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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Das Wcihlkartell und die Krenzzeitungspartei.

der Hoffnung festhalten, daß es wie in den obenerwähnten schlesischen, sächsischen und
rheinischen Kreise so auch in vielen andern gelingen wird, noch vor den UrWahlen
(die auf die erste Nvvemberwoche festgesetzt sind) eine Verständigung zwischen den
reichstreucn Parteien zu ermöglichen, die ein späteres ersprießliches Zusammen¬
wirken der von ihnen gewählten im Abgeordnetenhause sicherstellt. Auch das Blatt
des Reichskanzlers teilt diese Hoffnung, und zwar schöpft es sie aus Berichten
über die in den Wählerkreisen obwaltende Stimmung, woran es folgende treffende
Bemerkungen knüpft: "Es wäre eine Täuschung, wenn man annähme, daß das
Kartell nur die Bedeutung eines Vertrages habe, der zwischen den verschiednen
Parteileitungen abgeschlossen worden ist und wie ein gewöhnlicher Vertrag jeder¬
zeit wieder aufgelöst werden kann. Das Kartell ist lediglich die äußere Form
für das in den nationalgesinnten Kreisen der Wählerschaft begründete Bewußt¬
sein, daß nur durch ein entschlossenes Zusammenstehen aller staatserhaltenden
Kräfte die großen Fragen der Zeit in einer das Wohl des Landes fördernden
Weise gelöst werden können." Dieses Bewußtsein wird sich bei deu Wahlen
des nächsten Herbstes, wenn es namentlich von der wohldenkenden Presse wach¬
erhalten und gepflegt wird, auch in dem Falle mehr oder weniger Geltung ver¬
schaffen, wo in einem Kreise die Politiker vom Handwerke keinen Vertrag zu
wechselseitigen Beistände schließen, und wo die extremen Gruppen von rechts
und links dagegen wirken. Mögen diese hie und da noch mehr vermögen, als
zu wünschen und zu loben ist, die Zukunft gehört nicht dem Parteigeiste, sondern
der politischen Denkart, d. h. der, welche auf das über dem Parteitreiben
stehende, auf das Staatswohl blickt und zu dessen Förderung überall, wo die
Verhältnisse es heischen, bereit ist, Vermittlung zu versuchen und anzunehmen.
Dann aber wird die Zeit erfüllt und die Einigung der Deutschen volle Wahr¬
heit sein.

In Verbindung hiermit zum Schlüsse noch eins. Die deutschfreisinnigc
Presse klügelte aus, daß diese Polemik des Kanzlers gegen die Kreuzzeitungs¬
partei nicht sowohl den Zweck habe, diese Richtung zurückzudrängen, als viel¬
mehr den, die Nationallibercileu im Gefolge der Konservativen als "tote poli¬
tische Masse" festzuhalten. Darauf antwortet der leitende Staatsmann, indem
er sein Blatt statt seiner Person sprechen läßt, folgendes: "Wir haben von
jeher konservative Grundanschauungen vertreten, und namentlich wollen wir das
monarchische Fundament unsers Staates, der jeder Autorität die ihr zukom¬
mende Stellung anweist, erhalten wissen. Bei der darauf abzielenden politischen
Arbeit müssen wir selbstverständlich mit den extremen Strömungen von rechts
wie von links in Auseinandersetzungen geraten, und zwar umso mehr, wo sie
von der Vorstellung erfüllt und getrieben sind, den Gang der Ereignisse ohne
Rücksicht auf die thatsächlichen Verhältnisse aus dem Gesichtspunkte einer Partei
heraus bestimmen zu können. Die Klique der Kreuzzeitung wähnt ebenso wie
die entgegengesetzte politische Richtung stark genug zu sein, um im zeitweiligen


Das Wcihlkartell und die Krenzzeitungspartei.

der Hoffnung festhalten, daß es wie in den obenerwähnten schlesischen, sächsischen und
rheinischen Kreise so auch in vielen andern gelingen wird, noch vor den UrWahlen
(die auf die erste Nvvemberwoche festgesetzt sind) eine Verständigung zwischen den
reichstreucn Parteien zu ermöglichen, die ein späteres ersprießliches Zusammen¬
wirken der von ihnen gewählten im Abgeordnetenhause sicherstellt. Auch das Blatt
des Reichskanzlers teilt diese Hoffnung, und zwar schöpft es sie aus Berichten
über die in den Wählerkreisen obwaltende Stimmung, woran es folgende treffende
Bemerkungen knüpft: „Es wäre eine Täuschung, wenn man annähme, daß das
Kartell nur die Bedeutung eines Vertrages habe, der zwischen den verschiednen
Parteileitungen abgeschlossen worden ist und wie ein gewöhnlicher Vertrag jeder¬
zeit wieder aufgelöst werden kann. Das Kartell ist lediglich die äußere Form
für das in den nationalgesinnten Kreisen der Wählerschaft begründete Bewußt¬
sein, daß nur durch ein entschlossenes Zusammenstehen aller staatserhaltenden
Kräfte die großen Fragen der Zeit in einer das Wohl des Landes fördernden
Weise gelöst werden können." Dieses Bewußtsein wird sich bei deu Wahlen
des nächsten Herbstes, wenn es namentlich von der wohldenkenden Presse wach¬
erhalten und gepflegt wird, auch in dem Falle mehr oder weniger Geltung ver¬
schaffen, wo in einem Kreise die Politiker vom Handwerke keinen Vertrag zu
wechselseitigen Beistände schließen, und wo die extremen Gruppen von rechts
und links dagegen wirken. Mögen diese hie und da noch mehr vermögen, als
zu wünschen und zu loben ist, die Zukunft gehört nicht dem Parteigeiste, sondern
der politischen Denkart, d. h. der, welche auf das über dem Parteitreiben
stehende, auf das Staatswohl blickt und zu dessen Förderung überall, wo die
Verhältnisse es heischen, bereit ist, Vermittlung zu versuchen und anzunehmen.
Dann aber wird die Zeit erfüllt und die Einigung der Deutschen volle Wahr¬
heit sein.

