Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Ricks Lyhne.

eine Seele in dem Körper wohnt. Man sollte gut gegen sich selber sein.
Nun -- und seine Stimme wurde leise und weich -- ich habe auch zuweilen
diese Sehnsucht -- zu reisen, weil ich mich so leer fühle; ich sehne mich oft in
einer Weise, von der du dir keine Vorstellung machen kannst, aber es ist mir,
als dürfte ich den Versuch nicht wagen; denn, setze einmal den Fall, daß es
nichts hälfe und daß ich einer von denen wäre, von denen ich dir vorhin er-
zählte -- was dann? Denke dir, wenn ich der nackten Gewißheit gegenüber¬
stünde, daß es mit mir aus wäre, daß ich nicht das Geringste besäße, daß ich
nichts, gar nichts könnte, denke dir -- nichts zu können: ein Lump zu sein, ein
Krüppel, ein elender Kapphahn. Was sollte nur aus mir werden? Sage mir
das doch! Und siehst du, so ganz unmöglich wäre es doch nicht; die erste
Jugend ist vorüber, von Illusionen und allem, was dahin gehört, ist -- bei
Gott -- nicht viel übrig geblieben. Es ist merkwürdig, wie viel man davon
verbrauchen kann, und ich habe doch niemals zu den Leuten gehört, die sich
freuen, ihre Illusionen loszuwerden, mit mir war es nicht so wie mit euch
andern, die ihr bei Frau Boye verkehrtet; ihr wäret gar zu geschäftig, euch die
Schmuckfedern auszurupfen, und je kahler ihr wurdet, je übermütiger wäret ihr.
Aber im Grunde bleibt es sich ja völlig gleich, einmal muß man doch seine
Federn hergeben.

Sie schwiegen. Die Luft war bitter von dem Tabaksrauch, widerlich von
Cognac, und sie seufzten tief auf wegen des Qualmes, der da drinnen herrschte,
und dann, weil das Herz ihnen beiden so schwer war.

Da saß nun Ricks, der sechzig Meilen gereist war, um zu helfen, da saß
er und mußte sich vor dem kältern Teil in seiner Natur schämen. Denn was
konnte er nur thun, wenn es schließlich drauf ankam? Sollte er anfangen,
malerisch mit Erik zu sprechen, sollte er viele Worte machen, mit Purpur und
Ultramarin, triefend von Licht und in Schatten getaucht? Damals, als er
reiste, hatte ihm ein ähnlicher Traum vorgeschwebt. Wie war es doch lächer¬
lich! Helfen! Man kann ihm ja bei seinen Schöpfungen nicht mehr helfen, als
man ihm, wenn er gelähmt wäre, dazu verhelfen könnte, den kleinen Finger
von selber aufzuheben. Und wenn man noch so voll von Herz und Mitgefühl
und Opferfreudigkeit und allem wäre, was edel und hochherzig ist. Vor seiner
eignen Thür kehren, das sollte man, das wäre gesund und nützlich! Leichter war
es ja natürlich, ein Gefühlsmensch zu sein, ins Blaue hinein bis hoch hinauf
in den höchsten Himmel. Wenn es nur nicht so grenzenlos unpraktisch, so be¬
trübend zwecklos gewesen wäre! Für sich selber sorgen, und zwar gründlich für
sich sorgen, davon wurde man zwar nicht selig, aber man brauchte auch vor
niemand die Augen niederzuschlagen, weder vor Gott noch vor den Menschen.

