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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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I-'Immoitcl.

gedacht, nicht Erscheinung. Aber das Anschauen und Denken, die Thätigkeit
des transzendentalen Subjekts, diese sind <x"los/deo", d. i. Erscheinung für den
innern Sinn. Wir unterscheiden nach Kant den innern Sinn vom äußern.
Ersterer ist die Empfänglichkeit für Erscheinungen, die nur in der Zeit ver¬
laufen, wie z. B. alle psychologischen Prozesse in uns, wogegen der äußere
Sinn uns befähigt, Dinge in Zeit und Raum, d. i. außer uns (außer dem
Subjekt), wahrzunehmen. Dazu gehören natürlich Gesicht, Gehör, Gefühl u. f. w.
Daß nun aber Erscheinungen des äußern Sinnes Erscheinungen des innern
Sinnes hervorrufen, ist nicht rätselhafter, als daß zwei Erscheinungen im Raume
einander bestimmen oder hervorrufen. Wenn eine Bewegung die andre hemmt
oder verstärkt oder erregt, so kann auch eine materielle Bewegung im Raume,
z. B. Erschütterung der Gehirnsubstcmz, Thätigkeiten geistiger Art hervorrufen,
denn diese sind auch Erscheinungen, und die Zeit ist für beide Arten der Thätig¬
keit die verbindende Form. Thatsache ist es jedenfalls, daß durch materielle
Bewegungen, wie alle Sinnesreize und die Erschütterungen der Nervensubstanz
es sind, unser Bewußtsein hervorgerufen und zum Anschauen und Denken erregt
wird. Daraus folgt mit Notwendigkeit die Existenz der Materie, welche durch
auf uns eindringende erregende Kräfte die reaktiven Kräfte unsers Bewußtseins
wachruft; denn ohne ein bewegtes Etwas ist eine Bewegung undenkbar. Für
den Physiker ist das Zentralorgan für alle Sinne (das Gehirn) als Organ
nachzuweisen, durch welches die Materie als etwas Existirendes bewiesen wird.
Für den Metaphysiker ist die Thatsache des Bewußtseins der Beweis für die
Existenz der Materie als erregender Ursache. (Schluß folgt.)




I^'Immortel.

"griffe auf die Akademie, auf ihren Wert, ihre Zweckmäßigkeit,
ihre Leistungen, ihren Geschmack, ihre Autorität sind beinahe
, während der ganzen Dauer ihres zweihundcrtjührigen Bestehens
in Frankreich gemacht worden. Man kann sagen, die Entwicklung
der neuern französischen Litteratur ging fast ganz in der Form
des Kampfes des nachwachsenden Geschlechtes mit dem ältern, welches die vierzig
Stühle der Unsterblichen innehatte, vor sich. Und natürlich siegte die Jugend,
insofern sie sich gegen den Zopf, gegen die Beschränktheit, gegen die Verknöche¬
rung der Alten auflehnte, jedesmal; sie siegte, nicht bloß weil sie die Jugend,
sondern weil sie die fruchtbareren Grundsätze für sich hatte; und sie hatte gegen


I-'Immoitcl.

gedacht, nicht Erscheinung. Aber das Anschauen und Denken, die Thätigkeit
des transzendentalen Subjekts, diese sind <x«los/deo«, d. i. Erscheinung für den
innern Sinn. Wir unterscheiden nach Kant den innern Sinn vom äußern.
Ersterer ist die Empfänglichkeit für Erscheinungen, die nur in der Zeit ver¬
laufen, wie z. B. alle psychologischen Prozesse in uns, wogegen der äußere
Sinn uns befähigt, Dinge in Zeit und Raum, d. i. außer uns (außer dem
Subjekt), wahrzunehmen. Dazu gehören natürlich Gesicht, Gehör, Gefühl u. f. w.
Daß nun aber Erscheinungen des äußern Sinnes Erscheinungen des innern
Sinnes hervorrufen, ist nicht rätselhafter, als daß zwei Erscheinungen im Raume
einander bestimmen oder hervorrufen. Wenn eine Bewegung die andre hemmt
oder verstärkt oder erregt, so kann auch eine materielle Bewegung im Raume,
z. B. Erschütterung der Gehirnsubstcmz, Thätigkeiten geistiger Art hervorrufen,
denn diese sind auch Erscheinungen, und die Zeit ist für beide Arten der Thätig¬
keit die verbindende Form. Thatsache ist es jedenfalls, daß durch materielle
Bewegungen, wie alle Sinnesreize und die Erschütterungen der Nervensubstanz
es sind, unser Bewußtsein hervorgerufen und zum Anschauen und Denken erregt
wird. Daraus folgt mit Notwendigkeit die Existenz der Materie, welche durch
auf uns eindringende erregende Kräfte die reaktiven Kräfte unsers Bewußtseins
wachruft; denn ohne ein bewegtes Etwas ist eine Bewegung undenkbar. Für
den Physiker ist das Zentralorgan für alle Sinne (das Gehirn) als Organ
nachzuweisen, durch welches die Materie als etwas Existirendes bewiesen wird.
Für den Metaphysiker ist die Thatsache des Bewußtseins der Beweis für die
Existenz der Materie als erregender Ursache. (Schluß folgt.)




