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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Erinnerungen aus Alt-Jena.

Schulter und gebildeter Mann, erfreute er sich unter seinen Kollegen in der
Buchhändlerwelt bekanntlich hoher Achtung und Anerkennung. Die Frau des
Hauses war eine äußerst liebenswürdige Erscheinung und wußte durch die um¬
sichtige Weise ihrer Freundlichkeit die gelegentliche Schroffheit ihres Mannes
aufs erfolgreichste auszugleichen. An den öffentlichen Dingen nahm Frommann
lebhaften Anteil. In der großen Politik, namentlich in der deutschen Frage,
war der Hannoveraner Stüve, mit den? ihn von Jugend her eine enge Freund- ^
schaft verband, sein Ideal und Meister. An interessanten Verbindungen fehlte
es ihm überhaupt nicht, und da er ein erfahrungsreiches Leben hinter sich
hatte, konnte er manches erzählen. Auch die Feder wußte er geschickt zu führen,
wie er das durch mehrere Schriften bewiesen hat. Seine Schwester Atome,
die damals in Berlin lebte, tauchte ebenfalls von Zeit zu Zeit in ihrem
väterlichen Hause auf, eine künstlerisch hoch gebildete Dame, die eben wegen
dieser Eigenschaft, meines Wissens, zu der "Prinzessin von Preußen," der
spätern Kaiserin Angusta, in nähern Beziehungen stand. Wer Glück hatte,
konnte in diesem Hause mit "Minchen Herzlich," der durch die viel besprochene ^
Zuneigung Goethes oft genannten Frau Walch, zusammentreffen, obwohl sie sich
Begegnungen mit neuen Menschen ungern aussetzte. Auch ihr Gemahl, von
dem sie übrigens getrennt lebte, der Jurist K. W. Walch, wandelte noch unter
den Lebenden, ein kleines, etwas verwachsenes Männchen, durchaus gutmütig
und harmlos, aber offenbar unbedeutend. Man begreift es, daß die Ver¬
bindung einer höher angelegten Frau mit einem Manne dieser Art scheitern
konnte.

Das verhältnismäßige Stillleben, mit welchem der Winter begonnen hatte,
blieb übrigens nicht lange Zeit unangefochten. Im Gegenteile, der gespannte
Zustand der allgemeinen politischen Verhältnisse, vor allem die in Frankreich herr¬
schende Aufregung, die für ein kundiges Auge einen nahenden Sturm erraten ließ,
wirkte, wie überall hin, auch auf Jena zurück. Es fehlte in gewissen Kreisen nicht
an entzündlichen Gemütern, die von den angedeuteten Zeichen mehr hofften als
fürchteten. Als dann der entscheidende Schlag an der Seine geschah, gab es
kein Halten mehr. Die Aufregung war allgemein, und auch diejenigen, die sich
die Besonnenheit bewahrten, wurden davon, wenn nicht mit fortgerissen, so doch
irgendwie in Mitleidenschaft gezogen. Warme Teilnahme rief das Schicksal der
Herzogin Helene von Orleans hervor; die Tochter einer weimarischen Prinzessin,
eine Enkelin Karl Augusts, hatte sie einen Teil ihrer Jugend in Jena verlebt und
durch Anmut und Liebenswürdigkeit alle Herzen erobert. Man begrüßte es daher
mit lebhafter Teilnahme, als der Großherzog, nachdem die Herzogin mit ihren
beiden Söhnen glücklich den deutschen Boden erreicht hatte, sie mit offnen
Armen aufnahm und ihr eine Zufluchtsstätte im Schlosse zu Eisenach einräumte.
Stimmungen der Art wurden freilich bald dnrch das Ungestüm der geräusch¬
vollen Zurückwirkung des Sturzes des Julikönigtums auf Deutschland über-


Grenzbotm III. 1888. 40
Erinnerungen aus Alt-Jena.

Schulter und gebildeter Mann, erfreute er sich unter seinen Kollegen in der
Buchhändlerwelt bekanntlich hoher Achtung und Anerkennung. Die Frau des
Hauses war eine äußerst liebenswürdige Erscheinung und wußte durch die um¬
sichtige Weise ihrer Freundlichkeit die gelegentliche Schroffheit ihres Mannes
aufs erfolgreichste auszugleichen. An den öffentlichen Dingen nahm Frommann
lebhaften Anteil. In der großen Politik, namentlich in der deutschen Frage,
war der Hannoveraner Stüve, mit den? ihn von Jugend her eine enge Freund- ^
schaft verband, sein Ideal und Meister. An interessanten Verbindungen fehlte
es ihm überhaupt nicht, und da er ein erfahrungsreiches Leben hinter sich
hatte, konnte er manches erzählen. Auch die Feder wußte er geschickt zu führen,
wie er das durch mehrere Schriften bewiesen hat. Seine Schwester Atome,
die damals in Berlin lebte, tauchte ebenfalls von Zeit zu Zeit in ihrem
väterlichen Hause auf, eine künstlerisch hoch gebildete Dame, die eben wegen
dieser Eigenschaft, meines Wissens, zu der „Prinzessin von Preußen," der
spätern Kaiserin Angusta, in nähern Beziehungen stand. Wer Glück hatte,
konnte in diesem Hause mit „Minchen Herzlich," der durch die viel besprochene ^
Zuneigung Goethes oft genannten Frau Walch, zusammentreffen, obwohl sie sich
Begegnungen mit neuen Menschen ungern aussetzte. Auch ihr Gemahl, von
dem sie übrigens getrennt lebte, der Jurist K. W. Walch, wandelte noch unter
den Lebenden, ein kleines, etwas verwachsenes Männchen, durchaus gutmütig
und harmlos, aber offenbar unbedeutend. Man begreift es, daß die Ver¬
bindung einer höher angelegten Frau mit einem Manne dieser Art scheitern
konnte.

