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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Ricks Lyhne.

er Arabisch verstehe. Zu der Gesellschaft, die der Jagdjunker seinen Stab
nannte, gehörte ferner ein Prokurator, der immer neue Geschichten erzählte,
sowie ein Doktor, der nur eine einzige Geschichte wußte und zwar von Anno
Sechs, von der Belagerung Lübecks.

Dieser Kreis erstreckte sich sehr weit, und es kam fast niemals vor, daß
sie alle versammelt waren; vernachlässigte aber einer die Gesellschaft allzu lange
und wußte man, daß er zu Hause war, so ließ der Jagdjunker einen Aufruf
an seine Getreuen ergehen, und man machte sich in xlkuo auf, um die Ochsen
des Abtrünnigen zu besehen. Das bedeutete, daß man sich zwei bis drei Tage
auf dem Hofe des Unglücklichen einquartierte und dort, soweit es möglich war,
alles auf den Kopf stellte durch Spiel und Gelage und andre ländliche Scherze,
zu denen die Jahreszeit gerade einlud. Während eines solchen Strafbesuches
geschah es einmal, daß die Gesellschaft so gründlich einschneide, daß dem Wirt
schließlich der Kaffee, der Rum und der Zucker ausging, und man sich zuletzt
mit einem Kaffeepunsch begnügen mußte, der aus Cichorie gekocht, mit Syrup
gefußt und mit Branntwein vermischt war.

Es war im ganzen eine schlimme, zügellose Bande, in die Erik hinein¬
geraten war; aber Menschen mit einer so unverwüstlichen Lebenskraft konnten
sich in zivilisirteren Vergnügungen kaum genügend Luft schaffen, auch trug der
unerschöpfliche Humor, den sie besaßen, sowie ihre breite, urwüchsige Gemüt¬
lichkeit nicht wenig zur Milderung der Rohheit bei. Wäre Eriks Talent dem
eines Brower oder Ostade verwandt gewesen, so würde diese auserlesene Samm¬
lung von Zechgenossen eine wahre Goldgrube für ihn geworden sein; so aber, wie
die Sachen lagen, hatte auch er keine weitere Ausbeute als die andern, sie ver¬
gnügten sich alle vortrefflich, ja nur zu gut, denn bald ward dies wilde Leben
ihm ganz unentbehrlich und nahm nach und nach seine ganze Zeit in Anspruch.
Wenn er sich auch hin und wieder seiner Unthätigkeit wegen Vorwürfe machte
und sich ernstlich sagte, daß dieser Zustand ein Ende haben müsse, so trieben
ihn doch die Leere und die Ohnmacht, die er jedesmal empfand, wenn er zu
arbeiten versuchte, wieder und wieder zu dem alten Leben zurück.

Den Brief, den er an Ricks geschrieben hatte, eines Tages, als seine ewige
Unfruchtbarkeit, die nie ein Ende nehmen wollte, den Eindruck auf ihn gemacht
hatte, als sei sie ein zehrendes Fieber, das sein Talent ergriffen habe, diesen
Brief bereute er, sobald er abgeschickt war, und er hoffte, Ricks würde seine
Klagen in das eine Ohr hinein- und aus dein andern wieder herausgehen lassen.

Ricks jedoch kam, der wandernde Ritter der Freundschaft in höchsteigner
Person, und ihm wurde denn auch jene halb abweisende, halb mitleidige Be¬
willkommnung zuteil, die wandernde Ritter stets von denen erhalten, um deret-
willen sie die Rostnante aus dem warmen Stall gezogen haben.

Da Ricks jedoch vorsichtig war und wartete, thaute Erik bald auf, und
die alte Vertraulichkeit zwischen ihnen erwachte zu neuem Leben. Und Erik


Ricks Lyhne.

er Arabisch verstehe. Zu der Gesellschaft, die der Jagdjunker seinen Stab
nannte, gehörte ferner ein Prokurator, der immer neue Geschichten erzählte,
sowie ein Doktor, der nur eine einzige Geschichte wußte und zwar von Anno
Sechs, von der Belagerung Lübecks.

Dieser Kreis erstreckte sich sehr weit, und es kam fast niemals vor, daß
sie alle versammelt waren; vernachlässigte aber einer die Gesellschaft allzu lange
und wußte man, daß er zu Hause war, so ließ der Jagdjunker einen Aufruf
an seine Getreuen ergehen, und man machte sich in xlkuo auf, um die Ochsen
des Abtrünnigen zu besehen. Das bedeutete, daß man sich zwei bis drei Tage
auf dem Hofe des Unglücklichen einquartierte und dort, soweit es möglich war,
alles auf den Kopf stellte durch Spiel und Gelage und andre ländliche Scherze,
zu denen die Jahreszeit gerade einlud. Während eines solchen Strafbesuches
geschah es einmal, daß die Gesellschaft so gründlich einschneide, daß dem Wirt
schließlich der Kaffee, der Rum und der Zucker ausging, und man sich zuletzt
mit einem Kaffeepunsch begnügen mußte, der aus Cichorie gekocht, mit Syrup
gefußt und mit Branntwein vermischt war.

