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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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die Akademie gekämpft, nicht weil es die Akademie, sondern weil es die alte un¬
fruchtbare war. Das Institut selbst anzugreifen, grundsätzlich anzugreifen, fiel
früher einem Franzosen nicht so leicht ein. Die Romantiker mit Viktor Hugo
an der Spitze hatten im zweiten und dritten Jahrzehnt unsers Jahrhunderts in
dieser Weise die Akademie -- zugleich die Hüterin der wortarmen altklassischer
französischen Sprache -- bekämpft, aber nur so lange, bis sie die Palmcnfräcke
selbst anlegen durften. Bis in die tiefsten Schichten des französischen Volkes,
das doch so viel auf äußere Ehrenzeichen hält, ist der Respekt vor der Akademie
im Laufe der Zeiten gedrungen. Wie jeder Rekrut den Marschallstab im Tor¬
nister zu haben wühut, so stand ein Stuhl bei den vierzig Unsterblichen jedem
französischen Dichter als höchstes Ziel litterarischen Ehrgeizes von Jugend auf
vor Augen.

Man kann nun über den Wert dieses Instituts im allgemeinen denken
wie man will; bei uns in Deutschland haben sich immer zwei Parteien, eine
dafür und eine dagegen, gebildet; zuletzt hat Du Bois-Reymond in Berlin den
Plan zur Gründung einer der ^."zaäönüg trMyÄss ähnlichen deutscheu Anstalt
entworfen, und Wilhelm Scherer schloß sich ihm aus philologischen Gründen
mit Wärme an. Thatsächlich haben die Franzosen von ihrer nationalen Akademie
weitaus mehr Vorteile als Nachteile gehabt. Nicht bloß fand die Pflege der
französischen Sprache ihren staatlichen Schutz, was wir Deutschen, die wir noch
immer an der Zerfahrenheit unsrer Orthographie und einer traurigen Unwissen¬
heit und Hilflosigkeit in grammatischen und stilistischen Dingen leiden, besonders
zu schätzen wissen; sondern ihr Dasein hatte mich nicht genug zu beachtende
Vorteile für die Stellung der schönen Litteratur innerhalb der andern Künste
und Wissenschaften, die von der Nation gepflegt wurden. Wie lange ist es denn her,
daß der Dichter und Schriftsteller bei uns seine anerkannte gesellschaftliche Geltung
hat? Noch nicht ein Jahrhundert. In Frankreich war die Litteratur durch die
Akademie sozial zu dem ihr gebührenden Range erhoben; durch dieselbe so oft
angefeindete und doch mit allen Opfern aufrecht erhaltene Akademie blieb die
Litteratur eine Macht im Staate, selbst unter dem Despotismus Napoleons, der
alle "Ideologie" so haßte.

Daran muß man denken, wenn man Daudets ohne Zweifel glänzende Satire
auf die "Unsterblichen" beurteilen will, die sein neuester Roman, oder vielmehr
seine neueste Schilderung der inoours M-isiennös: I/Iinmortel (Paris, Lemerre,
1838) enthält. An beides muß man denken: an die litterarische Gattung, die
mit dem Untertitel des Buches bezeichnet wird, und an die geschichtlich denk¬
würdige Stellung der ^eaäöwiö trairyg,i86 im nationalen Leben der Franzosen.
Denn gerade hier, nämlich in dem Abstände zwischen dem Standpunkte, welchen
Daudet zur Welt, die er mit scharfen Augen beobachtet, einnimmt, und jenem
Standpunkte, von dem aus ein Institut wie die Akademie beurteilt werden soll
liegt der Angelpunkt des Gegensatzes zwischen Verfasser und Gegenstand.


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die Akademie gekämpft, nicht weil es die Akademie, sondern weil es die alte un¬
fruchtbare war. Das Institut selbst anzugreifen, grundsätzlich anzugreifen, fiel
früher einem Franzosen nicht so leicht ein. Die Romantiker mit Viktor Hugo
an der Spitze hatten im zweiten und dritten Jahrzehnt unsers Jahrhunderts in
dieser Weise die Akademie — zugleich die Hüterin der wortarmen altklassischer
französischen Sprache — bekämpft, aber nur so lange, bis sie die Palmcnfräcke
selbst anlegen durften. Bis in die tiefsten Schichten des französischen Volkes,
das doch so viel auf äußere Ehrenzeichen hält, ist der Respekt vor der Akademie
im Laufe der Zeiten gedrungen. Wie jeder Rekrut den Marschallstab im Tor¬
nister zu haben wühut, so stand ein Stuhl bei den vierzig Unsterblichen jedem
französischen Dichter als höchstes Ziel litterarischen Ehrgeizes von Jugend auf
vor Augen.

