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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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zene der Kaiser selbst, auf den man die Prophezeiung bezog, über sich hinaus,
aber auch in großer Zeitnähe. Eintreffen sollte es erst Jahrhunderte später,
wirklich durch Friedriche aus dem Brandenburger Hause.

Die mit Sigmunds Auftreten aufgeregten Hoffnungen und Forderungen
nahmen scharf ausgeprägte Gestalt an in einer Flugschrift, die geradezu unter
dem Namen Reformation des Kaisers Sigmund geht, den man ihr schon im fünf¬
zehnten Jahrhundert gab, obschon nicht der Verfasser selbst.*) Sie ist geschrieben
vermutlich im Jahre 1438 gleich nach des Kaisers Tode (Bezold a. a. O. 1226)
und scheint gedacht als sein Testament an die Zeit, daß die großen Pläne zur
Ausführung kämen. Er selbst tritt darin auf und berichtet von einem wachen
Traum, den er zwischen Nacht und Morgen gehabt, wie eine Stimme ihn zu
dem Werke berufen habe, der göttlichen Ordnung einen Weg zu bereiten, aber
doch nur als "wegberaiter des. der nach dir komen sol" (S. 242). Dieser aber
ist ein Priester, der Friedrich von Lantnaw genannt wird, d. h. niemand als
der Verfasser selbst, Friedrich Reiser mit Namen, also auch ein Friedrich, wie
der neue Markgraf von Brandenburg, aber ein Mann aus dem Volke. Er
giebt aber an, der Kaiser habe mit ihm geredet, und zwar in Basel (S. 244),
doch wohl auf dem Concil, nennt sich auch seinen Rat (S. 171), und so viel
Phantasterei in der Schrift des aufgeregten Geistes mit unterläuft, wäre das
doch nicht anders, als wie man von Kaiser Maximilian weiß, daß er gelegent¬
lich bedeutende Männer zu sich beschied, z. B. Kaisersberg, Murner, um ihre
Meinung über die Zeitfragen zu hören. In Friedrich Reihers Schrift spricht
neben aller Schwärmerei die Not der Zeit, wie sie durch herangewachsene Mi߬
verhältnisse, besonders auch den Mißbrauch der Gewalt von oben, fast allen
Ständen auferlegt war. Die Prophezeiung nimmt zugleich die Form der For¬
derung an, der selbst die Drohung mit dem Schwert nicht fehlt, und greift so
tief und umfassend in die Wirklichkeit herunter, daß z. B. außer gründlicher
Änderung in dem Elend des Zoll-, Münz- und Geleitswesens auch die Her¬
stellung guter Straßen für den Handel, die Bestellung wenigstens eines stu-
dirten Arztes in jeder Reichsstadt, die Aufhebung des Zunftwesens und der
Leibeigenschaft gefordert werden. Man fühlt recht, wie es Zeit war, daß das
Prophezeien aus den Wolken der Zukunft auf den verwüsteten Boden der Wirk¬
lichkeit herunterstieg, daß es aus tröstenden Vorschauen in Zugreifen und harte
Arbeit überging. Freilich eine Arbeit von Jahrhunderten, mit der wir noch
zu thun haben, so viel schon aufgeräumt ist und neu gebaut und gepflanzt wird.

Neben dieser Stimme aus dem Volke, aus dem gährenden Drange der
Lage von unten erklingt in derselben Zeit in wesentlich gleicher Richtung eine



*) S. W. Böhm, Friedrich Reihers Reformation des Kaisers Sigmund. Leipzig, 187S,
S. 159; die Schrift ist da gründlich behandelt, neu abgedruckt in kritischer Herstellung, auch
der Verfasser ermittelt.

zene der Kaiser selbst, auf den man die Prophezeiung bezog, über sich hinaus,
aber auch in großer Zeitnähe. Eintreffen sollte es erst Jahrhunderte später,
wirklich durch Friedriche aus dem Brandenburger Hause.

Die mit Sigmunds Auftreten aufgeregten Hoffnungen und Forderungen
nahmen scharf ausgeprägte Gestalt an in einer Flugschrift, die geradezu unter
dem Namen Reformation des Kaisers Sigmund geht, den man ihr schon im fünf¬
zehnten Jahrhundert gab, obschon nicht der Verfasser selbst.*) Sie ist geschrieben
vermutlich im Jahre 1438 gleich nach des Kaisers Tode (Bezold a. a. O. 1226)
und scheint gedacht als sein Testament an die Zeit, daß die großen Pläne zur
Ausführung kämen. Er selbst tritt darin auf und berichtet von einem wachen
Traum, den er zwischen Nacht und Morgen gehabt, wie eine Stimme ihn zu
dem Werke berufen habe, der göttlichen Ordnung einen Weg zu bereiten, aber
doch nur als „wegberaiter des. der nach dir komen sol" (S. 242). Dieser aber
ist ein Priester, der Friedrich von Lantnaw genannt wird, d. h. niemand als
der Verfasser selbst, Friedrich Reiser mit Namen, also auch ein Friedrich, wie
der neue Markgraf von Brandenburg, aber ein Mann aus dem Volke. Er
giebt aber an, der Kaiser habe mit ihm geredet, und zwar in Basel (S. 244),
doch wohl auf dem Concil, nennt sich auch seinen Rat (S. 171), und so viel
Phantasterei in der Schrift des aufgeregten Geistes mit unterläuft, wäre das
doch nicht anders, als wie man von Kaiser Maximilian weiß, daß er gelegent¬
lich bedeutende Männer zu sich beschied, z. B. Kaisersberg, Murner, um ihre
Meinung über die Zeitfragen zu hören. In Friedrich Reihers Schrift spricht
neben aller Schwärmerei die Not der Zeit, wie sie durch herangewachsene Mi߬
verhältnisse, besonders auch den Mißbrauch der Gewalt von oben, fast allen
Ständen auferlegt war. Die Prophezeiung nimmt zugleich die Form der For¬
derung an, der selbst die Drohung mit dem Schwert nicht fehlt, und greift so
tief und umfassend in die Wirklichkeit herunter, daß z. B. außer gründlicher
Änderung in dem Elend des Zoll-, Münz- und Geleitswesens auch die Her¬
stellung guter Straßen für den Handel, die Bestellung wenigstens eines stu-
dirten Arztes in jeder Reichsstadt, die Aufhebung des Zunftwesens und der
Leibeigenschaft gefordert werden. Man fühlt recht, wie es Zeit war, daß das
Prophezeien aus den Wolken der Zukunft auf den verwüsteten Boden der Wirk¬
lichkeit herunterstieg, daß es aus tröstenden Vorschauen in Zugreifen und harte
Arbeit überging. Freilich eine Arbeit von Jahrhunderten, mit der wir noch
zu thun haben, so viel schon aufgeräumt ist und neu gebaut und gepflanzt wird.

Neben dieser Stimme aus dem Volke, aus dem gährenden Drange der
Lage von unten erklingt in derselben Zeit in wesentlich gleicher Richtung eine



*) S. W. Böhm, Friedrich Reihers Reformation des Kaisers Sigmund. Leipzig, 187S,
S. 159; die Schrift ist da gründlich behandelt, neu abgedruckt in kritischer Herstellung, auch
der Verfasser ermittelt.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/27>, abgerufen am 24.08.2024.