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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Das Wahlkartell und die Areuzzeitungspartei.

nicht aber die Schrullen und Velleitäten eines vorzüglich von geistlicher Herrsch¬
sucht regierten Bruchteils derselben zu verkünden und zu vertreten. Der Wille
dieser großen Mehrheit ist aber, wie wir nicht erst aus der oben angeführten
Korrespondenz erfuhren, keineswegs auf einen Bruch mit den gemäßigten Libe¬
ralen, sondern auf eine Verständigung zu fernerem Zusammcnwählen und Zu¬
sammenwirken gerichtet. Von der Beute, welche der Sieg der Neichstrcuen bei
deu letzten Neichstagswahlen brachte, fiel dem nationalliberalen Flügel des
Kartellheeres der Löwenanteil zu, die Mandate, die er gewann, erreichten mit
101 fast die Zahl, deren sich die Partei in der Zeit ihrer höchsten Blüte er¬
freut hatte. Ihr Verhalten bei Behandlung der Fragen, über die sie in der
Folge im Reichstage zu reden und abzustimmen hatte, war im ganzen von der
Art, daß man ihr jenes Anwachsen gönnen konnte und daß wir ihr jetzt gleiche
Erfolge bei den Landtagswahlen wünschen dürfen. Käme es in der Folge bei
Erfüllung dieses Wunsches und dadurch gesteigertem Machtgefühle zu einem
Rückfalle in alte Sünden -- wir denken an die Jahre, wo die Elemente noch
in der Partei waren und herrschten, die dann durch die Sezession ausschieden
und sich zuletzt an ihrer rechten Stelle, im Lager der Deutschfreisinnigen, ein¬
ordneten --, so wäre es für die Konservativen immer noch Zeit, das Kartell
aufzulösen. Wir dürfen aber wohl hoffen, daß die Nationalliberalen gelernt
und vergessen haben. Gut wenigstens ist es ihnen nicht bekommen, als sie von
1877 an in die Stellung einer Oppositionspartei abschwenkten.

Noch einmal: wenn Herr v. Rauchhaupt mit seinen neulichen Expektora-
tionen offenbar die Absicht verfolgte, die selbstverständlich zwischen den drei
nationalgesinnten Parteien und namentlich zwischen deu Deutschkonservativen
und den Nationalliberalen bestehenden Gegensätze grell hervortreten zu lassen
und zu einer Kluft, die keine Brücke zuläßt, zu erweitern, so handelt er nicht
im Namen und Sinne der konservativen Partei, deren Mehrheit jetzt hinreichend
darüber aufgeklärt ist, daß unsre politische Lage uns nicht erlaubt, geschweige
denn gebietet, Parteianlicgen über die Bedürfnisse des Staates und des ge¬
samten Volkes zu stellen und darüber mit denen, welche diese Bedürfnisse gleich
der eignen Partei zu fördern gewillt sind, sich zu überwerfen und mit denen, die
ihre Befriedigung bisher zu hintertreiben bemüht waren und allezeit bemüht
sein werden, zu liebäugeln, zu palliren und schließlich zusammenzustimmen. Wir
möchten uns der Hoffnung hingeben, daß Herr v. Rauchhaupt sich die Sache
nochmals überlege und zu andern Ansichten und Entschlüssen gelange. Vielleicht
überzeugt er sich bei genauerer Prüfung, daß die Aufgaben des preußischen
Landtags von denen des deutschen Reichstags sich keineswegs so sehr unter¬
scheiden, als er in Übereinstimmung mit der Kreuzzeitung meint, und dann muß
ihm einleuchten, daß es unmöglich angeht, mit denselben Leuten, die man am
Dönhoffsplatze feindselig zu behandeln vor hat, auf der Leipzigerstraße als Gleich¬
gesinnten, Gleichstrebenden und Verbündeten zu verkehren. Wir möchten ferner an


Das Wahlkartell und die Areuzzeitungspartei.

nicht aber die Schrullen und Velleitäten eines vorzüglich von geistlicher Herrsch¬
sucht regierten Bruchteils derselben zu verkünden und zu vertreten. Der Wille
dieser großen Mehrheit ist aber, wie wir nicht erst aus der oben angeführten
Korrespondenz erfuhren, keineswegs auf einen Bruch mit den gemäßigten Libe¬
ralen, sondern auf eine Verständigung zu fernerem Zusammcnwählen und Zu¬
sammenwirken gerichtet. Von der Beute, welche der Sieg der Neichstrcuen bei
deu letzten Neichstagswahlen brachte, fiel dem nationalliberalen Flügel des
Kartellheeres der Löwenanteil zu, die Mandate, die er gewann, erreichten mit
101 fast die Zahl, deren sich die Partei in der Zeit ihrer höchsten Blüte er¬
freut hatte. Ihr Verhalten bei Behandlung der Fragen, über die sie in der
Folge im Reichstage zu reden und abzustimmen hatte, war im ganzen von der
Art, daß man ihr jenes Anwachsen gönnen konnte und daß wir ihr jetzt gleiche
Erfolge bei den Landtagswahlen wünschen dürfen. Käme es in der Folge bei
Erfüllung dieses Wunsches und dadurch gesteigertem Machtgefühle zu einem
Rückfalle in alte Sünden — wir denken an die Jahre, wo die Elemente noch
in der Partei waren und herrschten, die dann durch die Sezession ausschieden
und sich zuletzt an ihrer rechten Stelle, im Lager der Deutschfreisinnigen, ein¬
ordneten —, so wäre es für die Konservativen immer noch Zeit, das Kartell
aufzulösen. Wir dürfen aber wohl hoffen, daß die Nationalliberalen gelernt
und vergessen haben. Gut wenigstens ist es ihnen nicht bekommen, als sie von
1877 an in die Stellung einer Oppositionspartei abschwenkten.

