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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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I^'Immortel.

Auch eine Akademie ist Menschenwerk und als solches mit manchen Mängeln
behaftet. Auch ein solches Institut kann in der Idee von aller Welt gutgeheißen
werden und thatsächlich, in seiner praktischen Wirksamkeit und seiner realen
Erscheinung, Tadel verdienen. Den einen Vorwurf, daß es der Bildung des
nationalen Geistes engherzig bestimmte Bahnen vorschreibe, widerlegt die Ge¬
schichte selbst. Der Bestand der Akademie hat die französische Litteratur durch¬
aus nicht daran gehindert, so mannichfaltig zu werden, wie sie in Wahrheit
ist; ein Moliere, ein Diderot, ein Montesquieu, ein I. I. Rousseau, ein Alfred
de Musset, ein Beranger und so viele andre Genien sind groß und berühmt
geworden, ohne je Mitglieder der Akademie gewesen zu sein. Daudet ist
zufällig unter ihrem Schutze groß und berühmt geworden. Erst seit dem
Preise, den sein "Jack" von der jetzt so boshaft angegriffenen Akademie erhalten
hat, ging Daudets Ruhm und Verbreitung über Frankreichs Grenzen hinaus.
Aber freilich sind die vierzig Stühle zuweilen auch im Besitze von Männern
gewesen, deren Unsterblichkeit nicht übers Grab hinaus dauerte, deren Werke in
den Kellerräumen der Antiquare und Staatsbibliotheken modernd liegen blieben.
Und ebenso konnte es nicht ausbleiben, daß eine Gesellschaft von vierzig Männern
sich als eine einheitliche Macht fühlte und diese nicht minder zu eignem Vor¬
teile als zu dem der Litteratur ausnutzte. Es wäre gegen die wohlbekannte
menschliche Schwäche ein Irrtum, anzunehmen, daß die Akademiker ihre aner¬
kannte Bedeutung in der geistigen Welt nicht auch in der materiellen des täg¬
lichen Lebens durchsetzen wollten, und so eröffnete sich eine Quelle der mannich-
faltigsten Mißklänge, Gegensätze, Kämpfe, Intriguen, Kleinlichkeiten, an die sich
ein satirischer Sittenmaler von der Art Daudets mit ingrimmigen Behagen
heften kann. Welch ein lächerliches Bild des Gegensatzes bietet schon der
Durchschnittsgelehrte, der auf dem Papiere oder im Hörsaal mutig wie ein
Achilles, persönlich aber, im Salon oder auch nur im Zwiegespräch oft ein¬
silbig, ja schüchtern, tappend, ungeschickt, in den jedem Handlungsgehilfen fest¬
anliegenden Umgangsformen gleichsam schlotternd erscheint! Und vollends wie¬
viel Satire fordern häufig die Eitelkeit, die Ruhmsucht, der Geiz, die Habsucht,
das Cliquentum, der Neid, die Eifersucht selbst von solchen Gelehrten heraus,
deren Leistungen für immer anerkannt sind, und die nicht befürchten müssen,
so leicht entthront zu werden! Da breitet sich ein unerschöpfliches Gebiet für
den Sittenschilderer aus.

Und darin liegts, an dieser Doppelseite der menschlichen Natur im all¬
gemeinen und der Gelehrtennatur im besondern, daß ein Buch wie die mozui8
pMiÄMuss von Daudet notwendig ungerecht werden muß, ungerecht, weil es
einseitig ist. Denn im Wesen dieser realistischen Kunst liegt es, daß sie von
allen geschichtlichen Bedingungen der sich ihr darbietenden sittlichen Erscheinungen
und gesellschaftlichen Zustände absieht und nur das als wirklich anerkennt, was
sie unmittelbar mit ihren Augen erfaßt. Und dieses Auge wieder ist nur ein-


GrenMm III. 1888. 33
I^'Immortel.

Auch eine Akademie ist Menschenwerk und als solches mit manchen Mängeln
behaftet. Auch ein solches Institut kann in der Idee von aller Welt gutgeheißen
werden und thatsächlich, in seiner praktischen Wirksamkeit und seiner realen
Erscheinung, Tadel verdienen. Den einen Vorwurf, daß es der Bildung des
nationalen Geistes engherzig bestimmte Bahnen vorschreibe, widerlegt die Ge¬
schichte selbst. Der Bestand der Akademie hat die französische Litteratur durch¬
aus nicht daran gehindert, so mannichfaltig zu werden, wie sie in Wahrheit
ist; ein Moliere, ein Diderot, ein Montesquieu, ein I. I. Rousseau, ein Alfred
de Musset, ein Beranger und so viele andre Genien sind groß und berühmt
geworden, ohne je Mitglieder der Akademie gewesen zu sein. Daudet ist
zufällig unter ihrem Schutze groß und berühmt geworden. Erst seit dem
Preise, den sein „Jack" von der jetzt so boshaft angegriffenen Akademie erhalten
hat, ging Daudets Ruhm und Verbreitung über Frankreichs Grenzen hinaus.
Aber freilich sind die vierzig Stühle zuweilen auch im Besitze von Männern
gewesen, deren Unsterblichkeit nicht übers Grab hinaus dauerte, deren Werke in
den Kellerräumen der Antiquare und Staatsbibliotheken modernd liegen blieben.
Und ebenso konnte es nicht ausbleiben, daß eine Gesellschaft von vierzig Männern
sich als eine einheitliche Macht fühlte und diese nicht minder zu eignem Vor¬
teile als zu dem der Litteratur ausnutzte. Es wäre gegen die wohlbekannte
menschliche Schwäche ein Irrtum, anzunehmen, daß die Akademiker ihre aner¬
kannte Bedeutung in der geistigen Welt nicht auch in der materiellen des täg¬
lichen Lebens durchsetzen wollten, und so eröffnete sich eine Quelle der mannich-
faltigsten Mißklänge, Gegensätze, Kämpfe, Intriguen, Kleinlichkeiten, an die sich
ein satirischer Sittenmaler von der Art Daudets mit ingrimmigen Behagen
heften kann. Welch ein lächerliches Bild des Gegensatzes bietet schon der
Durchschnittsgelehrte, der auf dem Papiere oder im Hörsaal mutig wie ein
Achilles, persönlich aber, im Salon oder auch nur im Zwiegespräch oft ein¬
silbig, ja schüchtern, tappend, ungeschickt, in den jedem Handlungsgehilfen fest¬
anliegenden Umgangsformen gleichsam schlotternd erscheint! Und vollends wie¬
viel Satire fordern häufig die Eitelkeit, die Ruhmsucht, der Geiz, die Habsucht,
das Cliquentum, der Neid, die Eifersucht selbst von solchen Gelehrten heraus,
deren Leistungen für immer anerkannt sind, und die nicht befürchten müssen,
so leicht entthront zu werden! Da breitet sich ein unerschöpfliches Gebiet für
den Sittenschilderer aus.

