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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Das ZVahlkartell und die Kreuzzeitungspartei.

bei den Verhandlungen über das Schullastengesetz einnahm. Keinem unbe¬
fangenen Beobachter und Beurteiler konnte damals entgehen, daß sein Verfahren
in dieser Angelegenheit darauf hinauslaufen mußte, zwischen die drei Parteien,
die bisher in allen wichtigen Fragen zusammengestanden hatten, einen Keil zu
treiben und die Konservativen von neuem in das Lager des Zentrums hinüber¬
zuführen." Dieser Versuch mißglückte, wie erinnerlich, damals insofern, als der
bei weitem größere Teil der Fraktion ihrem Anführer den Gehorsam versagte
und es vorzog, mit den Freikonservativen und Nationallibcralcn für den ge¬
fährdeten Gesetzentwurf zu stimmen und ihn so sicher unter Dach und Fach zu
bringen. Jetzt sah es ganz so aus, als hielte Herr vou Rauchhaupt deu Augen¬
blick für geeignet, jenen fehlgeschlagenen Streich zu wiederholen und sich der ihm
unbequemen Bundesgenossenschaft der gemäßigten Liberalen durch kräftige Be¬
tonung dessen, worin seine Meinungen und Wünsche von den ihren abweichen,
zu entledigen, während doch Einigkeit der reichstreuen Parteien im wichtigsten
und einflußreichsten Landtage der Glieder des Neichsorganismus ganz ebenso
notwendig ist als in der Volksvertretung für das Ganze. Mit der Kreuzzeitung
und ihren Anhängern über den Wert und Nutzen des Kartells streiten und
hoffen, sie von ihm zu überzeugen, heißt sich auf das Gebiet des Unmöglichen
begeben. Ist doch ihr Ideal schon seit Jahren eine an zeitweilige Verschmelzung
hinanreichende dichte Annäherung an das Zentrum, das ihrer Auffassung der
Dinge mit seinem starren Widerstreben gegen jede staatliche Autorität in der
That nahe verwandt ist, und betrachtet sie doch alle, die ihren spezifisch-kirch¬
lichen Standpunkt nicht einzunehmen vermögen, mit einem Hasse, der so leiden¬
schaftlich ist, daß er es nicht für einen Raub hält, zur Befehdung, Schwächung
und Abdräugung der national gesinnten, im wesentlichen mit der Negierung
gehenden, aber freilich nicht auf jenem hochkirchlichen Standpunkte stehenden
Elemente im Hannoverschen um den Beistand der offenkundiger Welsen und der
Kreise von Zeloten zu werben, die ihr Welfentum nur bis auf weiteres ver¬
bergen, indem sie "der Obrigkeit Unterthan sind, die Gewalt über sie hat,"
d. h. die ihnen, falls sie ihre wahre Gesinnung aufdecken und bethätigen wollten,
Amt und Brot entziehen müßte. Mit der Kreuzzeitung ist also kaum mehr
zu rechnen. Man erwähnt sie nur noch gelegentlich, um sofort von ihr Weg¬
znsehen, man läßt sie grollen, schmähen und Hetzen, zumal da sie eine mehr und
mehr alternde und aussterbende Klasse von politischen Geschöpfen vertritt und
nur noch mäßigen Einfluß ausübt, obwohl sie gewohnheitsmäßig noch vielfach
gehalten wird. Anders verhält es sich mit Herrn von Rauchhaupt, wenn er
in dasselbe Horn zu blasen fortfährt wie der greisenhafte Geist des Blattes
mit dem Landwehrkreuze. Er würde damit auf einen Riß und ein schließliches
Zerfallen der Partei hinarbeiten, deren anerkannter Führer im Preußischen Ab¬
geordnetenhause er ist. Er ist hierdurch verpflichtet, die Anschauungen und
Willensmeinungen der gesamten Partei oder der großen Mehrheit ihrer Glieder,


Das ZVahlkartell und die Kreuzzeitungspartei.

