ersten Privatauf¬
führung des Parstfalvorspiels folgen zu lassen, eine Stilvergleichungssucht, die
den „Meister" zum zornigen Aufbruch veranlaßt haben soll. Da ist zunächst
ein vierzig gleichförmige Takte langer Versuch, das von einer Terz zur andern
irrende und endlich mit einem Widerschlag der obern kleinen Sekunde sich dürftig
zufriedengebende Leidensmotiv des Gral endlich durchzuführen. Armer Gral!
Es gelingt nicht. Programmmäßig, natürlich! Dann setzt der Bläserchor nach
einer Fermate von der Länge eines bequemen Vaterunsers, auf die man zum
mindesten eine neunte Symphonie erwartet, mit einer ganz gewöhnlichen Wald-
und Wiesenfanfare ein. Nach feierlich majestätischer Wiederholung wieder große
Pause, und dann mit Posaunen und Trompeten wieder ein andres Bild, jene
gleichmäßig herabstapfenden Viertelnoten im Unisono, die den „Glauben" nicht
viel anders verkörpern als Fafner und Fasolt, die „ruppiger Riesen" im
„Rheingold." Dann folgt wie gewöhnlich bei Wagner eine Schlacht auf Leben
und Tod zwischen den beiden Motiven, bei der es aber gemütlicher hergeht, als
in dem starken Wogen der Tannhäuserouvertüre oder in der strammen, kontra¬
punktischen Verarbeitung des Meistersingervorspiels. Der Neigen mit seinen
Walzeransätzen, die immer wieder nur auf eine von den Geigen aufgehaltene
schwirrende Dominante auslaufen, sucht vergebens den Weg zu der Bizarrerie der
Rheintöchter zurückzufinden, mit denen er ja die berüchtigte hochdramatische Situa¬
tion teilt. Er ist vorbildlich für das unerfreuliche Schwanken zwischen Trivialität
und Gesuchtheit, auf die der eigentlich als „zukünftig" patentirte Stil des Züricher
Wagner hinauslief. Namentlich im Nezitativ, auf das Wagner bei der Natur
seiner Texte und seiner geringen lyrischen Begabung ja meistens angewiesen ist
(und das sich nebenbei so gut vom Arioso bei ihm unterscheiden läßt wie beim
vergangensten Opernkomponisten), in der musikalischen Ausstattung namentlich
der zahllosen kurzen Floskeln, mit denen seine Personen um sich zu werfen
lieben, hat sich dadurch eine Weise bei ihm ausgebildet, die man, wenn die
Übertragung auf das Gesangsgebiet erlaubt ist, nicht anders als Jargon be¬
zeichnen kann. Meist sind es rasch hinauflaufende Töne, die mit einem male


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/364>, abgerufen am 26.06.2024.