In Verbindung hiermit zum Schlüsse noch eins. Die deutschfreisinnigc
Presse klügelte aus, daß diese Polemik des Kanzlers gegen die Kreuzzeitungs¬
partei nicht sowohl den Zweck habe, diese Richtung zurückzudrängen, als viel¬
mehr den, die Nationallibercileu im Gefolge der Konservativen als „tote poli¬
tische Masse" festzuhalten. Darauf antwortet der leitende Staatsmann, indem
er sein Blatt statt seiner Person sprechen läßt, folgendes: „Wir haben von
jeher konservative Grundanschauungen vertreten, und namentlich wollen wir das
monarchische Fundament unsers Staates, der jeder Autorität die ihr zukom¬
mende Stellung anweist, erhalten wissen. Bei der darauf abzielenden politischen
Arbeit müssen wir selbstverständlich mit den extremen Strömungen von rechts
wie von links in Auseinandersetzungen geraten, und zwar umso mehr, wo sie
von der Vorstellung erfüllt und getrieben sind, den Gang der Ereignisse ohne
Rücksicht auf die thatsächlichen Verhältnisse aus dem Gesichtspunkte einer Partei
heraus bestimmen zu können. Die Klique der Kreuzzeitung wähnt ebenso wie
die entgegengesetzte politische Richtung stark genug zu sein, um im zeitweiligen


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[0303] Das Wcihlkartell und die Krenzzeitungspartei. der Hoffnung festhalten, daß es wie in den obenerwähnten schlesischen, sächsischen und rheinischen Kreise so auch in vielen andern gelingen wird, noch vor den UrWahlen (die auf die erste Nvvemberwoche festgesetzt sind) eine Verständigung zwischen den reichstreucn Parteien zu ermöglichen, die ein späteres ersprießliches Zusammen¬ wirken der von ihnen gewählten im Abgeordnetenhause sicherstellt. Auch das Blatt des Reichskanzlers teilt diese Hoffnung, und zwar schöpft es sie aus Berichten über die in den Wählerkreisen obwaltende Stimmung, woran es folgende treffende Bemerkungen knüpft: „Es wäre eine Täuschung, wenn man annähme, daß das Kartell nur die Bedeutung eines Vertrages habe, der zwischen den verschiednen Parteileitungen abgeschlossen worden ist und wie ein gewöhnlicher Vertrag jeder¬ zeit wieder aufgelöst werden kann. Das Kartell ist lediglich die äußere Form für das in den nationalgesinnten Kreisen der Wählerschaft begründete Bewußt¬ sein, daß nur durch ein entschlossenes Zusammenstehen aller staatserhaltenden Kräfte die großen Fragen der Zeit in einer das Wohl des Landes fördernden Weise gelöst werden können." Dieses Bewußtsein wird sich bei deu Wahlen des nächsten Herbstes, wenn es namentlich von der wohldenkenden Presse wach¬ erhalten und gepflegt wird, auch in dem Falle mehr oder weniger Geltung ver¬ schaffen, wo in einem Kreise die Politiker vom Handwerke keinen Vertrag zu wechselseitigen Beistände schließen, und wo die extremen Gruppen von rechts und links dagegen wirken. Mögen diese hie und da noch mehr vermögen, als zu wünschen und zu loben ist, die Zukunft gehört nicht dem Parteigeiste, sondern der politischen Denkart, d. h. der, welche auf das über dem Parteitreiben stehende, auf das Staatswohl blickt und zu dessen Förderung überall, wo die Verhältnisse es heischen, bereit ist, Vermittlung zu versuchen und anzunehmen. Dann aber wird die Zeit erfüllt und die Einigung der Deutschen volle Wahr¬ heit sein. In Verbindung hiermit zum Schlüsse noch eins. Die deutschfreisinnigc Presse klügelte aus, daß diese Polemik des Kanzlers gegen die Kreuzzeitungs¬ partei nicht sowohl den Zweck habe, diese Richtung zurückzudrängen, als viel¬ mehr den, die Nationallibercileu im Gefolge der Konservativen als „tote poli¬ tische Masse" festzuhalten. Darauf antwortet der leitende Staatsmann, indem er sein Blatt statt seiner Person sprechen läßt, folgendes: „Wir haben von jeher konservative Grundanschauungen vertreten, und namentlich wollen wir das monarchische Fundament unsers Staates, der jeder Autorität die ihr zukom¬ mende Stellung anweist, erhalten wissen. Bei der darauf abzielenden politischen Arbeit müssen wir selbstverständlich mit den extremen Strömungen von rechts wie von links in Auseinandersetzungen geraten, und zwar umso mehr, wo sie von der Vorstellung erfüllt und getrieben sind, den Gang der Ereignisse ohne Rücksicht auf die thatsächlichen Verhältnisse aus dem Gesichtspunkte einer Partei heraus bestimmen zu können. Die Klique der Kreuzzeitung wähnt ebenso wie die entgegengesetzte politische Richtung stark genug zu sein, um im zeitweiligen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/303>, abgerufen am 22.07.2024.