Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Ricks Lyhne.

wieder seiner Kunst zuwandte, um sich zu vergewissern, daß er nicht noch etwas
andres eingebüßt habe als das Liebesglück. Aber er erhielt nicht die Antwort,
auf die er gehofft hatte, er ließ sich auf ein paar unglückliche Ideen ein, mit denen
er nicht vorwärts kam und die aufzugeben er sich auch wieder nicht entschließen
konnte. Obwohl er nichts Rechtes daraus zu machen wußte, beschäftigten sie
ihn doch fortwährend und hinderten andre Ideen daran, auszukommen und ihn
an sich zu ziehen; er wurde mutlos und verstimmt und verfiel in einen grü¬
belnden Müßiggang, weil die Arbeit ihm so ermüdend widerspenstig war, und
weil er dachte, daß er nur zu warten brauche, baun würde wohl der Geist
wieder über ihn kommen. Aber die Zeit verging, sein Talent blieb nach wie
vor unfruchtbar, und hier an der stillen Meeresbucht fand sich kein Umgang,
der befruchtend auf ihn hätte einwirken können; auch waren hier keine Kunst¬
genossen, deren Siege ihn zur Nacheiferung oder zum schöpferischen Widerspruch
hätten anspornen können. Diese Unthätigkeit wurde ihm unerträglich, er sehnte
sich glühend darnach, sich selber zu fühlen, gleichviel wie oder wodurch, und
da sich ihm nichts andres darbot, fing er an, sich einem Kreise jüngerer und
älterer Landleute anzuschließen, die sich unter Anführung eines sechzigjährigen
Jagdjunkers die Öde und Einförmigkeit des Landlebens durch solche Aus¬
schweifungen zu versüßen suchten, auf die ihre nicht allzu reiche Phantasie verfiel.
Der Kern ihrer Zerstreuungen bestand im Trinken und Kartenspielen, und es
war ziemlich gleich, ob die Schale, welche diese Vergnügungen umgab, eine
Jagdpartie oder eine Marktreise genannt wurde. Auch machte es keinen weitern
Unterschied, daß man die Szene hin und wieder nach einer der zunächstgelegnen
Provinzialstädte verlegte und dort im Laufe eines Nachmittags wirkliche oder
eingebildete Geschäfte mit den Kaufleuten erledigte. Der Schluß dieser Ge¬
schäfte fand stets am Abend im Wirtshause statt, dessen Inhaber mit bewun¬
dernswürdigem Takt alle Leute von der richtigen Farbe ihrem Klub zuführte.
Waren reisende Schauspieler im Städtchen, so ließ man die Kaufleute links
liegen, denn die Schauspieler waren weit umgänglicher, der Flasche gegenüber
nicht so zurückhaltend, und sie hatten im allgemeinen nichts dagegen, sich der leider
selten mit durchschlagenden Erfolg ausgeführten Wunderkur des sich Nttchtern-
trinkens zu unterziehen, nämlich in Genever, nachdem man sich in Champagner
betrunken hatte.

Der Hauptstamm des Kreises bestand aus Gutsbesitzern und Landleuten
jeglichen Alters, aber es gehörte auch noch ein Branntweinbrenner dazu, ein
massiver junger Laffe, sowie ein weißhälsiger Hauslehrer, der in den letzten
zwanzig Jahren kein Hauslehrer mehr gewesen war, sondern sich besuchsweise
auf den verschiedenen Gütern herumgetrieben hatte, mit einer Reisetasche aus
Seehundsfett und einer grauen Kracke, von der man allgemein im Scherz be¬
hauptete, daß er sie einem Pferdeschlächter gestohlen habe. Er war ein stiller
Säufer, ein großer Virtuose auf der Flöte, und es ging die dunkle Sage, daß


Ricks Lyhne.

