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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Ricks Lyhne,

konnten. Er wollte sofort abreisen, was auch zwischen ihnen liegen mochte, Erik
sollte einen treuen Freund in ihm finden, und hatten auch die Jahre das Band
gelockert, waren auch die Illusionen im Laufe der Zeit verblaßt, jene Freund¬
schaft aus der Kinderzeit wollte er doch zu wahren wissen. Er hatte Erik früher
gestützt, er wollte ihm auch jetzt eine Stütze sein. Ein leidenschaftliches Freund¬
schaftsgefühl überkam ihn. Er wollte der Zukunft entsagen, dem Ruhme, den
ehrgeizigen Träumen, um Eriks willen. Alles, was er an glimmender Be¬
geisterung, an gährender Schaffenskraft besaß, wollte er Erik einflößen, er wollte
völlig in Erik aufgehen; sein eignes Ich, seine Ideen, das war alles bereit,
nichts wollte er für sich zurückbehalten, und er träumte sich den groß, der so
unsanft in sein Leben eingegriffen hatte; er selber kam sich ausgelöscht vor,
übersehen, arm, ohne geistiges Eigentum, und er träumte weiter, wie das, was
Erik erhalten hatte, allmählich nichts Geliehenes mehr war, sondern wirklich
sein Eigen und zwar durch den Stempel, den er ihm aufdrückte, indem er es
zu Thaten und Werken Prägte, Erik hoch und geehrt, und er selber nur einer
der vielen, vielen Durchschnittsmenschen; schließlich zur Armut gezwungen, nicht
freiwillig, ein wirklicher Bettler, kein Prinz in Lumpen, und es war so süß,
sich so bitter, elend und gering zu träumen.

Aber Träume sind Träume, und er lachte über sich selber und dachte daran,
daß Leute, die ihre eignen Angelegenheiten versäumen, stets imstande sind, ein
unerschöpfliches Interesse für die Arbeit andrer zu verwenden, und er dachte
auch daran, daß Erik, wenn sie einander gegenüberstünden, natürlich seinen Brief
verleugnen, das Ganze als einen Scherz hinstellen und es ungeheuer komisch
finden würde, wenn er wirklich zu ihm käme und sich bereit erklärte, ihm wieder
zu seinem Talent zu verhelfen. Aber trotzdem reiste er; im Innersten seiner
Seele glaubte er doch, daß er Nutzen stiften könne, und wie er sich auch be¬
mühte, es wegzuerklciren und in Zweifel zu ziehen, er konnte sich doch nicht
von dem Gefühle frei machen, daß es wirklich die alte Knabenfreundschaft sei,
die in ihrer ganzen Wärme und Natürlichkeit wieder erwacht war, den Jahren
und ihrem Einflüsse zum Trotz.

Das Landhaus am Mariagerfjord gehörte einem ältern Ehepaare, das
durch Gesundheitsrücksichten gezwungen war, seinen Wohnsitz auf unbestimmte
Zeit im Süden zu nehmen. Es war ursprünglich nicht ihre Absicht gewesen,
das Haus zu vermieten, denn damals, als sie reisten, glaubten sie, daß sie nur
ein halbes Jahr lang bleiben würden, und sie hatten deswegen alles stehen
lassen. Als nun Erik das Haus vollständig möblirt mietete, war dies in so
buchstäblichem Sinne der Fall, daß er es samt Nippsiguren, Familieuportrüts
und allem bekam, sogar eine Bodenkammer mit altem Rumpelzeug war da, und
in den Schiebladen der Schreibtische fand sich eine Menge alter Briefe vor.

Erik hatte das Landhaus entdeckt, als er nach seiner Verlobung Fjordby
verlassen hatte, und da sich hier alles beisammen fand, was sie brauchten, und


Grenzboten III. 1888. 3L
Ricks Lyhne,

konnten. Er wollte sofort abreisen, was auch zwischen ihnen liegen mochte, Erik
sollte einen treuen Freund in ihm finden, und hatten auch die Jahre das Band
gelockert, waren auch die Illusionen im Laufe der Zeit verblaßt, jene Freund¬
schaft aus der Kinderzeit wollte er doch zu wahren wissen. Er hatte Erik früher
gestützt, er wollte ihm auch jetzt eine Stütze sein. Ein leidenschaftliches Freund¬
schaftsgefühl überkam ihn. Er wollte der Zukunft entsagen, dem Ruhme, den
ehrgeizigen Träumen, um Eriks willen. Alles, was er an glimmender Be¬
geisterung, an gährender Schaffenskraft besaß, wollte er Erik einflößen, er wollte
völlig in Erik aufgehen; sein eignes Ich, seine Ideen, das war alles bereit,
nichts wollte er für sich zurückbehalten, und er träumte sich den groß, der so
unsanft in sein Leben eingegriffen hatte; er selber kam sich ausgelöscht vor,
übersehen, arm, ohne geistiges Eigentum, und er träumte weiter, wie das, was
Erik erhalten hatte, allmählich nichts Geliehenes mehr war, sondern wirklich
sein Eigen und zwar durch den Stempel, den er ihm aufdrückte, indem er es
zu Thaten und Werken Prägte, Erik hoch und geehrt, und er selber nur einer
der vielen, vielen Durchschnittsmenschen; schließlich zur Armut gezwungen, nicht
freiwillig, ein wirklicher Bettler, kein Prinz in Lumpen, und es war so süß,
sich so bitter, elend und gering zu träumen.

