Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.Lerne" wir? das Bündnis gesprengt wird! Um diesen Preis werden sie mit Freuden selbst Das wäre heute freilich schon zu spät. Ob er in Siegen gegen die Na¬ So besorgen die Konservativen die Geschäfte der Freisinnigen. Das gilt Lerne» wir? das Bündnis gesprengt wird! Um diesen Preis werden sie mit Freuden selbst Das wäre heute freilich schon zu spät. Ob er in Siegen gegen die Na¬ So besorgen die Konservativen die Geschäfte der Freisinnigen. Das gilt <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0332" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/289455"/> <fw type="header" place="top"> Lerne» wir?</fw><lb/> <p xml:id="ID_1095" prev="#ID_1094"> das Bündnis gesprengt wird! Um diesen Preis werden sie mit Freuden selbst<lb/> den „Hofprediger" wieder auf der Nednerbtthne erblicken, den aus seinem Amte<lb/> zu verdrängen ihnen vor einigen Monaten nicht gelingen wollte. Denn — wie<lb/> oft haben sie das ausgesprochen — aller Übel größtes heißt ihnen Kartell.<lb/> Könnte da die Wahl zweifelhaft sein, auch wenn es sich um einen noch bessern<lb/> handelte? Mit der Thatsache muß doch der Politiker rechnen, daß Stöckers<lb/> Name in Berlin die Wahl eines Reichstreuen verhindert hat, daß seine Person<lb/> auch bet den Mittelparteien entschieden unbeliebt ist. Mit der Sprengung des<lb/> Kartells wäre seine Wahl viel zu teuer bezahlt, und man hätte von seinem<lb/> Patriotismus erwarten dürfen, daß er selbst zurückträte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1096"> Das wäre heute freilich schon zu spät. Ob er in Siegen gegen die Na¬<lb/> tionalliberalen siegt oder unterliegt, gleichviel: jubelnd verkündet der Freisinn<lb/> nah und fern, daß die Konservativen das Tischtuch zerschnitten haben und die<lb/> äußersten Anstrengungen machen, um ihre Bundesgenossen von gestern überall<lb/> zurückzudrängen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1097"> So besorgen die Konservativen die Geschäfte der Freisinnigen. Das gilt<lb/> nicht bloß für die Schwächung der gemäßigten Elemente im Reichstage wie<lb/> im preußischen Landtage und die mögliche Auferstehung der radikal-klerikal -<lb/> welfisch-polnisch-dünisch-französisch-sozialdemokratischen Mehrheit. Auch der<lb/> Wiederkehr einer konservativen Mehrheit würde die Firma Richter und Kom¬<lb/> pagnie sich zu freuen Ursache haben. Gar so weit zurück liegt ja noch nicht<lb/> die Zeit vor 1862, und der Name „Landratskammer" klingt uns noch in den<lb/> Ohren und ruft Bilder herauf, die sicherlich nicht geeignet sind, unser National-<lb/> gefühl zu befriedigen. Zuerst fällt da allerdings der Mangel an politischer<lb/> Einsicht und das starre Festhalten an alten Glaubenssätzen bei der Opposition<lb/> in die Augen. Allein wir sehen auch, durch wessen Schuld die Mißstimmung<lb/> so allgemein geworden war, daß die große Mehrheit des preußischen Volkes<lb/> nur noch von dem Parlamentarismus Heil erwartete. Daß Vismarck einst<lb/> Mitglied der Partei gewesen war, unter deren Regiment das Land zwölf Jahre<lb/> lang geseufzt hatte, das erzeugte das Mißtrauen gegen ihn; die Erinnerung<lb/> an Warschau und Olmütz ließ keine günstige Meinung von seiner auswärtigen<lb/> Politik aufkommen, und in dem Staatsmanne, der seine Pläne auch ohne die<lb/> Vertretung durchzuführen entschlossen war, sah man nur einen neuen, noch<lb/> rücksichtsloseren, noch „reaktionäreren" Manteuffel. Und wie Preußen, so dachte<lb/> fast das ganze übrige Deutschland. Der Widerwille gegen Preußen, zumal im<lb/> Süden, hatte wohl verschiedne Gründe: Abneigung gegen den protestantischen<lb/> Staat, Scheu vor dem strammen Militärwesen und Beamtentum, Furcht vor<lb/> Einverleibung; aber der nicht am mindesten gewichtige Grund war die Über¬<lb/> zeugung, daß Preußentum gleichbedeutend sei mit Junker- und Muckertum, und<lb/> daß das preußische Regiment sich von dem österreichischen höchstens durch den<lb/> Mangel an Gemütlichkeit unterscheide.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0332]
Lerne» wir?