Das verhältnismäßige Stillleben, mit welchem der Winter begonnen hatte,
blieb übrigens nicht lange Zeit unangefochten. Im Gegenteile, der gespannte
Zustand der allgemeinen politischen Verhältnisse, vor allem die in Frankreich herr¬
schende Aufregung, die für ein kundiges Auge einen nahenden Sturm erraten ließ,
wirkte, wie überall hin, auch auf Jena zurück. Es fehlte in gewissen Kreisen nicht
an entzündlichen Gemütern, die von den angedeuteten Zeichen mehr hofften als
fürchteten. Als dann der entscheidende Schlag an der Seine geschah, gab es
kein Halten mehr. Die Aufregung war allgemein, und auch diejenigen, die sich
die Besonnenheit bewahrten, wurden davon, wenn nicht mit fortgerissen, so doch
irgendwie in Mitleidenschaft gezogen. Warme Teilnahme rief das Schicksal der
Herzogin Helene von Orleans hervor; die Tochter einer weimarischen Prinzessin,
eine Enkelin Karl Augusts, hatte sie einen Teil ihrer Jugend in Jena verlebt und
durch Anmut und Liebenswürdigkeit alle Herzen erobert. Man begrüßte es daher
mit lebhafter Teilnahme, als der Großherzog, nachdem die Herzogin mit ihren
beiden Söhnen glücklich den deutschen Boden erreicht hatte, sie mit offnen
Armen aufnahm und ihr eine Zufluchtsstätte im Schlosse zu Eisenach einräumte.
Stimmungen der Art wurden freilich bald dnrch das Ungestüm der geräusch¬
vollen Zurückwirkung des Sturzes des Julikönigtums auf Deutschland über-


Grenzbotm III. 1888. 40
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[0321] Erinnerungen aus Alt-Jena. Schulter und gebildeter Mann, erfreute er sich unter seinen Kollegen in der Buchhändlerwelt bekanntlich hoher Achtung und Anerkennung. Die Frau des Hauses war eine äußerst liebenswürdige Erscheinung und wußte durch die um¬ sichtige Weise ihrer Freundlichkeit die gelegentliche Schroffheit ihres Mannes aufs erfolgreichste auszugleichen. An den öffentlichen Dingen nahm Frommann lebhaften Anteil. In der großen Politik, namentlich in der deutschen Frage, war der Hannoveraner Stüve, mit den? ihn von Jugend her eine enge Freund- ^ schaft verband, sein Ideal und Meister. An interessanten Verbindungen fehlte es ihm überhaupt nicht, und da er ein erfahrungsreiches Leben hinter sich hatte, konnte er manches erzählen. Auch die Feder wußte er geschickt zu führen, wie er das durch mehrere Schriften bewiesen hat. Seine Schwester Atome, die damals in Berlin lebte, tauchte ebenfalls von Zeit zu Zeit in ihrem väterlichen Hause auf, eine künstlerisch hoch gebildete Dame, die eben wegen dieser Eigenschaft, meines Wissens, zu der „Prinzessin von Preußen," der spätern Kaiserin Angusta, in nähern Beziehungen stand. Wer Glück hatte, konnte in diesem Hause mit „Minchen Herzlich," der durch die viel besprochene ^ Zuneigung Goethes oft genannten Frau Walch, zusammentreffen, obwohl sie sich Begegnungen mit neuen Menschen ungern aussetzte. Auch ihr Gemahl, von dem sie übrigens getrennt lebte, der Jurist K. W. Walch, wandelte noch unter den Lebenden, ein kleines, etwas verwachsenes Männchen, durchaus gutmütig und harmlos, aber offenbar unbedeutend. Man begreift es, daß die Ver¬ bindung einer höher angelegten Frau mit einem Manne dieser Art scheitern konnte. Das verhältnismäßige Stillleben, mit welchem der Winter begonnen hatte, blieb übrigens nicht lange Zeit unangefochten. Im Gegenteile, der gespannte Zustand der allgemeinen politischen Verhältnisse, vor allem die in Frankreich herr¬ schende Aufregung, die für ein kundiges Auge einen nahenden Sturm erraten ließ, wirkte, wie überall hin, auch auf Jena zurück. Es fehlte in gewissen Kreisen nicht an entzündlichen Gemütern, die von den angedeuteten Zeichen mehr hofften als fürchteten. Als dann der entscheidende Schlag an der Seine geschah, gab es kein Halten mehr. Die Aufregung war allgemein, und auch diejenigen, die sich die Besonnenheit bewahrten, wurden davon, wenn nicht mit fortgerissen, so doch irgendwie in Mitleidenschaft gezogen. Warme Teilnahme rief das Schicksal der Herzogin Helene von Orleans hervor; die Tochter einer weimarischen Prinzessin, eine Enkelin Karl Augusts, hatte sie einen Teil ihrer Jugend in Jena verlebt und durch Anmut und Liebenswürdigkeit alle Herzen erobert. Man begrüßte es daher mit lebhafter Teilnahme, als der Großherzog, nachdem die Herzogin mit ihren beiden Söhnen glücklich den deutschen Boden erreicht hatte, sie mit offnen Armen aufnahm und ihr eine Zufluchtsstätte im Schlosse zu Eisenach einräumte. Stimmungen der Art wurden freilich bald dnrch das Ungestüm der geräusch¬ vollen Zurückwirkung des Sturzes des Julikönigtums auf Deutschland über- Grenzbotm III. 1888. 40

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/321>, abgerufen am 24.08.2024.