Es war im ganzen eine schlimme, zügellose Bande, in die Erik hinein¬
geraten war; aber Menschen mit einer so unverwüstlichen Lebenskraft konnten
sich in zivilisirteren Vergnügungen kaum genügend Luft schaffen, auch trug der
unerschöpfliche Humor, den sie besaßen, sowie ihre breite, urwüchsige Gemüt¬
lichkeit nicht wenig zur Milderung der Rohheit bei. Wäre Eriks Talent dem
eines Brower oder Ostade verwandt gewesen, so würde diese auserlesene Samm¬
lung von Zechgenossen eine wahre Goldgrube für ihn geworden sein; so aber, wie
die Sachen lagen, hatte auch er keine weitere Ausbeute als die andern, sie ver¬
gnügten sich alle vortrefflich, ja nur zu gut, denn bald ward dies wilde Leben
ihm ganz unentbehrlich und nahm nach und nach seine ganze Zeit in Anspruch.
Wenn er sich auch hin und wieder seiner Unthätigkeit wegen Vorwürfe machte
und sich ernstlich sagte, daß dieser Zustand ein Ende haben müsse, so trieben
ihn doch die Leere und die Ohnmacht, die er jedesmal empfand, wenn er zu
arbeiten versuchte, wieder und wieder zu dem alten Leben zurück.

Den Brief, den er an Ricks geschrieben hatte, eines Tages, als seine ewige
Unfruchtbarkeit, die nie ein Ende nehmen wollte, den Eindruck auf ihn gemacht
hatte, als sei sie ein zehrendes Fieber, das sein Talent ergriffen habe, diesen
Brief bereute er, sobald er abgeschickt war, und er hoffte, Ricks würde seine
Klagen in das eine Ohr hinein- und aus dein andern wieder herausgehen lassen.

Ricks jedoch kam, der wandernde Ritter der Freundschaft in höchsteigner
Person, und ihm wurde denn auch jene halb abweisende, halb mitleidige Be¬
willkommnung zuteil, die wandernde Ritter stets von denen erhalten, um deret-
willen sie die Rostnante aus dem warmen Stall gezogen haben.

Da Ricks jedoch vorsichtig war und wartete, thaute Erik bald auf, und
die alte Vertraulichkeit zwischen ihnen erwachte zu neuem Leben. Und Erik


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[0285] Ricks Lyhne. er Arabisch verstehe. Zu der Gesellschaft, die der Jagdjunker seinen Stab nannte, gehörte ferner ein Prokurator, der immer neue Geschichten erzählte, sowie ein Doktor, der nur eine einzige Geschichte wußte und zwar von Anno Sechs, von der Belagerung Lübecks. Dieser Kreis erstreckte sich sehr weit, und es kam fast niemals vor, daß sie alle versammelt waren; vernachlässigte aber einer die Gesellschaft allzu lange und wußte man, daß er zu Hause war, so ließ der Jagdjunker einen Aufruf an seine Getreuen ergehen, und man machte sich in xlkuo auf, um die Ochsen des Abtrünnigen zu besehen. Das bedeutete, daß man sich zwei bis drei Tage auf dem Hofe des Unglücklichen einquartierte und dort, soweit es möglich war, alles auf den Kopf stellte durch Spiel und Gelage und andre ländliche Scherze, zu denen die Jahreszeit gerade einlud. Während eines solchen Strafbesuches geschah es einmal, daß die Gesellschaft so gründlich einschneide, daß dem Wirt schließlich der Kaffee, der Rum und der Zucker ausging, und man sich zuletzt mit einem Kaffeepunsch begnügen mußte, der aus Cichorie gekocht, mit Syrup gefußt und mit Branntwein vermischt war. Es war im ganzen eine schlimme, zügellose Bande, in die Erik hinein¬ geraten war; aber Menschen mit einer so unverwüstlichen Lebenskraft konnten sich in zivilisirteren Vergnügungen kaum genügend Luft schaffen, auch trug der unerschöpfliche Humor, den sie besaßen, sowie ihre breite, urwüchsige Gemüt¬ lichkeit nicht wenig zur Milderung der Rohheit bei. Wäre Eriks Talent dem eines Brower oder Ostade verwandt gewesen, so würde diese auserlesene Samm¬ lung von Zechgenossen eine wahre Goldgrube für ihn geworden sein; so aber, wie die Sachen lagen, hatte auch er keine weitere Ausbeute als die andern, sie ver¬ gnügten sich alle vortrefflich, ja nur zu gut, denn bald ward dies wilde Leben ihm ganz unentbehrlich und nahm nach und nach seine ganze Zeit in Anspruch. Wenn er sich auch hin und wieder seiner Unthätigkeit wegen Vorwürfe machte und sich ernstlich sagte, daß dieser Zustand ein Ende haben müsse, so trieben ihn doch die Leere und die Ohnmacht, die er jedesmal empfand, wenn er zu arbeiten versuchte, wieder und wieder zu dem alten Leben zurück. Den Brief, den er an Ricks geschrieben hatte, eines Tages, als seine ewige Unfruchtbarkeit, die nie ein Ende nehmen wollte, den Eindruck auf ihn gemacht hatte, als sei sie ein zehrendes Fieber, das sein Talent ergriffen habe, diesen Brief bereute er, sobald er abgeschickt war, und er hoffte, Ricks würde seine Klagen in das eine Ohr hinein- und aus dein andern wieder herausgehen lassen. Ricks jedoch kam, der wandernde Ritter der Freundschaft in höchsteigner Person, und ihm wurde denn auch jene halb abweisende, halb mitleidige Be¬ willkommnung zuteil, die wandernde Ritter stets von denen erhalten, um deret- willen sie die Rostnante aus dem warmen Stall gezogen haben. Da Ricks jedoch vorsichtig war und wartete, thaute Erik bald auf, und die alte Vertraulichkeit zwischen ihnen erwachte zu neuem Leben. Und Erik

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/285>, abgerufen am 03.07.2024.