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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Manche Vorurteile sind innerhalb der letzten zwanzig Jahre geschwunden
oder im Schwinden begriffen, doch die Meinung von den preussischen Ultra¬
konservativen hat sich nicht gebessert. Und wie wäre das möglich, da sie selbst
sich unverbesserlich zeigen! Man darf ihnen ebenso terroristische Gelüste zu¬
trauen wie den Freisinnigen, und wie wir, wenn es nach ihnen gegangen wäre,
niemals ein Reich erhalten hätten, verraten sie auch jetzt nur zu oft, daß sie
Partikularsten geblieben sind und daß ihnen höher als Preußen ihr Partei-
Winkel steht. "Keine Regierung hat je ein Interesse, mit einer konservativen
Partei zu brechen, aber die Partei besorgt das mitunter selbst," sagte der
Kanzler einmal im Herrenhause, und erinnerte dabei an frühere "ähnliche
grundlose, ich will nicht sagen mutwillig heraufbeschworene Zwistigkeiten." Die
Herren scheinen diese Worte abermals wahr machen zu wollen. Ihre bisherigen
El folge im Kampfe gegen Bismarck und die von ihm vertretenen Forderungen
der Zeit tonnen sie wohl nicht zur Erneuerung jenes Spieles aufmuntern.
Wenn die Geschichtschreibung einmal nötig findet, zu zeigen, mit welchen Wider¬
sachern Bismarck zu ringen hatte, werden die Namen Diest-Daber u. s. w.
schwerlich in viel vorteilhafterem Lichte erscheinen als die Richter und Rickert.
Indessen mögen sie auf eine Wendung hoffen, welche sie ans Steuerruder bringen
könnte. Diese Wendung wird ohne Zweifel ausbleiben, denn auch nach Bismarck
wird wahr bleiben, daß eine Parteiregiernng in Deutschland ein Unding ist,
gleichviel ob sie von rechts oder von links angestrebt wird. Allein die Herren
brauchen gar nicht auf der Ministerbank zu sitzen, schon eine rein konservative
oder durch die Verbrüderung mit dem Zentrum erzielte konservative Mehrheit
würde die gemeine Sache tief schädigen. Schon die hochkirchlichen Bestrebungen
bringen breite Volksschichten in Aufregung und stören die kaum entschlafenen
Antipathien bei den Bundesgenossen auf. So sehr man sich in der Politik
vor dem Prophezeien hüten soll: daß der Sieg der Ultrakonservativen wieder
eine ultraliberale Hochflut heraufbeschwören würde, läßt sich mit großer Be¬
stimmtheit voraussagen. Ist das die Absicht der Herren, oder haben sie in
einem Vierteljahrhundert -- und in einem solchen! -- ebenso wenig gelernt
wie ihre Gegenfüßler? Ist diese Zeit noch nicht ernst und groß genug gewesen,
um uns allen ohne Ausnahme den Grundsatz einzuprägen: Über alleu Parteien
und Glaubensbekenntnissen steht das Vaterland, und die es lieben, müssen, wie
im Kriege, so im Frieden treue Waffenbrüderschaft halten, die Kleinigkeiten, die
entzweien können, unterordnen dem einen, was einigt? NMöWiz odligs. Die
deutschen Fürsten haben bei dem Tode Friedrichs III. ein leuchtendes Beispiel
gegeben, das in dem gesamten Auslande den tiefsten Eindruck gemacht, den
Glauben an Deutschland neu befestigt hat. Wollen die Hochkonservativen
durchaus diesen Eindruck wieder abschwächen?




Manche Vorurteile sind innerhalb der letzten zwanzig Jahre geschwunden
oder im Schwinden begriffen, doch die Meinung von den preussischen Ultra¬
konservativen hat sich nicht gebessert. Und wie wäre das möglich, da sie selbst
sich unverbesserlich zeigen! Man darf ihnen ebenso terroristische Gelüste zu¬
trauen wie den Freisinnigen, und wie wir, wenn es nach ihnen gegangen wäre,
niemals ein Reich erhalten hätten, verraten sie auch jetzt nur zu oft, daß sie
Partikularsten geblieben sind und daß ihnen höher als Preußen ihr Partei-
Winkel steht. „Keine Regierung hat je ein Interesse, mit einer konservativen
Partei zu brechen, aber die Partei besorgt das mitunter selbst," sagte der
Kanzler einmal im Herrenhause, und erinnerte dabei an frühere „ähnliche
grundlose, ich will nicht sagen mutwillig heraufbeschworene Zwistigkeiten." Die
Herren scheinen diese Worte abermals wahr machen zu wollen. Ihre bisherigen
El folge im Kampfe gegen Bismarck und die von ihm vertretenen Forderungen
der Zeit tonnen sie wohl nicht zur Erneuerung jenes Spieles aufmuntern.
Wenn die Geschichtschreibung einmal nötig findet, zu zeigen, mit welchen Wider¬
sachern Bismarck zu ringen hatte, werden die Namen Diest-Daber u. s. w.
schwerlich in viel vorteilhafterem Lichte erscheinen als die Richter und Rickert.
Indessen mögen sie auf eine Wendung hoffen, welche sie ans Steuerruder bringen
könnte. Diese Wendung wird ohne Zweifel ausbleiben, denn auch nach Bismarck
wird wahr bleiben, daß eine Parteiregiernng in Deutschland ein Unding ist,
gleichviel ob sie von rechts oder von links angestrebt wird. Allein die Herren
brauchen gar nicht auf der Ministerbank zu sitzen, schon eine rein konservative
oder durch die Verbrüderung mit dem Zentrum erzielte konservative Mehrheit
würde die gemeine Sache tief schädigen. Schon die hochkirchlichen Bestrebungen
bringen breite Volksschichten in Aufregung und stören die kaum entschlafenen
Antipathien bei den Bundesgenossen auf. So sehr man sich in der Politik
vor dem Prophezeien hüten soll: daß der Sieg der Ultrakonservativen wieder
eine ultraliberale Hochflut heraufbeschwören würde, läßt sich mit großer Be¬
stimmtheit voraussagen. Ist das die Absicht der Herren, oder haben sie in
einem Vierteljahrhundert — und in einem solchen! — ebenso wenig gelernt
wie ihre Gegenfüßler? Ist diese Zeit noch nicht ernst und groß genug gewesen,
um uns allen ohne Ausnahme den Grundsatz einzuprägen: Über alleu Parteien
und Glaubensbekenntnissen steht das Vaterland, und die es lieben, müssen, wie
im Kriege, so im Frieden treue Waffenbrüderschaft halten, die Kleinigkeiten, die
entzweien können, unterordnen dem einen, was einigt? NMöWiz odligs. Die
deutschen Fürsten haben bei dem Tode Friedrichs III. ein leuchtendes Beispiel
gegeben, das in dem gesamten Auslande den tiefsten Eindruck gemacht, den
Glauben an Deutschland neu befestigt hat. Wollen die Hochkonservativen
durchaus diesen Eindruck wieder abschwächen?




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/333>, abgerufen am 29.06.2024.