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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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geübt auf die Beobachtung der gewöhnlichen, die Salons und das Straßen¬
pflaster füllenden und betretenden Menschen. Ein solcher Realist versteht es
sehr gut, eine Aufsehen machende Schauspielerin, eine verliebte Herzogin, einen
geckenhaften Streber u. f. f. zu schildern, nicht aber diejenigen Menschen, deren
ganzes Dasein in stiller, innerlicher Geistesarbeit oder in verschwiegenen Seelen¬
leiden aufgeht. Glänzende Farben sieht der Realist, und die allein kann er
wiedergeben, also nur die Außenseiten. Von jenem zweiten Kosmos des Geistes¬
lebens, der sich, unabhängig von der Zeit, Geschlechter überdauernd, erhebt über
unser materielles Leben, von dem will er nichts wissen, wenn er ihn überhaupt
hat kennen lernen. Darum ist der Realist von Haus aus ironisch gestimmt
gegen alle jene wissenschaftliche Thätigkeit, die unmittelbar kein sicheres Ergebnis,
keine praktischen Erfolge bietet. Alle Philologie, alle Geschichtswissenschaft ver¬
achtet er im Stillen und lacht über die Schwärmer, die sich in entlegene Zeiten
vergraben, um Bücher zu schreiben, die in ganz Europa nur ein ganz, ganz
geringes Publikum finden werden. Denn er kennt andre litterarische Erfolge,
solche, die gleich in die Waffen gehen -- jede andre Art von Erfolg erscheint
ihm lächerlich. Ist nun el" solcher Mann berufen, über eine wissenschaftliche
Akademie abzuurteilen? Nein. Er hat ja gar kein Organ für ihre Würdigung!
Er hält sich an die kleinen Äußerlichkeiten, er zerrt an dem weitfaltigen Mantel
der Akademie und glaubt schon in ihr Fleisch zu schneiden: er kennt eben ihr
Wesen nicht. So ist es mit Alphonse Daudets Satire bestellt.

Daudet stellt das ganze Treiben der Akademiker teils als lächerlich, teils
als gemein, teils als jämmerlich hin, das Ganze eine Weiberrvckwirtschaft.
Frauen vergeben die Würden und vergöttern dann, nach Art der Wilden, die
Götzen, die sie sich geschaffen haben. Die naive Jugend aus der Provinz, die
sich, nachdem sie sich rein idealistisch um die Gunst der Musen bemüht, nach
nationaler Sitte bestrebt hat, in die heiligen Hallen, unter die berühmte Kuppel
der Unsterblichen zu gelangen, muß sich die Füße wund laufen, muß Stunden,
Tage, Wochen lang antichambriren und intriguiren und buhlen und schmeicheln
bei den übrigen 39 stimmberechtigten Akademikern, wenn sie so eitel ist, einen
Stuhl erobern zu wollen. Alle diese Unsterblichen sind aber -- soweit geht
Daudet in seinem Zorn zu behaupten -- zumeist Nichtswisser, die alle zusammen
einem plumpen Dokumentenschwindel in leichtsinnigster Weise in die Falle gehen
können. Es sind Männer, die nur eine Sinekure in ihrer Würde sehen, aber
nicht die geringste Pflicht, irgend etwas zu leisten. Es sind faule Menschen,
welche selbst die kleine Arbeit scheuen, die Bücher der neuen Kandidaten um den
erledigten Platz zu lesen. Es ist eine Gesellschaft der gegen das wahre Talent
verschworenen Mittelmäßigkeit. Je weniger der Kandidat geleistet hat, umso
willkommener ist er ihnen. Es sind Scholastiker, die gar kein Verständnis für
das freie, frische Leben der Litteratur und der Kunst haben. Sie hassen sich
unter einander und sind nur einig darin, die "Akademie," einen Begriff, der wie


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geübt auf die Beobachtung der gewöhnlichen, die Salons und das Straßen¬
pflaster füllenden und betretenden Menschen. Ein solcher Realist versteht es
sehr gut, eine Aufsehen machende Schauspielerin, eine verliebte Herzogin, einen
geckenhaften Streber u. f. f. zu schildern, nicht aber diejenigen Menschen, deren
ganzes Dasein in stiller, innerlicher Geistesarbeit oder in verschwiegenen Seelen¬
leiden aufgeht. Glänzende Farben sieht der Realist, und die allein kann er
wiedergeben, also nur die Außenseiten. Von jenem zweiten Kosmos des Geistes¬
lebens, der sich, unabhängig von der Zeit, Geschlechter überdauernd, erhebt über
unser materielles Leben, von dem will er nichts wissen, wenn er ihn überhaupt
hat kennen lernen. Darum ist der Realist von Haus aus ironisch gestimmt
gegen alle jene wissenschaftliche Thätigkeit, die unmittelbar kein sicheres Ergebnis,
keine praktischen Erfolge bietet. Alle Philologie, alle Geschichtswissenschaft ver¬
achtet er im Stillen und lacht über die Schwärmer, die sich in entlegene Zeiten
vergraben, um Bücher zu schreiben, die in ganz Europa nur ein ganz, ganz
geringes Publikum finden werden. Denn er kennt andre litterarische Erfolge,
solche, die gleich in die Waffen gehen — jede andre Art von Erfolg erscheint
ihm lächerlich. Ist nun el» solcher Mann berufen, über eine wissenschaftliche
Akademie abzuurteilen? Nein. Er hat ja gar kein Organ für ihre Würdigung!
Er hält sich an die kleinen Äußerlichkeiten, er zerrt an dem weitfaltigen Mantel
der Akademie und glaubt schon in ihr Fleisch zu schneiden: er kennt eben ihr
Wesen nicht. So ist es mit Alphonse Daudets Satire bestellt.

