Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.Das nachgelassene Wer? Immanuel Kants. anders als in fortwährender Bewegung, und da außer ihr im Raum nichts Die bloße Materie, die allen materiellen Bildungen und körperlichen Das nachgelassene Wer? Immanuel Kants. anders als in fortwährender Bewegung, und da außer ihr im Raum nichts Die bloße Materie, die allen materiellen Bildungen und körperlichen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0309" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/289432"/> <fw type="header" place="top"> Das nachgelassene Wer? Immanuel Kants.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1025" prev="#ID_1024"> anders als in fortwährender Bewegung, und da außer ihr im Raum nichts<lb/> andres ist, was ihr die Bewegung erteilen könnte, so muß sie von Ewigkeit her<lb/> die Bewegung in sich tragen. Wer ihr die Bewegung erteilt hat, ist eine Frage<lb/> nach etwas Transzendenten, die wir nicht beantworten können. Da sie das<lb/> Einzige ist, was den Raum erfüllt, so ist sie unendlich ausgedehnt, wie der<lb/> Raum und die Zeit. Da sie die Quelle aller physischen Kraft ist, ihre ganze<lb/> Summe aber weder vermehrt noch vermindert werden kann, so ist auch die Kraft<lb/> unerlöschlich und ewig. Da ferner der Raum den Gesetzen der Mathematik<lb/> unterworfen ist, so müssen es die Bewegungen der Materie auch sein. Sie<lb/> darf nicht aus Atomen zusammengesetzt gedacht werden, sondern sie ist wie der<lb/> Raum eine kontinuirliche Größe, Atome lassen sich wohl willkürlich konstruiren<lb/> zum Zwecke einer Berechnung, aber sobald ein kleiner Teil wahrnehmbar ist,<lb/> so ist er auch teilbar in noch kleinere Partikel. Unteilbare Materie ist eben so<lb/> wenig möglich wie unteilbare Räume.</p><lb/> <p xml:id="ID_1026" next="#ID_1027"> Die bloße Materie, die allen materiellen Bildungen und körperlichen<lb/> Gestalten als alldurchdringender Urstoff oder Weltstoff zu Grunde liegt, ist<lb/> als solche form- und grenzenlos und kann nicht sinnlich wahrgenommen werden,<lb/> denn die Organe der Sinneswahrnehmung beruhen selbst auf ihren Kräften.<lb/> Wir sehen nicht die Schwingungen des Äthers, dessen Begriff sich ungefähr<lb/> mit der Weltmatcrie bei Kant deckt, wir sehen nicht den Äther, sondern durch<lb/> dessen agitirende Bewegung die erleuchteten oder leuchtenden materiellen Gegen¬<lb/> stände. Der Urstoff (inatsrig, äöiörons oder soluw) ist nicht wahrnehmbar (im-<lb/> pcrceptibel), nicht einzuschränken (inkoercibel), nicht zusammenhängend (inkohä-<lb/> sibel) und unerschöpflich (inexhaustibel), im Gegengesetz zu den körperlichen<lb/> Gestalten, die durch ihn hervorgebracht werden (matsrig, ki^ta.), die wahr¬<lb/> nehmbar (perceptibel), in Grenzen eingeschlossen (koercibel), zusammenhängend<lb/> (kohäsibel) und auszuleeren (exhcmstibel) sind. Kant entschuldigt sich selbst wegen<lb/> des Anscheines einer Wortkrämerei mit so ungewohnten technischen Ausdrücken,<lb/> er brauche sie, weil dadurch der Vortrag in der Exposition der Begriffe ab¬<lb/> gekürzt werde. Das „inkoercibel" heißt unsperrbar und alldurchdringend;<lb/> die immerwährende schwingende Bewegung der kleinsten Teile der Materie<lb/> hört nicht auf, wenn sich ihr feste Körper entgegenstellen, sondern diese sind<lb/> vollkommen durchgängig für jene Schwingungen. Die Bewegung der allge¬<lb/> meinen Weltmaterie wird nur durch sich selbst verändert, indem anziehende<lb/> und abstoßende Kräfte gegen einander wirken. Je nachdem die eine oder die<lb/> andre das Übergewicht hat, entstehen die verschiedenen Aggregatzustände der<lb/> wägbaren Stoffe. Denn auch die Wägbarkeit kommt nur der Materie im ge¬<lb/> formten Zustande zu, nur der niatsrig. ki^w, nicht der solutA. Ebenso wie<lb/> die allgemeine Materie nicht in Grenzen eingeschlossen werden kann, so ist sie<lb/> auch nicht innerhalb solcher Grenzen im Zusammenhange gebunden, d. i. nicht<lb/> kohäsibel. Der Zusammenhang eines Stoffes in sich wird erst hervorgebracht</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0309]
Das nachgelassene Wer? Immanuel Kants.