Ricks hatte vollauf Gelegenheit, mißmutige Betrachtungen über die Ohn¬
macht des guten Herzens anzustellen, denn der ganze Nutzen, den er stiftete,
bestand darin, daß er ungefähr einen Monat lang Erik mehr an das Haus


Ricks Lyhne.

eine Seele in dem Körper wohnt. Man sollte gut gegen sich selber sein.
Nun — und seine Stimme wurde leise und weich — ich habe auch zuweilen
diese Sehnsucht — zu reisen, weil ich mich so leer fühle; ich sehne mich oft in
einer Weise, von der du dir keine Vorstellung machen kannst, aber es ist mir,
als dürfte ich den Versuch nicht wagen; denn, setze einmal den Fall, daß es
nichts hälfe und daß ich einer von denen wäre, von denen ich dir vorhin er-
zählte — was dann? Denke dir, wenn ich der nackten Gewißheit gegenüber¬
stünde, daß es mit mir aus wäre, daß ich nicht das Geringste besäße, daß ich
nichts, gar nichts könnte, denke dir — nichts zu können: ein Lump zu sein, ein
Krüppel, ein elender Kapphahn. Was sollte nur aus mir werden? Sage mir
das doch! Und siehst du, so ganz unmöglich wäre es doch nicht; die erste
Jugend ist vorüber, von Illusionen und allem, was dahin gehört, ist — bei
Gott — nicht viel übrig geblieben. Es ist merkwürdig, wie viel man davon
verbrauchen kann, und ich habe doch niemals zu den Leuten gehört, die sich
freuen, ihre Illusionen loszuwerden, mit mir war es nicht so wie mit euch
andern, die ihr bei Frau Boye verkehrtet; ihr wäret gar zu geschäftig, euch die
Schmuckfedern auszurupfen, und je kahler ihr wurdet, je übermütiger wäret ihr.
Aber im Grunde bleibt es sich ja völlig gleich, einmal muß man doch seine
Federn hergeben.

Sie schwiegen. Die Luft war bitter von dem Tabaksrauch, widerlich von
Cognac, und sie seufzten tief auf wegen des Qualmes, der da drinnen herrschte,
und dann, weil das Herz ihnen beiden so schwer war.

Da saß nun Ricks, der sechzig Meilen gereist war, um zu helfen, da saß
er und mußte sich vor dem kältern Teil in seiner Natur schämen. Denn was
konnte er nur thun, wenn es schließlich drauf ankam? Sollte er anfangen,
malerisch mit Erik zu sprechen, sollte er viele Worte machen, mit Purpur und
Ultramarin, triefend von Licht und in Schatten getaucht? Damals, als er
reiste, hatte ihm ein ähnlicher Traum vorgeschwebt. Wie war es doch lächer¬
lich! Helfen! Man kann ihm ja bei seinen Schöpfungen nicht mehr helfen, als
man ihm, wenn er gelähmt wäre, dazu verhelfen könnte, den kleinen Finger
von selber aufzuheben. Und wenn man noch so voll von Herz und Mitgefühl
und Opferfreudigkeit und allem wäre, was edel und hochherzig ist. Vor seiner
eignen Thür kehren, das sollte man, das wäre gesund und nützlich! Leichter war
es ja natürlich, ein Gefühlsmensch zu sein, ins Blaue hinein bis hoch hinauf
in den höchsten Himmel. Wenn es nur nicht so grenzenlos unpraktisch, so be¬
trübend zwecklos gewesen wäre! Für sich selber sorgen, und zwar gründlich für
sich sorgen, davon wurde man zwar nicht selig, aber man brauchte auch vor
niemand die Augen niederzuschlagen, weder vor Gott noch vor den Menschen.

Ricks hatte vollauf Gelegenheit, mißmutige Betrachtungen über die Ohn¬
macht des guten Herzens anzustellen, denn der ganze Nutzen, den er stiftete,
bestand darin, daß er ungefähr einen Monat lang Erik mehr an das Haus