I^'Immortel.

»griffe auf die Akademie, auf ihren Wert, ihre Zweckmäßigkeit,
ihre Leistungen, ihren Geschmack, ihre Autorität sind beinahe
, während der ganzen Dauer ihres zweihundcrtjührigen Bestehens
in Frankreich gemacht worden. Man kann sagen, die Entwicklung
der neuern französischen Litteratur ging fast ganz in der Form
des Kampfes des nachwachsenden Geschlechtes mit dem ältern, welches die vierzig
Stühle der Unsterblichen innehatte, vor sich. Und natürlich siegte die Jugend,
insofern sie sich gegen den Zopf, gegen die Beschränktheit, gegen die Verknöche¬
rung der Alten auflehnte, jedesmal; sie siegte, nicht bloß weil sie die Jugend,
sondern weil sie die fruchtbareren Grundsätze für sich hatte; und sie hatte gegen


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[0263] I-'Immoitcl. gedacht, nicht Erscheinung. Aber das Anschauen und Denken, die Thätigkeit des transzendentalen Subjekts, diese sind <x«los/deo«, d. i. Erscheinung für den innern Sinn. Wir unterscheiden nach Kant den innern Sinn vom äußern. Ersterer ist die Empfänglichkeit für Erscheinungen, die nur in der Zeit ver¬ laufen, wie z. B. alle psychologischen Prozesse in uns, wogegen der äußere Sinn uns befähigt, Dinge in Zeit und Raum, d. i. außer uns (außer dem Subjekt), wahrzunehmen. Dazu gehören natürlich Gesicht, Gehör, Gefühl u. f. w. Daß nun aber Erscheinungen des äußern Sinnes Erscheinungen des innern Sinnes hervorrufen, ist nicht rätselhafter, als daß zwei Erscheinungen im Raume einander bestimmen oder hervorrufen. Wenn eine Bewegung die andre hemmt oder verstärkt oder erregt, so kann auch eine materielle Bewegung im Raume, z. B. Erschütterung der Gehirnsubstcmz, Thätigkeiten geistiger Art hervorrufen, denn diese sind auch Erscheinungen, und die Zeit ist für beide Arten der Thätig¬ keit die verbindende Form. Thatsache ist es jedenfalls, daß durch materielle Bewegungen, wie alle Sinnesreize und die Erschütterungen der Nervensubstanz es sind, unser Bewußtsein hervorgerufen und zum Anschauen und Denken erregt wird. Daraus folgt mit Notwendigkeit die Existenz der Materie, welche durch auf uns eindringende erregende Kräfte die reaktiven Kräfte unsers Bewußtseins wachruft; denn ohne ein bewegtes Etwas ist eine Bewegung undenkbar. Für den Physiker ist das Zentralorgan für alle Sinne (das Gehirn) als Organ nachzuweisen, durch welches die Materie als etwas Existirendes bewiesen wird. Für den Metaphysiker ist die Thatsache des Bewußtseins der Beweis für die Existenz der Materie als erregender Ursache. (Schluß folgt.) I^'Immortel. »griffe auf die Akademie, auf ihren Wert, ihre Zweckmäßigkeit, ihre Leistungen, ihren Geschmack, ihre Autorität sind beinahe , während der ganzen Dauer ihres zweihundcrtjührigen Bestehens in Frankreich gemacht worden. Man kann sagen, die Entwicklung der neuern französischen Litteratur ging fast ganz in der Form des Kampfes des nachwachsenden Geschlechtes mit dem ältern, welches die vierzig Stühle der Unsterblichen innehatte, vor sich. Und natürlich siegte die Jugend, insofern sie sich gegen den Zopf, gegen die Beschränktheit, gegen die Verknöche¬ rung der Alten auflehnte, jedesmal; sie siegte, nicht bloß weil sie die Jugend, sondern weil sie die fruchtbareren Grundsätze für sich hatte; und sie hatte gegen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/263>, abgerufen am 22.07.2024.