bei den Verhandlungen über das Schullastengesetz einnahm. Keinem unbe¬
fangenen Beobachter und Beurteiler konnte damals entgehen, daß sein Verfahren
in dieser Angelegenheit darauf hinauslaufen mußte, zwischen die drei Parteien,
die bisher in allen wichtigen Fragen zusammengestanden hatten, einen Keil zu
treiben und die Konservativen von neuem in das Lager des Zentrums hinüber¬
zuführen." Dieser Versuch mißglückte, wie erinnerlich, damals insofern, als der
bei weitem größere Teil der Fraktion ihrem Anführer den Gehorsam versagte
und es vorzog, mit den Freikonservativen und Nationallibcralcn für den ge¬
fährdeten Gesetzentwurf zu stimmen und ihn so sicher unter Dach und Fach zu
bringen. Jetzt sah es ganz so aus, als hielte Herr vou Rauchhaupt deu Augen¬
blick für geeignet, jenen fehlgeschlagenen Streich zu wiederholen und sich der ihm
unbequemen Bundesgenossenschaft der gemäßigten Liberalen durch kräftige Be¬
tonung dessen, worin seine Meinungen und Wünsche von den ihren abweichen,
zu entledigen, während doch Einigkeit der reichstreuen Parteien im wichtigsten
und einflußreichsten Landtage der Glieder des Neichsorganismus ganz ebenso
notwendig ist als in der Volksvertretung für das Ganze. Mit der Kreuzzeitung
und ihren Anhängern über den Wert und Nutzen des Kartells streiten und
hoffen, sie von ihm zu überzeugen, heißt sich auf das Gebiet des Unmöglichen
begeben. Ist doch ihr Ideal schon seit Jahren eine an zeitweilige Verschmelzung
hinanreichende dichte Annäherung an das Zentrum, das ihrer Auffassung der
Dinge mit seinem starren Widerstreben gegen jede staatliche Autorität in der
That nahe verwandt ist, und betrachtet sie doch alle, die ihren spezifisch-kirch¬
lichen Standpunkt nicht einzunehmen vermögen, mit einem Hasse, der so leiden¬
schaftlich ist, daß er es nicht für einen Raub hält, zur Befehdung, Schwächung
und Abdräugung der national gesinnten, im wesentlichen mit der Negierung
gehenden, aber freilich nicht auf jenem hochkirchlichen Standpunkte stehenden
Elemente im Hannoverschen um den Beistand der offenkundiger Welsen und der
Kreise von Zeloten zu werben, die ihr Welfentum nur bis auf weiteres ver¬
bergen, indem sie „der Obrigkeit Unterthan sind, die Gewalt über sie hat,"
d. h. die ihnen, falls sie ihre wahre Gesinnung aufdecken und bethätigen wollten,
Amt und Brot entziehen müßte. Mit der Kreuzzeitung ist also kaum mehr
zu rechnen. Man erwähnt sie nur noch gelegentlich, um sofort von ihr Weg¬
znsehen, man läßt sie grollen, schmähen und Hetzen, zumal da sie eine mehr und
mehr alternde und aussterbende Klasse von politischen Geschöpfen vertritt und
nur noch mäßigen Einfluß ausübt, obwohl sie gewohnheitsmäßig noch vielfach
gehalten wird. Anders verhält es sich mit Herrn von Rauchhaupt, wenn er
in dasselbe Horn zu blasen fortfährt wie der greisenhafte Geist des Blattes
mit dem Landwehrkreuze. Er würde damit auf einen Riß und ein schließliches
Zerfallen der Partei hinarbeiten, deren anerkannter Führer im Preußischen Ab¬
geordnetenhause er ist. Er ist hierdurch verpflichtet, die Anschauungen und
Willensmeinungen der gesamten Partei oder der großen Mehrheit ihrer Glieder,