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0288" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/289411"/>
          <fw type="header" place="top"> Ricks Lyhne.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_960" prev="#ID_959"> eine Seele in dem Körper wohnt. Man sollte gut gegen sich selber sein.<lb/>
Nun &#x2014; und seine Stimme wurde leise und weich &#x2014; ich habe auch zuweilen<lb/>
diese Sehnsucht &#x2014; zu reisen, weil ich mich so leer fühle; ich sehne mich oft in<lb/>
einer Weise, von der du dir keine Vorstellung machen kannst, aber es ist mir,<lb/>
als dürfte ich den Versuch nicht wagen; denn, setze einmal den Fall, daß es<lb/>
nichts hälfe und daß ich einer von denen wäre, von denen ich dir vorhin er-<lb/>
zählte &#x2014; was dann? Denke dir, wenn ich der nackten Gewißheit gegenüber¬<lb/>
stünde, daß es mit mir aus wäre, daß ich nicht das Geringste besäße, daß ich<lb/>
nichts, gar nichts könnte, denke dir &#x2014; nichts zu können: ein Lump zu sein, ein<lb/>
Krüppel, ein elender Kapphahn. Was sollte nur aus mir werden? Sage mir<lb/>
das doch! Und siehst du, so ganz unmöglich wäre es doch nicht; die erste<lb/>
Jugend ist vorüber, von Illusionen und allem, was dahin gehört, ist &#x2014; bei<lb/>
Gott &#x2014; nicht viel übrig geblieben. Es ist merkwürdig, wie viel man davon<lb/>
verbrauchen kann, und ich habe doch niemals zu den Leuten gehört, die sich<lb/>
freuen, ihre Illusionen loszuwerden, mit mir war es nicht so wie mit euch<lb/>
andern, die ihr bei Frau Boye verkehrtet; ihr wäret gar zu geschäftig, euch die<lb/>
Schmuckfedern auszurupfen, und je kahler ihr wurdet, je übermütiger wäret ihr.<lb/>
Aber im Grunde bleibt es sich ja völlig gleich, einmal muß man doch seine<lb/>
Federn hergeben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_961"> Sie schwiegen. Die Luft war bitter von dem Tabaksrauch, widerlich von<lb/>
Cognac, und sie seufzten tief auf wegen des Qualmes, der da drinnen herrschte,<lb/>
und dann, weil das Herz ihnen beiden so schwer war.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_962"> Da saß nun Ricks, der sechzig Meilen gereist war, um zu helfen, da saß<lb/>
er und mußte sich vor dem kältern Teil in seiner Natur schämen. Denn was<lb/>
konnte er nur thun, wenn es schließlich drauf ankam? Sollte er anfangen,<lb/>
malerisch mit Erik zu sprechen, sollte er viele Worte machen, mit Purpur und<lb/>
Ultramarin, triefend von Licht und in Schatten getaucht? Damals, als er<lb/>
reiste, hatte ihm ein ähnlicher Traum vorgeschwebt. Wie war es doch lächer¬<lb/>
lich! Helfen! Man kann ihm ja bei seinen Schöpfungen nicht mehr helfen, als<lb/>
man ihm, wenn er gelähmt wäre, dazu verhelfen könnte, den kleinen Finger<lb/>
von selber aufzuheben. Und wenn man noch so voll von Herz und Mitgefühl<lb/>
und Opferfreudigkeit und allem wäre, was edel und hochherzig ist. Vor seiner<lb/>
eignen Thür kehren, das sollte man, das wäre gesund und nützlich! Leichter war<lb/>
es ja natürlich, ein Gefühlsmensch zu sein, ins Blaue hinein bis hoch hinauf<lb/>
in den höchsten Himmel. Wenn es nur nicht so grenzenlos unpraktisch, so be¬<lb/>
trübend zwecklos gewesen wäre! Für sich selber sorgen, und zwar gründlich für<lb/>
sich sorgen, davon wurde man zwar nicht selig, aber man brauchte auch vor<lb/>
niemand die Augen niederzuschlagen, weder vor Gott noch vor den Menschen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_963" next="#ID_964"> Ricks hatte vollauf Gelegenheit, mißmutige Betrachtungen über die Ohn¬<lb/>