Daudet stellt das ganze Treiben der Akademiker teils als lächerlich, teils
als gemein, teils als jämmerlich hin, das Ganze eine Weiberrvckwirtschaft.
Frauen vergeben die Würden und vergöttern dann, nach Art der Wilden, die
Götzen, die sie sich geschaffen haben. Die naive Jugend aus der Provinz, die
sich, nachdem sie sich rein idealistisch um die Gunst der Musen bemüht, nach
nationaler Sitte bestrebt hat, in die heiligen Hallen, unter die berühmte Kuppel
der Unsterblichen zu gelangen, muß sich die Füße wund laufen, muß Stunden,
Tage, Wochen lang antichambriren und intriguiren und buhlen und schmeicheln
bei den übrigen 39 stimmberechtigten Akademikern, wenn sie so eitel ist, einen
Stuhl erobern zu wollen. Alle diese Unsterblichen sind aber — soweit geht
Daudet in seinem Zorn zu behaupten — zumeist Nichtswisser, die alle zusammen
einem plumpen Dokumentenschwindel in leichtsinnigster Weise in die Falle gehen
können. Es sind Männer, die nur eine Sinekure in ihrer Würde sehen, aber
nicht die geringste Pflicht, irgend etwas zu leisten. Es sind faule Menschen,
welche selbst die kleine Arbeit scheuen, die Bücher der neuen Kandidaten um den
erledigten Platz zu lesen. Es ist eine Gesellschaft der gegen das wahre Talent
verschworenen Mittelmäßigkeit. Je weniger der Kandidat geleistet hat, umso
willkommener ist er ihnen. Es sind Scholastiker, die gar kein Verständnis für
das freie, frische Leben der Litteratur und der Kunst haben. Sie hassen sich
unter einander und sind nur einig darin, die „Akademie," einen Begriff, der wie


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[0266] I^'Imme»'et>I. geübt auf die Beobachtung der gewöhnlichen, die Salons und das Straßen¬ pflaster füllenden und betretenden Menschen. Ein solcher Realist versteht es sehr gut, eine Aufsehen machende Schauspielerin, eine verliebte Herzogin, einen geckenhaften Streber u. f. f. zu schildern, nicht aber diejenigen Menschen, deren ganzes Dasein in stiller, innerlicher Geistesarbeit oder in verschwiegenen Seelen¬ leiden aufgeht. Glänzende Farben sieht der Realist, und die allein kann er wiedergeben, also nur die Außenseiten. Von jenem zweiten Kosmos des Geistes¬ lebens, der sich, unabhängig von der Zeit, Geschlechter überdauernd, erhebt über unser materielles Leben, von dem will er nichts wissen, wenn er ihn überhaupt hat kennen lernen. Darum ist der Realist von Haus aus ironisch gestimmt gegen alle jene wissenschaftliche Thätigkeit, die unmittelbar kein sicheres Ergebnis, keine praktischen Erfolge bietet. Alle Philologie, alle Geschichtswissenschaft ver¬ achtet er im Stillen und lacht über die Schwärmer, die sich in entlegene Zeiten vergraben, um Bücher zu schreiben, die in ganz Europa nur ein ganz, ganz geringes Publikum finden werden. Denn er kennt andre litterarische Erfolge, solche, die gleich in die Waffen gehen — jede andre Art von Erfolg erscheint ihm lächerlich. Ist nun el» solcher Mann berufen, über eine wissenschaftliche Akademie abzuurteilen? Nein. Er hat ja gar kein Organ für ihre Würdigung! Er hält sich an die kleinen Äußerlichkeiten, er zerrt an dem weitfaltigen Mantel der Akademie und glaubt schon in ihr Fleisch zu schneiden: er kennt eben ihr Wesen nicht. So ist es mit Alphonse Daudets Satire bestellt. Daudet stellt das ganze Treiben der Akademiker teils als lächerlich, teils als gemein, teils als jämmerlich hin, das Ganze eine Weiberrvckwirtschaft. Frauen vergeben die Würden und vergöttern dann, nach Art der Wilden, die Götzen, die sie sich geschaffen haben. Die naive Jugend aus der Provinz, die sich, nachdem sie sich rein idealistisch um die Gunst der Musen bemüht, nach nationaler Sitte bestrebt hat, in die heiligen Hallen, unter die berühmte Kuppel der Unsterblichen zu gelangen, muß sich die Füße wund laufen, muß Stunden, Tage, Wochen lang antichambriren und intriguiren und buhlen und schmeicheln bei den übrigen 39 stimmberechtigten Akademikern, wenn sie so eitel ist, einen Stuhl erobern zu wollen. Alle diese Unsterblichen sind aber — soweit geht Daudet in seinem Zorn zu behaupten — zumeist Nichtswisser, die alle zusammen einem plumpen Dokumentenschwindel in leichtsinnigster Weise in die Falle gehen können. Es sind Männer, die nur eine Sinekure in ihrer Würde sehen, aber nicht die geringste Pflicht, irgend etwas zu leisten. Es sind faule Menschen, welche selbst die kleine Arbeit scheuen, die Bücher der neuen Kandidaten um den erledigten Platz zu lesen. Es ist eine Gesellschaft der gegen das wahre Talent verschworenen Mittelmäßigkeit. Je weniger der Kandidat geleistet hat, umso willkommener ist er ihnen. Es sind Scholastiker, die gar kein Verständnis für das freie, frische Leben der Litteratur und der Kunst haben. Sie hassen sich unter einander und sind nur einig darin, die „Akademie," einen Begriff, der wie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/266>, abgerufen am 22.07.2024.