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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Ricks Lyhne.

Rausch, der heute himmelhoch steigt, seine Kraft den Flügeln des kommenden
Tages entlehnt; und als endlich die Nüchternheit bleischwer zu dämmern be¬
gann, da begann sie mit Zittern einzusehen, daß sie sich in ihrer Liebe zu eiuer
süßen Verachtung vor sich selber wie vor einander erniedrigt hatten, zu einer
süßen Verachtung, deren Süßigkeit sich aber von Tag zu Tag verringerte, bis
sie schließlich einen bittern Beigeschmack erhielt. Da entfernten sie sich von
einander, so weit es nur möglich war, er, um von einem treulos verlassenen
Ideal voll höhnender Hoheit und kühlen Liebreizes zu träumen, sie, um in ver-
zweiflungsvollen Sehnen nach der blassen, stillen, jetzt so unendlich fernen Küste
ihrer Mädchentage hinüberzustarren. Von Tag zu Tage ward es unerträg¬
licher für sie, die Scham brannte wild in ihren Adern, und ein erstickender Ab¬
scheu vor sich selber machte alles für sie hoffnungslos, machte sie tief un¬
glücklich.

Es befand sich im Hause eine kleine, entlegene Kammer, in der nichts stand
als die Koffer, die sie von zu Hause mitgebracht hatte. Dort saß sie oft,
Stunde auf Stunde, bis die Sonne draußen über der weiten Welt herabsank
und die Kammer mit rötlichen Licht erfüllte; dort marterte sie sich selber mit
Gedanken, die spitziger waren als Dornen, schlug sich selber mit Worten, die
schärfer waren als Geißeln, bis sie, von Schmerz und Qual verwirrt, einen be¬
täubenden Trost darin suchte, sich wie, einen wertlosen Gegenstand an den
Boden zu werfen, sich selber zu widerlich, um der Sitz einer Seele zu sein.
Die Buhlerin ihres eignen Mannes! Der Gedanke verließ sie nie, mit diesem
Gedanken warf sie ihr eignes Selbst verächtlich in den Staub unter ihre Füße,
mit diesem Gedanken schloß sie jede Hoffnung an eine Wiederherstellung ihrer
Ehre aus, mit ihm steinigte sie jede Erinnerung an ein früheres Glück.

Allmählich überkam sie eine starre Gleichgültigkeit, sie hörte auf, zu ver¬
zweifeln, wie sie aufgehört hatte, zu hoffen, ihr Himmel war zusammengestürzt,
und sie fühlte kein Bedürfnis, ihn wieder zusammenzuträumen, sie machte keine
Ansprüche mehr auf Seligkeit, sie war nicht mehr zu gut für die Erde, wie
auch die Erde nicht mehr zu gut für sie war, sie waren einander wert. Sie
warf keinen Haß auf Erik, zog sich auch nicht voller Abscheu von ihm zurück,
im Gegenteil, sie nahm seine Küsse ruhig hin, denn sie empfand viel zu viel
Verachtung vor sich selber, um sich ihnen entziehen zu können, sie war ja nun
einmal sein Weib, das Weib eines Mannes!

Auch für Erik war das Erwachen bitter, obgleich er es sich mit dem pro¬
saisch klaren Blick eines Mannes gesagt hatte, daß es notwendigerweise einmal
so kommen würde. Als es aber kam, als die Liebe nicht mehr ein Ersatz für
alle Mängel war, als der goldenschimmernde Schleier, in welchem sie zu ihm
herab auf die Erde gestiegen war, davongeweht war, da empfand er es als
ein Erschlaffen aller Lebensgeister, ein Sinken aller seiner Fähigkeiten, das ihn
besorgt machte und ihn mit Neue erfüllte, sodaß er sich mit fieberhaftem Eifer


Ricks Lyhne.

Rausch, der heute himmelhoch steigt, seine Kraft den Flügeln des kommenden
Tages entlehnt; und als endlich die Nüchternheit bleischwer zu dämmern be¬
gann, da begann sie mit Zittern einzusehen, daß sie sich in ihrer Liebe zu eiuer
süßen Verachtung vor sich selber wie vor einander erniedrigt hatten, zu einer
süßen Verachtung, deren Süßigkeit sich aber von Tag zu Tag verringerte, bis
sie schließlich einen bittern Beigeschmack erhielt. Da entfernten sie sich von
einander, so weit es nur möglich war, er, um von einem treulos verlassenen
Ideal voll höhnender Hoheit und kühlen Liebreizes zu träumen, sie, um in ver-
zweiflungsvollen Sehnen nach der blassen, stillen, jetzt so unendlich fernen Küste
ihrer Mädchentage hinüberzustarren. Von Tag zu Tage ward es unerträg¬
licher für sie, die Scham brannte wild in ihren Adern, und ein erstickender Ab¬
scheu vor sich selber machte alles für sie hoffnungslos, machte sie tief un¬
glücklich.

Es befand sich im Hause eine kleine, entlegene Kammer, in der nichts stand
als die Koffer, die sie von zu Hause mitgebracht hatte. Dort saß sie oft,
Stunde auf Stunde, bis die Sonne draußen über der weiten Welt herabsank
und die Kammer mit rötlichen Licht erfüllte; dort marterte sie sich selber mit
Gedanken, die spitziger waren als Dornen, schlug sich selber mit Worten, die
schärfer waren als Geißeln, bis sie, von Schmerz und Qual verwirrt, einen be¬
täubenden Trost darin suchte, sich wie, einen wertlosen Gegenstand an den
Boden zu werfen, sich selber zu widerlich, um der Sitz einer Seele zu sein.
Die Buhlerin ihres eignen Mannes! Der Gedanke verließ sie nie, mit diesem
Gedanken warf sie ihr eignes Selbst verächtlich in den Staub unter ihre Füße,
mit diesem Gedanken schloß sie jede Hoffnung an eine Wiederherstellung ihrer
Ehre aus, mit ihm steinigte sie jede Erinnerung an ein früheres Glück.

Allmählich überkam sie eine starre Gleichgültigkeit, sie hörte auf, zu ver¬
zweifeln, wie sie aufgehört hatte, zu hoffen, ihr Himmel war zusammengestürzt,
und sie fühlte kein Bedürfnis, ihn wieder zusammenzuträumen, sie machte keine
Ansprüche mehr auf Seligkeit, sie war nicht mehr zu gut für die Erde, wie
auch die Erde nicht mehr zu gut für sie war, sie waren einander wert. Sie
warf keinen Haß auf Erik, zog sich auch nicht voller Abscheu von ihm zurück,
im Gegenteil, sie nahm seine Küsse ruhig hin, denn sie empfand viel zu viel
Verachtung vor sich selber, um sich ihnen entziehen zu können, sie war ja nun
einmal sein Weib, das Weib eines Mannes!

Auch für Erik war das Erwachen bitter, obgleich er es sich mit dem pro¬
saisch klaren Blick eines Mannes gesagt hatte, daß es notwendigerweise einmal
so kommen würde. Als es aber kam, als die Liebe nicht mehr ein Ersatz für
alle Mängel war, als der goldenschimmernde Schleier, in welchem sie zu ihm
herab auf die Erde gestiegen war, davongeweht war, da empfand er es als
ein Erschlaffen aller Lebensgeister, ein Sinken aller seiner Fähigkeiten, das ihn
besorgt machte und ihn mit Neue erfüllte, sodaß er sich mit fieberhaftem Eifer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/283>, abgerufen am 01.07.2024.