macht des guten Herzens anzustellen, denn der ganze Nutzen, den er stiftete,<lb/>
bestand darin, daß er ungefähr einen Monat lang Erik mehr an das Haus</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0288] Ricks Lyhne. eine Seele in dem Körper wohnt. Man sollte gut gegen sich selber sein. Nun — und seine Stimme wurde leise und weich — ich habe auch zuweilen diese Sehnsucht — zu reisen, weil ich mich so leer fühle; ich sehne mich oft in einer Weise, von der du dir keine Vorstellung machen kannst, aber es ist mir, als dürfte ich den Versuch nicht wagen; denn, setze einmal den Fall, daß es nichts hälfe und daß ich einer von denen wäre, von denen ich dir vorhin er- zählte — was dann? Denke dir, wenn ich der nackten Gewißheit gegenüber¬ stünde, daß es mit mir aus wäre, daß ich nicht das Geringste besäße, daß ich nichts, gar nichts könnte, denke dir — nichts zu können: ein Lump zu sein, ein Krüppel, ein elender Kapphahn. Was sollte nur aus mir werden? Sage mir das doch! Und siehst du, so ganz unmöglich wäre es doch nicht; die erste Jugend ist vorüber, von Illusionen und allem, was dahin gehört, ist — bei Gott — nicht viel übrig geblieben. Es ist merkwürdig, wie viel man davon verbrauchen kann, und ich habe doch niemals zu den Leuten gehört, die sich freuen, ihre Illusionen loszuwerden, mit mir war es nicht so wie mit euch andern, die ihr bei Frau Boye verkehrtet; ihr wäret gar zu geschäftig, euch die Schmuckfedern auszurupfen, und je kahler ihr wurdet, je übermütiger wäret ihr. Aber im Grunde bleibt es sich ja völlig gleich, einmal muß man doch seine Federn hergeben. Sie schwiegen. Die Luft war bitter von dem Tabaksrauch, widerlich von Cognac, und sie seufzten tief auf wegen des Qualmes, der da drinnen herrschte, und dann, weil das Herz ihnen beiden so schwer war. Da saß nun Ricks, der sechzig Meilen gereist war, um zu helfen, da saß er und mußte sich vor dem kältern Teil in seiner Natur schämen. Denn was konnte er nur thun, wenn es schließlich drauf ankam? Sollte er anfangen, malerisch mit Erik zu sprechen, sollte er viele Worte machen, mit Purpur und Ultramarin, triefend von Licht und in Schatten getaucht? Damals, als er reiste, hatte ihm ein ähnlicher Traum vorgeschwebt. Wie war es doch lächer¬ lich! Helfen! Man kann ihm ja bei seinen Schöpfungen nicht mehr helfen, als man ihm, wenn er gelähmt wäre, dazu verhelfen könnte, den kleinen Finger von selber aufzuheben. Und wenn man noch so voll von Herz und Mitgefühl und Opferfreudigkeit und allem wäre, was edel und hochherzig ist. Vor seiner eignen Thür kehren, das sollte man, das wäre gesund und nützlich! Leichter war es ja natürlich, ein Gefühlsmensch zu sein, ins Blaue hinein bis hoch hinauf in den höchsten Himmel. Wenn es nur nicht so grenzenlos unpraktisch, so be¬ trübend zwecklos gewesen wäre! Für sich selber sorgen, und zwar gründlich für sich sorgen, davon wurde man zwar nicht selig, aber man brauchte auch vor niemand die Augen niederzuschlagen, weder vor Gott noch vor den Menschen. Ricks hatte vollauf Gelegenheit, mißmutige Betrachtungen über die Ohn¬ macht des guten Herzens anzustellen, denn der ganze Nutzen, den er stiftete, bestand darin, daß er ungefähr einen Monat lang Erik mehr an das Haus

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/288
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/288>, abgerufen am 24.08.2024.