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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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durch verbindende Kräfte, die durch das Gegcnciuauderwirken der Gravitation
und der Wärme entstehen. Endlich wird die Unerschöpflichkeit, das Jnexhaustible,
dadurch bewirkt, daß niemals ein Raum ganz von jeder Materie entleert
werden kann. Ein ganz leerer Raum würde nicht auf unsre Sinnesorgane
wirken, also nicht wahrnehmbar sein, d. i. für uns nicht existiren.

So ist denn die Weltmaterie nach allen Richtungen hin vollständig defi-
nirt mit negativen und positiven Merkmalen, und darum ist sie nicht mehr
eine bloße Hypothese, sondern ein wirklich existirender Gegenstand der Wissen¬
schaft von" Übergange von der Metaphysik zur Physik, als notwendige Vor¬
bedingung zu aller Erfahrung in der Physik. Kant sagt: "Von einem solchen
formlosen, alle Räume durchdringenden, nur durch die Vernunft zu bewährenden
Urstoffe, von welchem wir nichts mehr als bloß im Raume verbreitete und all¬
durchdringende, bewegende Kräfte denken, läßt sich seine Wirklichkeit auch vor
der Erfahrung, mithin g, priori zum Behufe möglicher Erfahrung postuliren."

Nachdem also aus der Thatsache des menschlichen Bewußtseins die Berech¬
tigung nachgewiesen ist, einen Urstoff, Materie genannt, allen Thatsachen der
physikalischen Erfahrung zu Grunde zu legen, und da diesem keine andern
Eigenschaften beigelegt werden können als bewegende Kräfte, die wieder nur durch
die reaktiven Kräfte des Subjekts erkennbar sind, so handelt es sich nun um
die systematische Darstellung aller Kräfte der Materie. Sie müssen sich unter¬
ordnen lassen unter die Bedingungen aller Erfahrung überhaupt, d. i. unter die
Kategorien der Quantität, der Qualität, der Relation und der Modalität, denn
wir haben keine andern Kräfte der Erkenntnis als die nach diesen Kategorien
arbeitenden Funktionen des Bewußtseins. Daß die Physiker im allgemeinen
den Begriff der Kraft gern vollständig aufgeben möchten, aber nur durch die
Notwendigkeit, die Thatsachen der Erfahrung systematisch mit einander zu ver¬
knüpfen, sich nicht zu einem so radikalen Entschlüsse aufraffen können, haben
wir schon angedeutet. Man sieht nur Bewegungen der Körper und schließt
auf eine Kraft als Ursache derselben, die man aber selbst nicht sehen kann,
die also scheinbar nicht als wirklich nachgewiesen werden kann. Daher ist
es nicht unbegreiflich, daß es zahlreiche Aussprüche der ersten Physiker giebt,
welche behaupten, daß die Kraft überhaupt nie ein Gegenstand unsrer Er¬
kenntnis sein könne. Sagt doch Du Vois-Reymond sogar in der berühmten
Vorrede zu seinem ersten großen Werke, daß es eine Schwäche der menschlichen
Vernunft sei, sich auch da noch, wo ihre Einsicht aufhöre, mit einem dialektischen
Kunstgriff wie dem Begriffe der Kraft als Ursache der Bewegung über die
Schwierigkeiten weiter zu helfen und über die Beschränkung der eignen Grenzen
sich selbst zu täuschen. Dagegen sagt Kant: Die Schwierigkeit der ganzen
Frage, wie weit wir eine Kraft wirklich erkennen können, löst sich dadurch, daß
wir nicht in Gedanken etwas trennen, was in der wirklichen Welt niemals ge¬
trennt erscheint. Kraft und Bewegung sind in Wirklichkeit immer mit einander


durch verbindende Kräfte, die durch das Gegcnciuauderwirken der Gravitation
und der Wärme entstehen. Endlich wird die Unerschöpflichkeit, das Jnexhaustible,
dadurch bewirkt, daß niemals ein Raum ganz von jeder Materie entleert
werden kann. Ein ganz leerer Raum würde nicht auf unsre Sinnesorgane
wirken, also nicht wahrnehmbar sein, d. i. für uns nicht existiren.

So ist denn die Weltmaterie nach allen Richtungen hin vollständig defi-
nirt mit negativen und positiven Merkmalen, und darum ist sie nicht mehr
eine bloße Hypothese, sondern ein wirklich existirender Gegenstand der Wissen¬
schaft von» Übergange von der Metaphysik zur Physik, als notwendige Vor¬
bedingung zu aller Erfahrung in der Physik. Kant sagt: „Von einem solchen
formlosen, alle Räume durchdringenden, nur durch die Vernunft zu bewährenden
Urstoffe, von welchem wir nichts mehr als bloß im Raume verbreitete und all¬
durchdringende, bewegende Kräfte denken, läßt sich seine Wirklichkeit auch vor
der Erfahrung, mithin g, priori zum Behufe möglicher Erfahrung postuliren."

Nachdem also aus der Thatsache des menschlichen Bewußtseins die Berech¬
tigung nachgewiesen ist, einen Urstoff, Materie genannt, allen Thatsachen der
physikalischen Erfahrung zu Grunde zu legen, und da diesem keine andern
Eigenschaften beigelegt werden können als bewegende Kräfte, die wieder nur durch
die reaktiven Kräfte des Subjekts erkennbar sind, so handelt es sich nun um
die systematische Darstellung aller Kräfte der Materie. Sie müssen sich unter¬
ordnen lassen unter die Bedingungen aller Erfahrung überhaupt, d. i. unter die
Kategorien der Quantität, der Qualität, der Relation und der Modalität, denn
wir haben keine andern Kräfte der Erkenntnis als die nach diesen Kategorien
arbeitenden Funktionen des Bewußtseins. Daß die Physiker im allgemeinen
den Begriff der Kraft gern vollständig aufgeben möchten, aber nur durch die
Notwendigkeit, die Thatsachen der Erfahrung systematisch mit einander zu ver¬
knüpfen, sich nicht zu einem so radikalen Entschlüsse aufraffen können, haben
wir schon angedeutet. Man sieht nur Bewegungen der Körper und schließt
auf eine Kraft als Ursache derselben, die man aber selbst nicht sehen kann,
die also scheinbar nicht als wirklich nachgewiesen werden kann. Daher ist
es nicht unbegreiflich, daß es zahlreiche Aussprüche der ersten Physiker giebt,
welche behaupten, daß die Kraft überhaupt nie ein Gegenstand unsrer Er¬
kenntnis sein könne. Sagt doch Du Vois-Reymond sogar in der berühmten
Vorrede zu seinem ersten großen Werke, daß es eine Schwäche der menschlichen
Vernunft sei, sich auch da noch, wo ihre Einsicht aufhöre, mit einem dialektischen
Kunstgriff wie dem Begriffe der Kraft als Ursache der Bewegung über die
Schwierigkeiten weiter zu helfen und über die Beschränkung der eignen Grenzen
sich selbst zu täuschen. Dagegen sagt Kant: Die Schwierigkeit der ganzen
Frage, wie weit wir eine Kraft wirklich erkennen können, löst sich dadurch, daß
wir nicht in Gedanken etwas trennen, was in der wirklichen Welt niemals ge¬
trennt erscheint. Kraft und Bewegung sind in Wirklichkeit immer mit einander


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/310>, abgerufen am 24.08.2024.