wieder seiner Kunst zuwandte, um sich zu vergewissern, daß er nicht noch etwas
andres eingebüßt habe als das Liebesglück. Aber er erhielt nicht die Antwort,
auf die er gehofft hatte, er ließ sich auf ein paar unglückliche Ideen ein, mit denen
er nicht vorwärts kam und die aufzugeben er sich auch wieder nicht entschließen
konnte. Obwohl er nichts Rechtes daraus zu machen wußte, beschäftigten sie
ihn doch fortwährend und hinderten andre Ideen daran, auszukommen und ihn
an sich zu ziehen; er wurde mutlos und verstimmt und verfiel in einen grü¬
belnden Müßiggang, weil die Arbeit ihm so ermüdend widerspenstig war, und
weil er dachte, daß er nur zu warten brauche, baun würde wohl der Geist
wieder über ihn kommen. Aber die Zeit verging, sein Talent blieb nach wie
vor unfruchtbar, und hier an der stillen Meeresbucht fand sich kein Umgang,
der befruchtend auf ihn hätte einwirken können; auch waren hier keine Kunst¬
genossen, deren Siege ihn zur Nacheiferung oder zum schöpferischen Widerspruch
hätten anspornen können. Diese Unthätigkeit wurde ihm unerträglich, er sehnte
sich glühend darnach, sich selber zu fühlen, gleichviel wie oder wodurch, und
da sich ihm nichts andres darbot, fing er an, sich einem Kreise jüngerer und
älterer Landleute anzuschließen, die sich unter Anführung eines sechzigjährigen
Jagdjunkers die Öde und Einförmigkeit des Landlebens durch solche Aus¬
schweifungen zu versüßen suchten, auf die ihre nicht allzu reiche Phantasie verfiel.
Der Kern ihrer Zerstreuungen bestand im Trinken und Kartenspielen, und es
war ziemlich gleich, ob die Schale, welche diese Vergnügungen umgab, eine
Jagdpartie oder eine Marktreise genannt wurde. Auch machte es keinen weitern
Unterschied, daß man die Szene hin und wieder nach einer der zunächstgelegnen
Provinzialstädte verlegte und dort im Laufe eines Nachmittags wirkliche oder
eingebildete Geschäfte mit den Kaufleuten erledigte. Der Schluß dieser Ge¬
schäfte fand stets am Abend im Wirtshause statt, dessen Inhaber mit bewun¬
dernswürdigem Takt alle Leute von der richtigen Farbe ihrem Klub zuführte.
Waren reisende Schauspieler im Städtchen, so ließ man die Kaufleute links
liegen, denn die Schauspieler waren weit umgänglicher, der Flasche gegenüber
nicht so zurückhaltend, und sie hatten im allgemeinen nichts dagegen, sich der leider
selten mit durchschlagenden Erfolg ausgeführten Wunderkur des sich Nttchtern-
trinkens zu unterziehen, nämlich in Genever, nachdem man sich in Champagner
betrunken hatte.

Der Hauptstamm des Kreises bestand aus Gutsbesitzern und Landleuten
jeglichen Alters, aber es gehörte auch noch ein Branntweinbrenner dazu, ein
massiver junger Laffe, sowie ein weißhälsiger Hauslehrer, der in den letzten
zwanzig Jahren kein Hauslehrer mehr gewesen war, sondern sich besuchsweise
auf den verschiedenen Gütern herumgetrieben hatte, mit einer Reisetasche aus
Seehundsfett und einer grauen Kracke, von der man allgemein im Scherz be¬
hauptete, daß er sie einem Pferdeschlächter gestohlen habe. Er war ein stiller
Säufer, ein großer Virtuose auf der Flöte, und es ging die dunkle Sage, daß