Noch einmal: wenn Herr v. Rauchhaupt mit seinen neulichen Expektora-
tionen offenbar die Absicht verfolgte, die selbstverständlich zwischen den drei
nationalgesinnten Parteien und namentlich zwischen deu Deutschkonservativen
und den Nationalliberalen bestehenden Gegensätze grell hervortreten zu lassen
und zu einer Kluft, die keine Brücke zuläßt, zu erweitern, so handelt er nicht
im Namen und Sinne der konservativen Partei, deren Mehrheit jetzt hinreichend
darüber aufgeklärt ist, daß unsre politische Lage uns nicht erlaubt, geschweige
denn gebietet, Parteianlicgen über die Bedürfnisse des Staates und des ge¬
samten Volkes zu stellen und darüber mit denen, welche diese Bedürfnisse gleich
der eignen Partei zu fördern gewillt sind, sich zu überwerfen und mit denen, die
ihre Befriedigung bisher zu hintertreiben bemüht waren und allezeit bemüht
sein werden, zu liebäugeln, zu palliren und schließlich zusammenzustimmen. Wir
möchten uns der Hoffnung hingeben, daß Herr v. Rauchhaupt sich die Sache
nochmals überlege und zu andern Ansichten und Entschlüssen gelange. Vielleicht
überzeugt er sich bei genauerer Prüfung, daß die Aufgaben des preußischen
Landtags von denen des deutschen Reichstags sich keineswegs so sehr unter¬
scheiden, als er in Übereinstimmung mit der Kreuzzeitung meint, und dann muß
ihm einleuchten, daß es unmöglich angeht, mit denselben Leuten, die man am
Dönhoffsplatze feindselig zu behandeln vor hat, auf der Leipzigerstraße als Gleich¬
gesinnten, Gleichstrebenden und Verbündeten zu verkehren. Wir möchten ferner an


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[0302] Das Wahlkartell und die Areuzzeitungspartei. nicht aber die Schrullen und Velleitäten eines vorzüglich von geistlicher Herrsch¬ sucht regierten Bruchteils derselben zu verkünden und zu vertreten. Der Wille dieser großen Mehrheit ist aber, wie wir nicht erst aus der oben angeführten Korrespondenz erfuhren, keineswegs auf einen Bruch mit den gemäßigten Libe¬ ralen, sondern auf eine Verständigung zu fernerem Zusammcnwählen und Zu¬ sammenwirken gerichtet. Von der Beute, welche der Sieg der Neichstrcuen bei deu letzten Neichstagswahlen brachte, fiel dem nationalliberalen Flügel des Kartellheeres der Löwenanteil zu, die Mandate, die er gewann, erreichten mit 101 fast die Zahl, deren sich die Partei in der Zeit ihrer höchsten Blüte er¬ freut hatte. Ihr Verhalten bei Behandlung der Fragen, über die sie in der Folge im Reichstage zu reden und abzustimmen hatte, war im ganzen von der Art, daß man ihr jenes Anwachsen gönnen konnte und daß wir ihr jetzt gleiche Erfolge bei den Landtagswahlen wünschen dürfen. Käme es in der Folge bei Erfüllung dieses Wunsches und dadurch gesteigertem Machtgefühle zu einem Rückfalle in alte Sünden — wir denken an die Jahre, wo die Elemente noch in der Partei waren und herrschten, die dann durch die Sezession ausschieden und sich zuletzt an ihrer rechten Stelle, im Lager der Deutschfreisinnigen, ein¬ ordneten —, so wäre es für die Konservativen immer noch Zeit, das Kartell aufzulösen. Wir dürfen aber wohl hoffen, daß die Nationalliberalen gelernt und vergessen haben. Gut wenigstens ist es ihnen nicht bekommen, als sie von 1877 an in die Stellung einer Oppositionspartei abschwenkten. Noch einmal: wenn Herr v. Rauchhaupt mit seinen neulichen Expektora- tionen offenbar die Absicht verfolgte, die selbstverständlich zwischen den drei nationalgesinnten Parteien und namentlich zwischen deu Deutschkonservativen und den Nationalliberalen bestehenden Gegensätze grell hervortreten zu lassen und zu einer Kluft, die keine Brücke zuläßt, zu erweitern, so handelt er nicht im Namen und Sinne der konservativen Partei, deren Mehrheit jetzt hinreichend darüber aufgeklärt ist, daß unsre politische Lage uns nicht erlaubt, geschweige denn gebietet, Parteianlicgen über die Bedürfnisse des Staates und des ge¬ samten Volkes zu stellen und darüber mit denen, welche diese Bedürfnisse gleich der eignen Partei zu fördern gewillt sind, sich zu überwerfen und mit denen, die ihre Befriedigung bisher zu hintertreiben bemüht waren und allezeit bemüht sein werden, zu liebäugeln, zu palliren und schließlich zusammenzustimmen. Wir möchten uns der Hoffnung hingeben, daß Herr v. Rauchhaupt sich die Sache nochmals überlege und zu andern Ansichten und Entschlüssen gelange. Vielleicht überzeugt er sich bei genauerer Prüfung, daß die Aufgaben des preußischen Landtags von denen des deutschen Reichstags sich keineswegs so sehr unter¬ scheiden, als er in Übereinstimmung mit der Kreuzzeitung meint, und dann muß ihm einleuchten, daß es unmöglich angeht, mit denselben Leuten, die man am Dönhoffsplatze feindselig zu behandeln vor hat, auf der Leipzigerstraße als Gleich¬ gesinnten, Gleichstrebenden und Verbündeten zu verkehren. Wir möchten ferner an

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/302>, abgerufen am 22.07.2024.