Und darin liegts, an dieser Doppelseite der menschlichen Natur im all¬
gemeinen und der Gelehrtennatur im besondern, daß ein Buch wie die mozui8
pMiÄMuss von Daudet notwendig ungerecht werden muß, ungerecht, weil es
einseitig ist. Denn im Wesen dieser realistischen Kunst liegt es, daß sie von
allen geschichtlichen Bedingungen der sich ihr darbietenden sittlichen Erscheinungen
und gesellschaftlichen Zustände absieht und nur das als wirklich anerkennt, was
sie unmittelbar mit ihren Augen erfaßt. Und dieses Auge wieder ist nur ein-


GrenMm III. 1888. 33
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[0265] I^'Immortel. Auch eine Akademie ist Menschenwerk und als solches mit manchen Mängeln behaftet. Auch ein solches Institut kann in der Idee von aller Welt gutgeheißen werden und thatsächlich, in seiner praktischen Wirksamkeit und seiner realen Erscheinung, Tadel verdienen. Den einen Vorwurf, daß es der Bildung des nationalen Geistes engherzig bestimmte Bahnen vorschreibe, widerlegt die Ge¬ schichte selbst. Der Bestand der Akademie hat die französische Litteratur durch¬ aus nicht daran gehindert, so mannichfaltig zu werden, wie sie in Wahrheit ist; ein Moliere, ein Diderot, ein Montesquieu, ein I. I. Rousseau, ein Alfred de Musset, ein Beranger und so viele andre Genien sind groß und berühmt geworden, ohne je Mitglieder der Akademie gewesen zu sein. Daudet ist zufällig unter ihrem Schutze groß und berühmt geworden. Erst seit dem Preise, den sein „Jack" von der jetzt so boshaft angegriffenen Akademie erhalten hat, ging Daudets Ruhm und Verbreitung über Frankreichs Grenzen hinaus. Aber freilich sind die vierzig Stühle zuweilen auch im Besitze von Männern gewesen, deren Unsterblichkeit nicht übers Grab hinaus dauerte, deren Werke in den Kellerräumen der Antiquare und Staatsbibliotheken modernd liegen blieben. Und ebenso konnte es nicht ausbleiben, daß eine Gesellschaft von vierzig Männern sich als eine einheitliche Macht fühlte und diese nicht minder zu eignem Vor¬ teile als zu dem der Litteratur ausnutzte. Es wäre gegen die wohlbekannte menschliche Schwäche ein Irrtum, anzunehmen, daß die Akademiker ihre aner¬ kannte Bedeutung in der geistigen Welt nicht auch in der materiellen des täg¬ lichen Lebens durchsetzen wollten, und so eröffnete sich eine Quelle der mannich- faltigsten Mißklänge, Gegensätze, Kämpfe, Intriguen, Kleinlichkeiten, an die sich ein satirischer Sittenmaler von der Art Daudets mit ingrimmigen Behagen heften kann. Welch ein lächerliches Bild des Gegensatzes bietet schon der Durchschnittsgelehrte, der auf dem Papiere oder im Hörsaal mutig wie ein Achilles, persönlich aber, im Salon oder auch nur im Zwiegespräch oft ein¬ silbig, ja schüchtern, tappend, ungeschickt, in den jedem Handlungsgehilfen fest¬ anliegenden Umgangsformen gleichsam schlotternd erscheint! Und vollends wie¬ viel Satire fordern häufig die Eitelkeit, die Ruhmsucht, der Geiz, die Habsucht, das Cliquentum, der Neid, die Eifersucht selbst von solchen Gelehrten heraus, deren Leistungen für immer anerkannt sind, und die nicht befürchten müssen, so leicht entthront zu werden! Da breitet sich ein unerschöpfliches Gebiet für den Sittenschilderer aus. Und darin liegts, an dieser Doppelseite der menschlichen Natur im all¬ gemeinen und der Gelehrtennatur im besondern, daß ein Buch wie die mozui8 pMiÄMuss von Daudet notwendig ungerecht werden muß, ungerecht, weil es einseitig ist. Denn im Wesen dieser realistischen Kunst liegt es, daß sie von allen geschichtlichen Bedingungen der sich ihr darbietenden sittlichen Erscheinungen und gesellschaftlichen Zustände absieht und nur das als wirklich anerkennt, was sie unmittelbar mit ihren Augen erfaßt. Und dieses Auge wieder ist nur ein- GrenMm III. 1888. 33

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/265>, abgerufen am 22.07.2024.