Man kann nun über den Wert dieses Instituts im allgemeinen denken
wie man will; bei uns in Deutschland haben sich immer zwei Parteien, eine
dafür und eine dagegen, gebildet; zuletzt hat Du Bois-Reymond in Berlin den
Plan zur Gründung einer der ^.«zaäönüg trMyÄss ähnlichen deutscheu Anstalt
entworfen, und Wilhelm Scherer schloß sich ihm aus philologischen Gründen
mit Wärme an. Thatsächlich haben die Franzosen von ihrer nationalen Akademie
weitaus mehr Vorteile als Nachteile gehabt. Nicht bloß fand die Pflege der
französischen Sprache ihren staatlichen Schutz, was wir Deutschen, die wir noch
immer an der Zerfahrenheit unsrer Orthographie und einer traurigen Unwissen¬
heit und Hilflosigkeit in grammatischen und stilistischen Dingen leiden, besonders
zu schätzen wissen; sondern ihr Dasein hatte mich nicht genug zu beachtende
Vorteile für die Stellung der schönen Litteratur innerhalb der andern Künste
und Wissenschaften, die von der Nation gepflegt wurden. Wie lange ist es denn her,
daß der Dichter und Schriftsteller bei uns seine anerkannte gesellschaftliche Geltung
hat? Noch nicht ein Jahrhundert. In Frankreich war die Litteratur durch die
Akademie sozial zu dem ihr gebührenden Range erhoben; durch dieselbe so oft
angefeindete und doch mit allen Opfern aufrecht erhaltene Akademie blieb die
Litteratur eine Macht im Staate, selbst unter dem Despotismus Napoleons, der
alle „Ideologie" so haßte.

Daran muß man denken, wenn man Daudets ohne Zweifel glänzende Satire
auf die „Unsterblichen" beurteilen will, die sein neuester Roman, oder vielmehr
seine neueste Schilderung der inoours M-isiennös: I/Iinmortel (Paris, Lemerre,
1838) enthält. An beides muß man denken: an die litterarische Gattung, die
mit dem Untertitel des Buches bezeichnet wird, und an die geschichtlich denk¬
würdige Stellung der ^eaäöwiö trairyg,i86 im nationalen Leben der Franzosen.
Denn gerade hier, nämlich in dem Abstände zwischen dem Standpunkte, welchen
Daudet zur Welt, die er mit scharfen Augen beobachtet, einnimmt, und jenem
Standpunkte, von dem aus ein Institut wie die Akademie beurteilt werden soll
liegt der Angelpunkt des Gegensatzes zwischen Verfasser und Gegenstand.


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[0264] I.'Jmme>res1. die Akademie gekämpft, nicht weil es die Akademie, sondern weil es die alte un¬ fruchtbare war. Das Institut selbst anzugreifen, grundsätzlich anzugreifen, fiel früher einem Franzosen nicht so leicht ein. Die Romantiker mit Viktor Hugo an der Spitze hatten im zweiten und dritten Jahrzehnt unsers Jahrhunderts in dieser Weise die Akademie — zugleich die Hüterin der wortarmen altklassischer französischen Sprache — bekämpft, aber nur so lange, bis sie die Palmcnfräcke selbst anlegen durften. Bis in die tiefsten Schichten des französischen Volkes, das doch so viel auf äußere Ehrenzeichen hält, ist der Respekt vor der Akademie im Laufe der Zeiten gedrungen. Wie jeder Rekrut den Marschallstab im Tor¬ nister zu haben wühut, so stand ein Stuhl bei den vierzig Unsterblichen jedem französischen Dichter als höchstes Ziel litterarischen Ehrgeizes von Jugend auf vor Augen. Man kann nun über den Wert dieses Instituts im allgemeinen denken wie man will; bei uns in Deutschland haben sich immer zwei Parteien, eine dafür und eine dagegen, gebildet; zuletzt hat Du Bois-Reymond in Berlin den Plan zur Gründung einer der ^.«zaäönüg trMyÄss ähnlichen deutscheu Anstalt entworfen, und Wilhelm Scherer schloß sich ihm aus philologischen Gründen mit Wärme an. Thatsächlich haben die Franzosen von ihrer nationalen Akademie weitaus mehr Vorteile als Nachteile gehabt. Nicht bloß fand die Pflege der französischen Sprache ihren staatlichen Schutz, was wir Deutschen, die wir noch immer an der Zerfahrenheit unsrer Orthographie und einer traurigen Unwissen¬ heit und Hilflosigkeit in grammatischen und stilistischen Dingen leiden, besonders zu schätzen wissen; sondern ihr Dasein hatte mich nicht genug zu beachtende Vorteile für die Stellung der schönen Litteratur innerhalb der andern Künste und Wissenschaften, die von der Nation gepflegt wurden. Wie lange ist es denn her, daß der Dichter und Schriftsteller bei uns seine anerkannte gesellschaftliche Geltung hat? Noch nicht ein Jahrhundert. In Frankreich war die Litteratur durch die Akademie sozial zu dem ihr gebührenden Range erhoben; durch dieselbe so oft angefeindete und doch mit allen Opfern aufrecht erhaltene Akademie blieb die Litteratur eine Macht im Staate, selbst unter dem Despotismus Napoleons, der alle „Ideologie" so haßte. Daran muß man denken, wenn man Daudets ohne Zweifel glänzende Satire auf die „Unsterblichen" beurteilen will, die sein neuester Roman, oder vielmehr seine neueste Schilderung der inoours M-isiennös: I/Iinmortel (Paris, Lemerre, 1838) enthält. An beides muß man denken: an die litterarische Gattung, die mit dem Untertitel des Buches bezeichnet wird, und an die geschichtlich denk¬ würdige Stellung der ^eaäöwiö trairyg,i86 im nationalen Leben der Franzosen. Denn gerade hier, nämlich in dem Abstände zwischen dem Standpunkte, welchen Daudet zur Welt, die er mit scharfen Augen beobachtet, einnimmt, und jenem Standpunkte, von dem aus ein Institut wie die Akademie beurteilt werden soll liegt der Angelpunkt des Gegensatzes zwischen Verfasser und Gegenstand.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/264>, abgerufen am 22.07.2024.