anders als in fortwährender Bewegung, und da außer ihr im Raum nichts
andres ist, was ihr die Bewegung erteilen könnte, so muß sie von Ewigkeit her
die Bewegung in sich tragen. Wer ihr die Bewegung erteilt hat, ist eine Frage
nach etwas Transzendenten, die wir nicht beantworten können. Da sie das
Einzige ist, was den Raum erfüllt, so ist sie unendlich ausgedehnt, wie der
Raum und die Zeit. Da sie die Quelle aller physischen Kraft ist, ihre ganze
Summe aber weder vermehrt noch vermindert werden kann, so ist auch die Kraft
unerlöschlich und ewig. Da ferner der Raum den Gesetzen der Mathematik
unterworfen ist, so müssen es die Bewegungen der Materie auch sein. Sie
darf nicht aus Atomen zusammengesetzt gedacht werden, sondern sie ist wie der
Raum eine kontinuirliche Größe, Atome lassen sich wohl willkürlich konstruiren
zum Zwecke einer Berechnung, aber sobald ein kleiner Teil wahrnehmbar ist,
so ist er auch teilbar in noch kleinere Partikel. Unteilbare Materie ist eben so
wenig möglich wie unteilbare Räume.
Die bloße Materie, die allen materiellen Bildungen und körperlichen
Gestalten als alldurchdringender Urstoff oder Weltstoff zu Grunde liegt, ist
als solche form- und grenzenlos und kann nicht sinnlich wahrgenommen werden,
denn die Organe der Sinneswahrnehmung beruhen selbst auf ihren Kräften.
Wir sehen nicht die Schwingungen des Äthers, dessen Begriff sich ungefähr
mit der Weltmatcrie bei Kant deckt, wir sehen nicht den Äther, sondern durch
dessen agitirende Bewegung die erleuchteten oder leuchtenden materiellen Gegen¬
stände. Der Urstoff (inatsrig, äöiörons oder soluw) ist nicht wahrnehmbar (im-
pcrceptibel), nicht einzuschränken (inkoercibel), nicht zusammenhängend (inkohä-
sibel) und unerschöpflich (inexhaustibel), im Gegengesetz zu den körperlichen
Gestalten, die durch ihn hervorgebracht werden (matsrig, ki^ta.), die wahr¬
nehmbar (perceptibel), in Grenzen eingeschlossen (koercibel), zusammenhängend
(kohäsibel) und auszuleeren (exhcmstibel) sind. Kant entschuldigt sich selbst wegen
des Anscheines einer Wortkrämerei mit so ungewohnten technischen Ausdrücken,
er brauche sie, weil dadurch der Vortrag in der Exposition der Begriffe ab¬
gekürzt werde. Das „inkoercibel" heißt unsperrbar und alldurchdringend;
die immerwährende schwingende Bewegung der kleinsten Teile der Materie
hört nicht auf, wenn sich ihr feste Körper entgegenstellen, sondern diese sind
vollkommen durchgängig für jene Schwingungen. Die Bewegung der allge¬
meinen Weltmaterie wird nur durch sich selbst verändert, indem anziehende
und abstoßende Kräfte gegen einander wirken. Je nachdem die eine oder die
andre das Übergewicht hat, entstehen die verschiedenen Aggregatzustände der
wägbaren Stoffe. Denn auch die Wägbarkeit kommt nur der Materie im ge¬
formten Zustande zu, nur der niatsrig. ki^w, nicht der solutA. Ebenso wie
die allgemeine Materie nicht in Grenzen eingeschlossen werden kann, so ist sie
auch nicht innerhalb solcher Grenzen im Zusammenhange gebunden, d. i. nicht
kohäsibel. Der Zusammenhang eines Stoffes in sich wird erst hervorgebracht
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |