Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.

bis ins siebzehnten zu erkennen, wo sie die Böhmen auf sich und ihren König
Friedrich von der Pfalz, den sogenannten Winterkönig, anwandten, um sie in ihm
erfüllt zu sehen (s. E. Weller, die Lieder des dreißigjährigen Krieges S. 34,
47, 104); wie vielen Tausenden sonst mag sie in schwerer Lage den sinkenden
Mut, die erlahmende Kraft wiedergegeben haben, wie uns manchmal, zuweilen
gerade in schlimmster Lage, ein schöner Traum ermutigt und auch durch einen
schweren Tag begleitet mit seiner Nachwirkung. Träume sind nicht bloß Schäume,
sie können auch unser Bestes aus der Tiefe heraufholen, besser oft, als es das
wache Bewußtsein fertig bringt. Und es giebt auch nationale Träume solcher
Art, im Leben der Völker nicht zu missen. Propheten, Weise, Dichter malen
oder legen sie aus, Staatsmänner, Fürsten, Helden führen sie aus, wenn die
Zeit dazu kommt. Wir haben es ja erlebt im größten Stile an zwei Völkern
in Europa, wir selbst darunter, und können nun wohl auch auf alte Propheten¬
träume, wie dieser, der sich um den Namen Friedrich bildete, mit aller Achtung
und Freude zurückblicken, ja uns selbst noch dran erbauen, im Mut erhöhen.

Um ein Jahrhundert später erscheinen Prophetenträume in andrer Form,
der harten Wirklichkeit nüchtern näher, doch auch mit großem Ziel und Auf¬
schwung. Die alte Gährung der Geister und der Verhältnisse in Reich und
Kirche war zu einer Stärke gediehen, daß alles nach einer tiefgreifenden Reform,
einer rskorraatio, einer Neubildung rief oder schrie. In Kaiser Sigismund
(richtiger Sigmund) fand die Bewegung einen Mann, der sie, an der rechten
Stelle stehend, zu lenken beschloß, wenn er auch später davon zurückkam, und
man kam ihm dabei mit einer Begeisterung entgegen, die das Beste versprach.

Auf dem Costnitzer Concil, wo er dem Kirchenschisma ein Ende machte,
wurde er als der berufene Verjünger der alternden Welt, als neuer Moses
gefeiert (F. von Bezold in den Göttinger Gelehrten Anzeigen 1876 2, 1230).
Und sofort rückte er damit in den Nahmen der über diesen Hoffnungen schwe¬
benden, glänzenden Friedrichsgestalt ein, eine Kölner Chronik vom Jahre 1499
giebt geradezu an, er habe bei der Kaiserkrönung den Namen Friedrich erhalten
(daselbst), auch die Gewinnung des heiligen Grabes prophezeite man ihm. Daß
er dabei selbst an Sibyllen Weissagung dachte, wie alle Welt, und an seine
Stellung dazu, ist bezeugt durch die merkwürdige Äußerung, er selbst zwar sei
kein Friedrich, aber es werde ihm bald ein Kaiser Friedrich nachfolgen. Er
meinte aber einen bestimmten Mann, einen Fürsten, den er schon in seine Nähe
gezogen und mitten in die Reichsangelegenheiten versetzt hatte, den Burggrafen
Friedrich von Nürnberg, aus dem Hohenzollernstamm, dem er die Branden¬
burger Mark mit der Kurwürde übergeben hatte, er erwartete von ihm die
Vollendung des begonnenen Werkes der Neubildung des Reiches.*) So prophe-



*) I. G. Droysen, Eberhard Windeck, in den Abhandlungen der königlich sächsischen
Gesellschaft der Wissenschaften 3, 172.
Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.

bis ins siebzehnten zu erkennen, wo sie die Böhmen auf sich und ihren König
Friedrich von der Pfalz, den sogenannten Winterkönig, anwandten, um sie in ihm
erfüllt zu sehen (s. E. Weller, die Lieder des dreißigjährigen Krieges S. 34,
47, 104); wie vielen Tausenden sonst mag sie in schwerer Lage den sinkenden
Mut, die erlahmende Kraft wiedergegeben haben, wie uns manchmal, zuweilen
gerade in schlimmster Lage, ein schöner Traum ermutigt und auch durch einen
schweren Tag begleitet mit seiner Nachwirkung. Träume sind nicht bloß Schäume,
sie können auch unser Bestes aus der Tiefe heraufholen, besser oft, als es das
wache Bewußtsein fertig bringt. Und es giebt auch nationale Träume solcher
Art, im Leben der Völker nicht zu missen. Propheten, Weise, Dichter malen
oder legen sie aus, Staatsmänner, Fürsten, Helden führen sie aus, wenn die
Zeit dazu kommt. Wir haben es ja erlebt im größten Stile an zwei Völkern
in Europa, wir selbst darunter, und können nun wohl auch auf alte Propheten¬
träume, wie dieser, der sich um den Namen Friedrich bildete, mit aller Achtung
und Freude zurückblicken, ja uns selbst noch dran erbauen, im Mut erhöhen.

Um ein Jahrhundert später erscheinen Prophetenträume in andrer Form,
der harten Wirklichkeit nüchtern näher, doch auch mit großem Ziel und Auf¬
schwung. Die alte Gährung der Geister und der Verhältnisse in Reich und
Kirche war zu einer Stärke gediehen, daß alles nach einer tiefgreifenden Reform,
einer rskorraatio, einer Neubildung rief oder schrie. In Kaiser Sigismund
(richtiger Sigmund) fand die Bewegung einen Mann, der sie, an der rechten
Stelle stehend, zu lenken beschloß, wenn er auch später davon zurückkam, und
man kam ihm dabei mit einer Begeisterung entgegen, die das Beste versprach.

Auf dem Costnitzer Concil, wo er dem Kirchenschisma ein Ende machte,
wurde er als der berufene Verjünger der alternden Welt, als neuer Moses
gefeiert (F. von Bezold in den Göttinger Gelehrten Anzeigen 1876 2, 1230).
Und sofort rückte er damit in den Nahmen der über diesen Hoffnungen schwe¬
benden, glänzenden Friedrichsgestalt ein, eine Kölner Chronik vom Jahre 1499
giebt geradezu an, er habe bei der Kaiserkrönung den Namen Friedrich erhalten
(daselbst), auch die Gewinnung des heiligen Grabes prophezeite man ihm. Daß
er dabei selbst an Sibyllen Weissagung dachte, wie alle Welt, und an seine
Stellung dazu, ist bezeugt durch die merkwürdige Äußerung, er selbst zwar sei
kein Friedrich, aber es werde ihm bald ein Kaiser Friedrich nachfolgen. Er
meinte aber einen bestimmten Mann, einen Fürsten, den er schon in seine Nähe
gezogen und mitten in die Reichsangelegenheiten versetzt hatte, den Burggrafen
Friedrich von Nürnberg, aus dem Hohenzollernstamm, dem er die Branden¬
burger Mark mit der Kurwürde übergeben hatte, er erwartete von ihm die
Vollendung des begonnenen Werkes der Neubildung des Reiches.*) So prophe-



*) I. G. Droysen, Eberhard Windeck, in den Abhandlungen der königlich sächsischen
Gesellschaft der Wissenschaften 3, 172.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0026" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/289149"/>
          <fw type="header" place="top"> Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_56" prev="#ID_55"> bis ins siebzehnten zu erkennen, wo sie die Böhmen auf sich und ihren König<lb/>
Friedrich von der Pfalz, den sogenannten Winterkönig, anwandten, um sie in ihm<lb/>
erfüllt zu sehen (s. E. Weller, die Lieder des dreißigjährigen Krieges S. 34,<lb/>
47, 104); wie vielen Tausenden sonst mag sie in schwerer Lage den sinkenden<lb/>
Mut, die erlahmende Kraft wiedergegeben haben, wie uns manchmal, zuweilen<lb/>
gerade in schlimmster Lage, ein schöner Traum ermutigt und auch durch einen<lb/>
schweren Tag begleitet mit seiner Nachwirkung. Träume sind nicht bloß Schäume,<lb/>
sie können auch unser Bestes aus der Tiefe heraufholen, besser oft, als es das<lb/>
wache Bewußtsein fertig bringt. Und es giebt auch nationale Träume solcher<lb/>
Art, im Leben der Völker nicht zu missen. Propheten, Weise, Dichter malen<lb/>
oder legen sie aus, Staatsmänner, Fürsten, Helden führen sie aus, wenn die<lb/>
Zeit dazu kommt. Wir haben es ja erlebt im größten Stile an zwei Völkern<lb/>
in Europa, wir selbst darunter, und können nun wohl auch auf alte Propheten¬<lb/>
träume, wie dieser, der sich um den Namen Friedrich bildete, mit aller Achtung<lb/>
und Freude zurückblicken, ja uns selbst noch dran erbauen, im Mut erhöhen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_57"> Um ein Jahrhundert später erscheinen Prophetenträume in andrer Form,<lb/>
der harten Wirklichkeit nüchtern näher, doch auch mit großem Ziel und Auf¬<lb/>
schwung. Die alte Gährung der Geister und der Verhältnisse in Reich und<lb/>
Kirche war zu einer Stärke gediehen, daß alles nach einer tiefgreifenden Reform,<lb/>
einer rskorraatio, einer Neubildung rief oder schrie. In Kaiser Sigismund<lb/>
(richtiger Sigmund) fand die Bewegung einen Mann, der sie, an der rechten<lb/>
Stelle stehend, zu lenken beschloß, wenn er auch später davon zurückkam, und<lb/>
man kam ihm dabei mit einer Begeisterung entgegen, die das Beste versprach.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_58" next="#ID_59"> Auf dem Costnitzer Concil, wo er dem Kirchenschisma ein Ende machte,<lb/>
wurde er als der berufene Verjünger der alternden Welt, als neuer Moses<lb/>
gefeiert (F. von Bezold in den Göttinger Gelehrten Anzeigen 1876 2, 1230).<lb/>
Und sofort rückte er damit in den Nahmen der über diesen Hoffnungen schwe¬<lb/>
benden, glänzenden Friedrichsgestalt ein, eine Kölner Chronik vom Jahre 1499<lb/>
giebt geradezu an, er habe bei der Kaiserkrönung den Namen Friedrich erhalten<lb/>
(daselbst), auch die Gewinnung des heiligen Grabes prophezeite man ihm. Daß<lb/>
er dabei selbst an Sibyllen Weissagung dachte, wie alle Welt, und an seine<lb/>
Stellung dazu, ist bezeugt durch die merkwürdige Äußerung, er selbst zwar sei<lb/>
kein Friedrich, aber es werde ihm bald ein Kaiser Friedrich nachfolgen. Er<lb/>
meinte aber einen bestimmten Mann, einen Fürsten, den er schon in seine Nähe<lb/>
gezogen und mitten in die Reichsangelegenheiten versetzt hatte, den Burggrafen<lb/>
Friedrich von Nürnberg, aus dem Hohenzollernstamm, dem er die Branden¬<lb/>
burger Mark mit der Kurwürde übergeben hatte, er erwartete von ihm die<lb/>
Vollendung des begonnenen Werkes der Neubildung des Reiches.*) So prophe-</p><lb/>
          <note xml:id="FID_3" place="foot"> *) I. G. Droysen, Eberhard Windeck, in den Abhandlungen der königlich sächsischen<lb/>
Gesellschaft der Wissenschaften 3, 172.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0026] Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen. bis ins siebzehnten zu erkennen, wo sie die Böhmen auf sich und ihren König Friedrich von der Pfalz, den sogenannten Winterkönig, anwandten, um sie in ihm erfüllt zu sehen (s. E. Weller, die Lieder des dreißigjährigen Krieges S. 34, 47, 104); wie vielen Tausenden sonst mag sie in schwerer Lage den sinkenden Mut, die erlahmende Kraft wiedergegeben haben, wie uns manchmal, zuweilen gerade in schlimmster Lage, ein schöner Traum ermutigt und auch durch einen schweren Tag begleitet mit seiner Nachwirkung. Träume sind nicht bloß Schäume, sie können auch unser Bestes aus der Tiefe heraufholen, besser oft, als es das wache Bewußtsein fertig bringt. Und es giebt auch nationale Träume solcher Art, im Leben der Völker nicht zu missen. Propheten, Weise, Dichter malen oder legen sie aus, Staatsmänner, Fürsten, Helden führen sie aus, wenn die Zeit dazu kommt. Wir haben es ja erlebt im größten Stile an zwei Völkern in Europa, wir selbst darunter, und können nun wohl auch auf alte Propheten¬ träume, wie dieser, der sich um den Namen Friedrich bildete, mit aller Achtung und Freude zurückblicken, ja uns selbst noch dran erbauen, im Mut erhöhen. Um ein Jahrhundert später erscheinen Prophetenträume in andrer Form, der harten Wirklichkeit nüchtern näher, doch auch mit großem Ziel und Auf¬ schwung. Die alte Gährung der Geister und der Verhältnisse in Reich und Kirche war zu einer Stärke gediehen, daß alles nach einer tiefgreifenden Reform, einer rskorraatio, einer Neubildung rief oder schrie. In Kaiser Sigismund (richtiger Sigmund) fand die Bewegung einen Mann, der sie, an der rechten Stelle stehend, zu lenken beschloß, wenn er auch später davon zurückkam, und man kam ihm dabei mit einer Begeisterung entgegen, die das Beste versprach. Auf dem Costnitzer Concil, wo er dem Kirchenschisma ein Ende machte, wurde er als der berufene Verjünger der alternden Welt, als neuer Moses gefeiert (F. von Bezold in den Göttinger Gelehrten Anzeigen 1876 2, 1230). Und sofort rückte er damit in den Nahmen der über diesen Hoffnungen schwe¬ benden, glänzenden Friedrichsgestalt ein, eine Kölner Chronik vom Jahre 1499 giebt geradezu an, er habe bei der Kaiserkrönung den Namen Friedrich erhalten (daselbst), auch die Gewinnung des heiligen Grabes prophezeite man ihm. Daß er dabei selbst an Sibyllen Weissagung dachte, wie alle Welt, und an seine Stellung dazu, ist bezeugt durch die merkwürdige Äußerung, er selbst zwar sei kein Friedrich, aber es werde ihm bald ein Kaiser Friedrich nachfolgen. Er meinte aber einen bestimmten Mann, einen Fürsten, den er schon in seine Nähe gezogen und mitten in die Reichsangelegenheiten versetzt hatte, den Burggrafen Friedrich von Nürnberg, aus dem Hohenzollernstamm, dem er die Branden¬ burger Mark mit der Kurwürde übergeben hatte, er erwartete von ihm die Vollendung des begonnenen Werkes der Neubildung des Reiches.*) So prophe- *) I. G. Droysen, Eberhard Windeck, in den Abhandlungen der königlich sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften 3, 172.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/26
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/26>, abgerufen am 22.07.2024.