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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Ricks Lyhne.

mehr als das, und da er die Absicht hatte, sich nach Verlauf einiger Jahre
in Rom niederzulassen, so hatte er es von dem Konsul zu erreichen gewußt,
daß dieser keine Aussteuer für Fennimore anschasste. Das junge Paar war
in Marianenlund eingezogen, wie man in ein Hotel einzieht, nur mit dem Unter¬
schiede, daß sie einige Koffer mehr bei sich hatten, als gewöhnliche Reisende zu
haben Pflegen.

Die Fassade lag nach der See hinaus, keine zehn Ellen vom Wasser ent¬
fernt. Das Gebäude hatte ein ganz gewöhnliches Aussehen, oben einen Balkon
und unten eine Veranda, dahinter lag ein erst vor kurzem angelegter Garten,
dessen Bäume nicht viel dicker waren als Spazierstöcke, dafür hatte man aber
von dort aus einen herrlichen Blick auf einen prächtigen Buchenwald mit weiten
Halbestunden und tiefliegenden Klüften zwischen grünbewachsenen Höhen.

So war Fennimores neues Heim, und eine Weile war es so licht, wie
das Glück es nur machen konnte, denn sie waren ja jung und verliebt, frisch
und gesund, ohne jegliche Sorgen in geistiger wie in leiblicher Beziehung.

Aber jedes Glücksschloß, das sich erhebt, hat in dem Grunde, auf dem es
ruht, Sand, und der Sand sammelt sich und rinnt unter den Mauern fort,
langsam vielleicht, unmerklich, aber er rinnt und rinnt, Korn auf Korn. Und
die Liebe? Auch sie ist kein Fels, wie gern wir es auch glauben möchten.

Sie liebte ihn von ganzer Seele, mit der Heftigkeit der Angst, mit zit¬
ternder Glut; er war ihr mehr als ein Gott, weit mehr; ein Abgott, den sie
anbetete ohne Rückhalt und über alle Maßen.

Seine Liebe war stark wie die ihre, aber sie ermangelte der feinen, männ¬
lichen Zärtlichkeit, welche die Geliebte vor sich selbst behütet und über ihrer
Würde wacht. Wohl mahnte es ihn wie eine dunkle Pflicht, wohl rief es ihn
mit leiser Stimme, aber er wollte nicht hören, denn sie war so bezaubernd in
ihrer blinden Liebe, und ihre Schönheit, die der unbewachten Üppigkeit und
dem demütigen Liebreiz einer Sklavin glich, reizte und entflammte ihn zu einer
Leidenschaft ohne Grenzen und ohne Gnade.

Steht nicht irgendwo in dem alten Mythus von Amor geschrieben, daß
er seine Hand auf Psychens Augen legt, ehe sie im süßen Liebestaumel durch
die glühende Nacht dahin fliegen?

Arme Fennimore! Wenn das Feuer ihres eignen Herzens sie hätte ver¬
zehren können, so würde der, welcher sie hätte schirmen sollen, in die Flammen
geblasen haben, denn er glich jenem trunkenen Herrscher, der mit der Brand¬
fackel in der Hand bei dem Anblicke seiner brennenden Königsstadt jubelte,
denn der Schein der flackernden Gluten steigerte seinen Rausch, bis ihn die
Asche ernüchterte.

Arme Fennimore! Sie wußte nicht, daß die brausende Hymne des Glückes
so oft gesungen werden kann, daß schließlich weder Worte noch Melodie zurück¬
bleiben, sondern nur ein Schwulst von Trivialität; sie wußte nicht, daß der


Ricks Lyhne.

mehr als das, und da er die Absicht hatte, sich nach Verlauf einiger Jahre
in Rom niederzulassen, so hatte er es von dem Konsul zu erreichen gewußt,
daß dieser keine Aussteuer für Fennimore anschasste. Das junge Paar war
in Marianenlund eingezogen, wie man in ein Hotel einzieht, nur mit dem Unter¬
schiede, daß sie einige Koffer mehr bei sich hatten, als gewöhnliche Reisende zu
haben Pflegen.

Die Fassade lag nach der See hinaus, keine zehn Ellen vom Wasser ent¬
fernt. Das Gebäude hatte ein ganz gewöhnliches Aussehen, oben einen Balkon
und unten eine Veranda, dahinter lag ein erst vor kurzem angelegter Garten,
dessen Bäume nicht viel dicker waren als Spazierstöcke, dafür hatte man aber
von dort aus einen herrlichen Blick auf einen prächtigen Buchenwald mit weiten
Halbestunden und tiefliegenden Klüften zwischen grünbewachsenen Höhen.

So war Fennimores neues Heim, und eine Weile war es so licht, wie
das Glück es nur machen konnte, denn sie waren ja jung und verliebt, frisch
und gesund, ohne jegliche Sorgen in geistiger wie in leiblicher Beziehung.

Aber jedes Glücksschloß, das sich erhebt, hat in dem Grunde, auf dem es
ruht, Sand, und der Sand sammelt sich und rinnt unter den Mauern fort,
langsam vielleicht, unmerklich, aber er rinnt und rinnt, Korn auf Korn. Und
die Liebe? Auch sie ist kein Fels, wie gern wir es auch glauben möchten.

Sie liebte ihn von ganzer Seele, mit der Heftigkeit der Angst, mit zit¬
ternder Glut; er war ihr mehr als ein Gott, weit mehr; ein Abgott, den sie
anbetete ohne Rückhalt und über alle Maßen.

Seine Liebe war stark wie die ihre, aber sie ermangelte der feinen, männ¬
lichen Zärtlichkeit, welche die Geliebte vor sich selbst behütet und über ihrer
Würde wacht. Wohl mahnte es ihn wie eine dunkle Pflicht, wohl rief es ihn
mit leiser Stimme, aber er wollte nicht hören, denn sie war so bezaubernd in
ihrer blinden Liebe, und ihre Schönheit, die der unbewachten Üppigkeit und
dem demütigen Liebreiz einer Sklavin glich, reizte und entflammte ihn zu einer
Leidenschaft ohne Grenzen und ohne Gnade.

Steht nicht irgendwo in dem alten Mythus von Amor geschrieben, daß
er seine Hand auf Psychens Augen legt, ehe sie im süßen Liebestaumel durch
die glühende Nacht dahin fliegen?

Arme Fennimore! Wenn das Feuer ihres eignen Herzens sie hätte ver¬
zehren können, so würde der, welcher sie hätte schirmen sollen, in die Flammen
geblasen haben, denn er glich jenem trunkenen Herrscher, der mit der Brand¬
fackel in der Hand bei dem Anblicke seiner brennenden Königsstadt jubelte,
denn der Schein der flackernden Gluten steigerte seinen Rausch, bis ihn die
Asche ernüchterte.

Arme Fennimore! Sie wußte nicht, daß die brausende Hymne des Glückes
so oft gesungen werden kann, daß schließlich weder Worte noch Melodie zurück¬
bleiben, sondern nur ein Schwulst von Trivialität; sie wußte nicht, daß der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/282>, abgerufen am 29.06.2024.