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[0301] Das ZVahlkartell und die Kreuzzeitungspartei. bei den Verhandlungen über das Schullastengesetz einnahm. Keinem unbe¬ fangenen Beobachter und Beurteiler konnte damals entgehen, daß sein Verfahren in dieser Angelegenheit darauf hinauslaufen mußte, zwischen die drei Parteien, die bisher in allen wichtigen Fragen zusammengestanden hatten, einen Keil zu treiben und die Konservativen von neuem in das Lager des Zentrums hinüber¬ zuführen." Dieser Versuch mißglückte, wie erinnerlich, damals insofern, als der bei weitem größere Teil der Fraktion ihrem Anführer den Gehorsam versagte und es vorzog, mit den Freikonservativen und Nationallibcralcn für den ge¬ fährdeten Gesetzentwurf zu stimmen und ihn so sicher unter Dach und Fach zu bringen. Jetzt sah es ganz so aus, als hielte Herr vou Rauchhaupt deu Augen¬ blick für geeignet, jenen fehlgeschlagenen Streich zu wiederholen und sich der ihm unbequemen Bundesgenossenschaft der gemäßigten Liberalen durch kräftige Be¬ tonung dessen, worin seine Meinungen und Wünsche von den ihren abweichen, zu entledigen, während doch Einigkeit der reichstreuen Parteien im wichtigsten und einflußreichsten Landtage der Glieder des Neichsorganismus ganz ebenso notwendig ist als in der Volksvertretung für das Ganze. Mit der Kreuzzeitung und ihren Anhängern über den Wert und Nutzen des Kartells streiten und hoffen, sie von ihm zu überzeugen, heißt sich auf das Gebiet des Unmöglichen begeben. Ist doch ihr Ideal schon seit Jahren eine an zeitweilige Verschmelzung hinanreichende dichte Annäherung an das Zentrum, das ihrer Auffassung der Dinge mit seinem starren Widerstreben gegen jede staatliche Autorität in der That nahe verwandt ist, und betrachtet sie doch alle, die ihren spezifisch-kirch¬ lichen Standpunkt nicht einzunehmen vermögen, mit einem Hasse, der so leiden¬ schaftlich ist, daß er es nicht für einen Raub hält, zur Befehdung, Schwächung und Abdräugung der national gesinnten, im wesentlichen mit der Negierung gehenden, aber freilich nicht auf jenem hochkirchlichen Standpunkte stehenden Elemente im Hannoverschen um den Beistand der offenkundiger Welsen und der Kreise von Zeloten zu werben, die ihr Welfentum nur bis auf weiteres ver¬ bergen, indem sie „der Obrigkeit Unterthan sind, die Gewalt über sie hat," d. h. die ihnen, falls sie ihre wahre Gesinnung aufdecken und bethätigen wollten, Amt und Brot entziehen müßte. Mit der Kreuzzeitung ist also kaum mehr zu rechnen. Man erwähnt sie nur noch gelegentlich, um sofort von ihr Weg¬ znsehen, man läßt sie grollen, schmähen und Hetzen, zumal da sie eine mehr und mehr alternde und aussterbende Klasse von politischen Geschöpfen vertritt und nur noch mäßigen Einfluß ausübt, obwohl sie gewohnheitsmäßig noch vielfach gehalten wird. Anders verhält es sich mit Herrn von Rauchhaupt, wenn er in dasselbe Horn zu blasen fortfährt wie der greisenhafte Geist des Blattes mit dem Landwehrkreuze. Er würde damit auf einen Riß und ein schließliches Zerfallen der Partei hinarbeiten, deren anerkannter Führer im Preußischen Ab¬ geordnetenhause er ist. Er ist hierdurch verpflichtet, die Anschauungen und Willensmeinungen der gesamten Partei oder der großen Mehrheit ihrer Glieder,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/301>, abgerufen am 22.07.2024.