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0284" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/289407"/>
          <fw type="header" place="top"> Ricks Lyhne.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_936" prev="#ID_935"> wieder seiner Kunst zuwandte, um sich zu vergewissern, daß er nicht noch etwas<lb/>
andres eingebüßt habe als das Liebesglück. Aber er erhielt nicht die Antwort,<lb/>
auf die er gehofft hatte, er ließ sich auf ein paar unglückliche Ideen ein, mit denen<lb/>
er nicht vorwärts kam und die aufzugeben er sich auch wieder nicht entschließen<lb/>
konnte. Obwohl er nichts Rechtes daraus zu machen wußte, beschäftigten sie<lb/>
ihn doch fortwährend und hinderten andre Ideen daran, auszukommen und ihn<lb/>
an sich zu ziehen; er wurde mutlos und verstimmt und verfiel in einen grü¬<lb/>
belnden Müßiggang, weil die Arbeit ihm so ermüdend widerspenstig war, und<lb/>
weil er dachte, daß er nur zu warten brauche, baun würde wohl der Geist<lb/>
wieder über ihn kommen.  Aber die Zeit verging, sein Talent blieb nach wie<lb/>
vor unfruchtbar, und hier an der stillen Meeresbucht fand sich kein Umgang,<lb/>
der befruchtend auf ihn hätte einwirken können; auch waren hier keine Kunst¬<lb/>
genossen, deren Siege ihn zur Nacheiferung oder zum schöpferischen Widerspruch<lb/>
hätten anspornen können. Diese Unthätigkeit wurde ihm unerträglich, er sehnte<lb/>
sich glühend darnach, sich selber zu fühlen, gleichviel wie oder wodurch, und<lb/>
da sich ihm nichts andres darbot, fing er an, sich einem Kreise jüngerer und<lb/>
älterer Landleute anzuschließen, die sich unter Anführung eines sechzigjährigen<lb/>
Jagdjunkers die Öde und Einförmigkeit des Landlebens durch solche Aus¬<lb/>
schweifungen zu versüßen suchten, auf die ihre nicht allzu reiche Phantasie verfiel.<lb/>
Der Kern ihrer Zerstreuungen bestand im Trinken und Kartenspielen, und es<lb/>
war ziemlich gleich, ob die Schale, welche diese Vergnügungen umgab, eine<lb/>
Jagdpartie oder eine Marktreise genannt wurde. Auch machte es keinen weitern<lb/>
Unterschied, daß man die Szene hin und wieder nach einer der zunächstgelegnen<lb/>
Provinzialstädte verlegte und dort im Laufe eines Nachmittags wirkliche oder<lb/>
eingebildete Geschäfte mit den Kaufleuten erledigte. Der Schluß dieser Ge¬<lb/>
schäfte fand stets am Abend im Wirtshause statt, dessen Inhaber mit bewun¬<lb/>
dernswürdigem Takt alle Leute von der richtigen Farbe ihrem Klub zuführte.<lb/>
Waren reisende Schauspieler im Städtchen, so ließ man die Kaufleute links<lb/>
liegen, denn die Schauspieler waren weit umgänglicher, der Flasche gegenüber<lb/>
nicht so zurückhaltend, und sie hatten im allgemeinen nichts dagegen, sich der leider<lb/>
selten mit durchschlagenden Erfolg ausgeführten Wunderkur des sich Nttchtern-<lb/>
trinkens zu unterziehen, nämlich in Genever, nachdem man sich in Champagner<lb/>
betrunken hatte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_937" next="#ID_938"> Der Hauptstamm des Kreises bestand aus Gutsbesitzern und Landleuten<lb/>
jeglichen Alters, aber es gehörte auch noch ein Branntweinbrenner dazu, ein<lb/>
massiver junger Laffe, sowie ein weißhälsiger Hauslehrer, der in den letzten<lb/>
zwanzig Jahren kein Hauslehrer mehr gewesen war, sondern sich besuchsweise<lb/>
auf den verschiedenen Gütern herumgetrieben hatte, mit einer Reisetasche aus<lb/>
Seehundsfett und einer grauen Kracke, von der man allgemein im Scherz be¬<lb/>