das Bündnis gesprengt wird! Um diesen Preis werden sie mit Freuden selbst
den „Hofprediger" wieder auf der Nednerbtthne erblicken, den aus seinem Amte
zu verdrängen ihnen vor einigen Monaten nicht gelingen wollte. Denn — wie
oft haben sie das ausgesprochen — aller Übel größtes heißt ihnen Kartell.
Könnte da die Wahl zweifelhaft sein, auch wenn es sich um einen noch bessern
handelte? Mit der Thatsache muß doch der Politiker rechnen, daß Stöckers
Name in Berlin die Wahl eines Reichstreuen verhindert hat, daß seine Person
auch bet den Mittelparteien entschieden unbeliebt ist. Mit der Sprengung des
Kartells wäre seine Wahl viel zu teuer bezahlt, und man hätte von seinem
Patriotismus erwarten dürfen, daß er selbst zurückträte.
Das wäre heute freilich schon zu spät. Ob er in Siegen gegen die Na¬
tionalliberalen siegt oder unterliegt, gleichviel: jubelnd verkündet der Freisinn
nah und fern, daß die Konservativen das Tischtuch zerschnitten haben und die
äußersten Anstrengungen machen, um ihre Bundesgenossen von gestern überall
zurückzudrängen.
So besorgen die Konservativen die Geschäfte der Freisinnigen. Das gilt
nicht bloß für die Schwächung der gemäßigten Elemente im Reichstage wie
im preußischen Landtage und die mögliche Auferstehung der radikal-klerikal -
welfisch-polnisch-dünisch-französisch-sozialdemokratischen Mehrheit. Auch der
Wiederkehr einer konservativen Mehrheit würde die Firma Richter und Kom¬
pagnie sich zu freuen Ursache haben. Gar so weit zurück liegt ja noch nicht
die Zeit vor 1862, und der Name „Landratskammer" klingt uns noch in den
Ohren und ruft Bilder herauf, die sicherlich nicht geeignet sind, unser National-
gefühl zu befriedigen. Zuerst fällt da allerdings der Mangel an politischer
Einsicht und das starre Festhalten an alten Glaubenssätzen bei der Opposition
in die Augen. Allein wir sehen auch, durch wessen Schuld die Mißstimmung
so allgemein geworden war, daß die große Mehrheit des preußischen Volkes
nur noch von dem Parlamentarismus Heil erwartete. Daß Vismarck einst
Mitglied der Partei gewesen war, unter deren Regiment das Land zwölf Jahre
lang geseufzt hatte, das erzeugte das Mißtrauen gegen ihn; die Erinnerung
an Warschau und Olmütz ließ keine günstige Meinung von seiner auswärtigen
Politik aufkommen, und in dem Staatsmanne, der seine Pläne auch ohne die
Vertretung durchzuführen entschlossen war, sah man nur einen neuen, noch
rücksichtsloseren, noch „reaktionäreren" Manteuffel. Und wie Preußen, so dachte
fast das ganze übrige Deutschland. Der Widerwille gegen Preußen, zumal im
Süden, hatte wohl verschiedne Gründe: Abneigung gegen den protestantischen
Staat, Scheu vor dem strammen Militärwesen und Beamtentum, Furcht vor
Einverleibung; aber der nicht am mindesten gewichtige Grund war die Über¬
zeugung, daß Preußentum gleichbedeutend sei mit Junker- und Muckertum, und
daß das preußische Regiment sich von dem österreichischen höchstens durch den
Mangel an Gemütlichkeit unterscheide.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |