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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Ricks Lyhne,

entschwunden ist. Ich kann ganz krank werden, wenn ich daran denke, wie die
Tage dahin gehen, unaufhaltsam. Und ich Habenichts oder ich kann nicht dazu
gelangen. Es ist eine Angst, ich kann so rasend werden, daß ich im Zimmer
auf- und abgehen und ganz Unsinniges vor mich hinsingen muß, nur um nicht
vor lauter Wut zu weinen, und dann bin ich nahe daran, den Verstand zu
verlieren, wenn ich innehatte und daran denke, daß die Zeit inzwischen weiter¬
geschritten ist und daß sie weiterschreitet, während ich denke, weiter und immer
weiter. Es giebt nichts so Elendes, als Künstler zu sein; hier stehe ich, kräftig
und gesund; ich kann sehen, mein Blut ist warm und reich, mein Herz schlägt,
ich bin bei vollem Verstände und ich will arbeiten. Aber trotz alledem kann
ich nicht, ich kämpfe und greife nach etwas Unsichtbarem, das sich nicht greifen
läßt, zu dem mir keine Anstrengungen verhelfen können, und wenn ich arbeiten
wollte, bis mir das Blut unter den Nägeln hervorspritzte. Was soll mau
thun, um eine Eingebung zu erlangen, eine Idee? Ich kann mich zusammen¬
nehmen, soviel als ich will, ich kann mich bemühen, zu thun, als sei nichts ge¬
schehen, kann ausgehen und mich umsehen, ohne zu suchen, aber nein! Niemals,
niemals auch nur das Geringste, nur das Gefühl, daß jetzt die Zeit da draußen
in der Ewigkeit mitten im Leben steht und die Stunden an sich zieht, sodaß
sie vorüberfliegen ohne Aufenthalt, zwölf weiße und zwölf schwarze ohne Aufent¬
halt. Was soll ich nur thun, es muß doch etwas geben, was man thun kann,
wenn es so mit einem steht, ich kann doch nicht der erste sein, dem es so er¬
geht? Weißt du nicht etwa ein Mittel dagegen?

Du mußt reisen!

Nein, nur das nicht! Wie kommst du auf den Gedanken? Du glaubst
doch nicht, daß es aus sei mit mir?

Daß es mit dir aus sei? Nein! Aber ich meinte, die neuen Eindrücke --

Die neuen Eindrücke! Das ist es ja gerade! Hast du niemals von Leuten
gehört, die vollauf Talent besaßen, so lange sie in ihrer ersten Jugend standen,
so lange sie frisch waren, voller Hoffnungen und Pläne, aber dann, als sich
das verlor, war auch ihr Talent weg und kehrte nie wieder zurück.

Er schwieg lange.

Die reisten, Ricks, um neue Eindrücke zu sammeln. Das war wenigstens
ihre fixe Idee. Aber der Süden, der Orient, es war alles vergebens, es glitt
spurlos an ihnen vorüber wie an einem Spiegel. Ich habe ihre Gräber in
Rom gesehen. Wenigstens die von zweien, aber es giebt viele -- unendlich
viele. Der eine verlor seinen Verstand.

Ich habe das bis jetzt niemals von Malern gehört.

Freilich! Was glaubst du wohl, was es sein kann? Ein heimlicher
Nerv, der zerstört ist? Oder trägt man etwa selbst die Schuld daran? Etwas,
dem man treulos geworden ist, ein Unrecht, das man begangen hat? Eine
Seele ist ein gar gebrechliches Ding, und niemand weiß, wie lange so


Ricks Lyhne,

entschwunden ist. Ich kann ganz krank werden, wenn ich daran denke, wie die
Tage dahin gehen, unaufhaltsam. Und ich Habenichts oder ich kann nicht dazu
gelangen. Es ist eine Angst, ich kann so rasend werden, daß ich im Zimmer
auf- und abgehen und ganz Unsinniges vor mich hinsingen muß, nur um nicht
vor lauter Wut zu weinen, und dann bin ich nahe daran, den Verstand zu
verlieren, wenn ich innehatte und daran denke, daß die Zeit inzwischen weiter¬
geschritten ist und daß sie weiterschreitet, während ich denke, weiter und immer
weiter. Es giebt nichts so Elendes, als Künstler zu sein; hier stehe ich, kräftig
und gesund; ich kann sehen, mein Blut ist warm und reich, mein Herz schlägt,
ich bin bei vollem Verstände und ich will arbeiten. Aber trotz alledem kann
ich nicht, ich kämpfe und greife nach etwas Unsichtbarem, das sich nicht greifen
läßt, zu dem mir keine Anstrengungen verhelfen können, und wenn ich arbeiten
wollte, bis mir das Blut unter den Nägeln hervorspritzte. Was soll mau
thun, um eine Eingebung zu erlangen, eine Idee? Ich kann mich zusammen¬
nehmen, soviel als ich will, ich kann mich bemühen, zu thun, als sei nichts ge¬
schehen, kann ausgehen und mich umsehen, ohne zu suchen, aber nein! Niemals,
niemals auch nur das Geringste, nur das Gefühl, daß jetzt die Zeit da draußen
in der Ewigkeit mitten im Leben steht und die Stunden an sich zieht, sodaß
sie vorüberfliegen ohne Aufenthalt, zwölf weiße und zwölf schwarze ohne Aufent¬
halt. Was soll ich nur thun, es muß doch etwas geben, was man thun kann,
wenn es so mit einem steht, ich kann doch nicht der erste sein, dem es so er¬
geht? Weißt du nicht etwa ein Mittel dagegen?

Du mußt reisen!

Nein, nur das nicht! Wie kommst du auf den Gedanken? Du glaubst
doch nicht, daß es aus sei mit mir?

Daß es mit dir aus sei? Nein! Aber ich meinte, die neuen Eindrücke —

Die neuen Eindrücke! Das ist es ja gerade! Hast du niemals von Leuten
gehört, die vollauf Talent besaßen, so lange sie in ihrer ersten Jugend standen,
so lange sie frisch waren, voller Hoffnungen und Pläne, aber dann, als sich
das verlor, war auch ihr Talent weg und kehrte nie wieder zurück.

Er schwieg lange.

Die reisten, Ricks, um neue Eindrücke zu sammeln. Das war wenigstens
ihre fixe Idee. Aber der Süden, der Orient, es war alles vergebens, es glitt
spurlos an ihnen vorüber wie an einem Spiegel. Ich habe ihre Gräber in
Rom gesehen. Wenigstens die von zweien, aber es giebt viele — unendlich
viele. Der eine verlor seinen Verstand.

Ich habe das bis jetzt niemals von Malern gehört.

Freilich! Was glaubst du wohl, was es sein kann? Ein heimlicher
Nerv, der zerstört ist? Oder trägt man etwa selbst die Schuld daran? Etwas,
dem man treulos geworden ist, ein Unrecht, das man begangen hat? Eine
Seele ist ein gar gebrechliches Ding, und niemand weiß, wie lange so


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/287>, abgerufen am 24.08.2024.