hauptete, daß er sie einem Pferdeschlächter gestohlen habe. Er war ein stiller<lb/>
Säufer, ein großer Virtuose auf der Flöte, und es ging die dunkle Sage, daß</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0284] Ricks Lyhne. wieder seiner Kunst zuwandte, um sich zu vergewissern, daß er nicht noch etwas andres eingebüßt habe als das Liebesglück. Aber er erhielt nicht die Antwort, auf die er gehofft hatte, er ließ sich auf ein paar unglückliche Ideen ein, mit denen er nicht vorwärts kam und die aufzugeben er sich auch wieder nicht entschließen konnte. Obwohl er nichts Rechtes daraus zu machen wußte, beschäftigten sie ihn doch fortwährend und hinderten andre Ideen daran, auszukommen und ihn an sich zu ziehen; er wurde mutlos und verstimmt und verfiel in einen grü¬ belnden Müßiggang, weil die Arbeit ihm so ermüdend widerspenstig war, und weil er dachte, daß er nur zu warten brauche, baun würde wohl der Geist wieder über ihn kommen. Aber die Zeit verging, sein Talent blieb nach wie vor unfruchtbar, und hier an der stillen Meeresbucht fand sich kein Umgang, der befruchtend auf ihn hätte einwirken können; auch waren hier keine Kunst¬ genossen, deren Siege ihn zur Nacheiferung oder zum schöpferischen Widerspruch hätten anspornen können. Diese Unthätigkeit wurde ihm unerträglich, er sehnte sich glühend darnach, sich selber zu fühlen, gleichviel wie oder wodurch, und da sich ihm nichts andres darbot, fing er an, sich einem Kreise jüngerer und älterer Landleute anzuschließen, die sich unter Anführung eines sechzigjährigen Jagdjunkers die Öde und Einförmigkeit des Landlebens durch solche Aus¬ schweifungen zu versüßen suchten, auf die ihre nicht allzu reiche Phantasie verfiel. Der Kern ihrer Zerstreuungen bestand im Trinken und Kartenspielen, und es war ziemlich gleich, ob die Schale, welche diese Vergnügungen umgab, eine Jagdpartie oder eine Marktreise genannt wurde. Auch machte es keinen weitern Unterschied, daß man die Szene hin und wieder nach einer der zunächstgelegnen Provinzialstädte verlegte und dort im Laufe eines Nachmittags wirkliche oder eingebildete Geschäfte mit den Kaufleuten erledigte. Der Schluß dieser Ge¬ schäfte fand stets am Abend im Wirtshause statt, dessen Inhaber mit bewun¬ dernswürdigem Takt alle Leute von der richtigen Farbe ihrem Klub zuführte. Waren reisende Schauspieler im Städtchen, so ließ man die Kaufleute links liegen, denn die Schauspieler waren weit umgänglicher, der Flasche gegenüber nicht so zurückhaltend, und sie hatten im allgemeinen nichts dagegen, sich der leider selten mit durchschlagenden Erfolg ausgeführten Wunderkur des sich Nttchtern- trinkens zu unterziehen, nämlich in Genever, nachdem man sich in Champagner betrunken hatte. Der Hauptstamm des Kreises bestand aus Gutsbesitzern und Landleuten jeglichen Alters, aber es gehörte auch noch ein Branntweinbrenner dazu, ein massiver junger Laffe, sowie ein weißhälsiger Hauslehrer, der in den letzten zwanzig Jahren kein Hauslehrer mehr gewesen war, sondern sich besuchsweise auf den verschiedenen Gütern herumgetrieben hatte, mit einer Reisetasche aus Seehundsfett und einer grauen Kracke, von der man allgemein im Scherz be¬ hauptete, daß er sie einem Pferdeschlächter gestohlen habe. Er war ein stiller Säufer, ein großer Virtuose auf der Flöte, und es ging die dunkle Sage, daß

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/284
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/284>, abgerufen am 03.07.2024.