Aber Träume sind Träume, und er lachte über sich selber und dachte daran,
daß Leute, die ihre eignen Angelegenheiten versäumen, stets imstande sind, ein
unerschöpfliches Interesse für die Arbeit andrer zu verwenden, und er dachte
auch daran, daß Erik, wenn sie einander gegenüberstünden, natürlich seinen Brief
verleugnen, das Ganze als einen Scherz hinstellen und es ungeheuer komisch
finden würde, wenn er wirklich zu ihm käme und sich bereit erklärte, ihm wieder
zu seinem Talent zu verhelfen. Aber trotzdem reiste er; im Innersten seiner
Seele glaubte er doch, daß er Nutzen stiften könne, und wie er sich auch be¬
mühte, es wegzuerklciren und in Zweifel zu ziehen, er konnte sich doch nicht
von dem Gefühle frei machen, daß es wirklich die alte Knabenfreundschaft sei,
die in ihrer ganzen Wärme und Natürlichkeit wieder erwacht war, den Jahren
und ihrem Einflüsse zum Trotz.

Das Landhaus am Mariagerfjord gehörte einem ältern Ehepaare, das
durch Gesundheitsrücksichten gezwungen war, seinen Wohnsitz auf unbestimmte
Zeit im Süden zu nehmen. Es war ursprünglich nicht ihre Absicht gewesen,
das Haus zu vermieten, denn damals, als sie reisten, glaubten sie, daß sie nur
ein halbes Jahr lang bleiben würden, und sie hatten deswegen alles stehen
lassen. Als nun Erik das Haus vollständig möblirt mietete, war dies in so
buchstäblichem Sinne der Fall, daß er es samt Nippsiguren, Familieuportrüts
und allem bekam, sogar eine Bodenkammer mit altem Rumpelzeug war da, und
in den Schiebladen der Schreibtische fand sich eine Menge alter Briefe vor.

Erik hatte das Landhaus entdeckt, als er nach seiner Verlobung Fjordby
verlassen hatte, und da sich hier alles beisammen fand, was sie brauchten, und


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[0281] Ricks Lyhne, konnten. Er wollte sofort abreisen, was auch zwischen ihnen liegen mochte, Erik sollte einen treuen Freund in ihm finden, und hatten auch die Jahre das Band gelockert, waren auch die Illusionen im Laufe der Zeit verblaßt, jene Freund¬ schaft aus der Kinderzeit wollte er doch zu wahren wissen. Er hatte Erik früher gestützt, er wollte ihm auch jetzt eine Stütze sein. Ein leidenschaftliches Freund¬ schaftsgefühl überkam ihn. Er wollte der Zukunft entsagen, dem Ruhme, den ehrgeizigen Träumen, um Eriks willen. Alles, was er an glimmender Be¬ geisterung, an gährender Schaffenskraft besaß, wollte er Erik einflößen, er wollte völlig in Erik aufgehen; sein eignes Ich, seine Ideen, das war alles bereit, nichts wollte er für sich zurückbehalten, und er träumte sich den groß, der so unsanft in sein Leben eingegriffen hatte; er selber kam sich ausgelöscht vor, übersehen, arm, ohne geistiges Eigentum, und er träumte weiter, wie das, was Erik erhalten hatte, allmählich nichts Geliehenes mehr war, sondern wirklich sein Eigen und zwar durch den Stempel, den er ihm aufdrückte, indem er es zu Thaten und Werken Prägte, Erik hoch und geehrt, und er selber nur einer der vielen, vielen Durchschnittsmenschen; schließlich zur Armut gezwungen, nicht freiwillig, ein wirklicher Bettler, kein Prinz in Lumpen, und es war so süß, sich so bitter, elend und gering zu träumen. Aber Träume sind Träume, und er lachte über sich selber und dachte daran, daß Leute, die ihre eignen Angelegenheiten versäumen, stets imstande sind, ein unerschöpfliches Interesse für die Arbeit andrer zu verwenden, und er dachte auch daran, daß Erik, wenn sie einander gegenüberstünden, natürlich seinen Brief verleugnen, das Ganze als einen Scherz hinstellen und es ungeheuer komisch finden würde, wenn er wirklich zu ihm käme und sich bereit erklärte, ihm wieder zu seinem Talent zu verhelfen. Aber trotzdem reiste er; im Innersten seiner Seele glaubte er doch, daß er Nutzen stiften könne, und wie er sich auch be¬ mühte, es wegzuerklciren und in Zweifel zu ziehen, er konnte sich doch nicht von dem Gefühle frei machen, daß es wirklich die alte Knabenfreundschaft sei, die in ihrer ganzen Wärme und Natürlichkeit wieder erwacht war, den Jahren und ihrem Einflüsse zum Trotz. Das Landhaus am Mariagerfjord gehörte einem ältern Ehepaare, das durch Gesundheitsrücksichten gezwungen war, seinen Wohnsitz auf unbestimmte Zeit im Süden zu nehmen. Es war ursprünglich nicht ihre Absicht gewesen, das Haus zu vermieten, denn damals, als sie reisten, glaubten sie, daß sie nur ein halbes Jahr lang bleiben würden, und sie hatten deswegen alles stehen lassen. Als nun Erik das Haus vollständig möblirt mietete, war dies in so buchstäblichem Sinne der Fall, daß er es samt Nippsiguren, Familieuportrüts und allem bekam, sogar eine Bodenkammer mit altem Rumpelzeug war da, und in den Schiebladen der Schreibtische fand sich eine Menge alter Briefe vor. Erik hatte das Landhaus entdeckt, als er nach seiner Verlobung Fjordby verlassen hatte, und da sich hier alles beisammen fand, was sie brauchten, und Grenzboten III. 1888. 3L

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/281>, abgerufen am 26.06.2024.