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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.

ganze Christenheit, die ganze Welt. Er sollte nach der Weissagung der Sibylle
der letzte Kaiser sein vor dem Weltende oder der neuen Weltordnung, sollte mit
gewaltiger Heeresmacht ausziehen, endlich das heilige Grab zu gewinnen, denn
das nur konnte der Mittelpunkt der vollendeten Christenwelt sein. Dort sollte
er großes Gericht halten (denn das war aus alter Zeit her der Kern der Königs¬
gewalt), Gericht als eine Art Vorspiel des jüngsten Gerichts. Das aber er¬
scheint vorgestellt in altgermanischer Form, er würde, hieß es, seinen Schild an
einen dürren Baum heulen, d. h. den altgermanischen Gerichtsbann, der zu¬
gleich heilig war als Wohnstätte der Gottheit und heiliger Mittelpunkt des
Volksgebietes, der denn auch hier zugleich in eins gesetzt wurde mit dem Baume,
an dem Christus hatte den Tod für die Menschheit erleiden müssen, und mit
dem Baume im Paradiese, der zum Sündenfall den Anlaß gab. Dann aber
sollte der Baum wieder grünen, als Zeichen eines neuen, großen Lebens gedacht,
und alles sollte gut werden auf Erden: eine wunderbar überschwängliche Vor¬
stellungsmasse, aber mit einer großartigen, tiefsinnigen Einheit, gerade so, wie
sie die aufgeregte Geisteswelt, wie sie damals war, eben brauchte, um ihr aus
der Zukunfts- und Ideenwelt Ruhe und Mut zu geben. Der wunderbare
Baum liegt uns ja noch nahe in der Sage vom Birnbaum auf dem Walfer-
felde am Untersberg, der ein heimischer Ableger jenes Weltgerichtsbaumes ist,
einer Sage, die auch in unsrer kritischen Zeit doch durchaus noch mit Achtung
angesehen wird, wie die Sage vom Kaiser Friedrich im Khffhäuser auch; sie
prägen sich in der Jugend mit so reicher, schöner, tiefer Ahnung ein, daß sie
auch im Mannesalter noch im Gemüte Stand halten vor dem nüchtern kri¬
tischen Denken oder Spotten.

Solch ein Ungeheures erwartete man also, und nicht in Deutschland bloß,
von dem deutschen Helden der Zukunft, von dem Friedrich. Frieden und Ein¬
heit unter den Völkern sollte er herstellen, dabei einen Glauben über die Welt,
im Christentum aber auch Versöhnung zwischen Klerus und Laien, die so nötig
war nach den schlimmen Störungen durch die langen, erbitterten Kämpfe zwischen
Kaiser und Papst. Es weht einen eigen an, wenn man in der Weissagung
folgendes liest und dabei unwillkürlich an heutige Verhältnisse denkt:


üis zMüon, als cia fini vsririlzsn
unä fini blidon (bis) ut' eilf nit Isbsn,
ü<in ivirt ir uralten wiäsr Mbcm,
Ä"s voUc Fvvinnst si u,i)ör (wieder) Uod uM port,
ivcisr man ir Isrsn uncl ir drocliAsu bsgsrt.

So rettete die Prophezeiung die Geister aus schwerster Beklemmung durch ein
kühnes Aufschwingen hoch über das Elend des Augenblickes hinaus; ein Vor¬
schauen von innen heraus zeigte der Zeit das Bild der Welt, wie sie sein sollte,
werden mußte, gleichsam in die Wolken gemalt mit Gold und Silber und Morgen¬
rot. Das Nachwirken dieser Prophezeiung aus dem vierzehnten Jahrhundert ist


Grenzboten III. 1383. 8
Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.

ganze Christenheit, die ganze Welt. Er sollte nach der Weissagung der Sibylle
der letzte Kaiser sein vor dem Weltende oder der neuen Weltordnung, sollte mit
gewaltiger Heeresmacht ausziehen, endlich das heilige Grab zu gewinnen, denn
das nur konnte der Mittelpunkt der vollendeten Christenwelt sein. Dort sollte
er großes Gericht halten (denn das war aus alter Zeit her der Kern der Königs¬
gewalt), Gericht als eine Art Vorspiel des jüngsten Gerichts. Das aber er¬
scheint vorgestellt in altgermanischer Form, er würde, hieß es, seinen Schild an
einen dürren Baum heulen, d. h. den altgermanischen Gerichtsbann, der zu¬
gleich heilig war als Wohnstätte der Gottheit und heiliger Mittelpunkt des
Volksgebietes, der denn auch hier zugleich in eins gesetzt wurde mit dem Baume,
an dem Christus hatte den Tod für die Menschheit erleiden müssen, und mit
dem Baume im Paradiese, der zum Sündenfall den Anlaß gab. Dann aber
sollte der Baum wieder grünen, als Zeichen eines neuen, großen Lebens gedacht,
und alles sollte gut werden auf Erden: eine wunderbar überschwängliche Vor¬
stellungsmasse, aber mit einer großartigen, tiefsinnigen Einheit, gerade so, wie
sie die aufgeregte Geisteswelt, wie sie damals war, eben brauchte, um ihr aus
der Zukunfts- und Ideenwelt Ruhe und Mut zu geben. Der wunderbare
Baum liegt uns ja noch nahe in der Sage vom Birnbaum auf dem Walfer-
felde am Untersberg, der ein heimischer Ableger jenes Weltgerichtsbaumes ist,
einer Sage, die auch in unsrer kritischen Zeit doch durchaus noch mit Achtung
angesehen wird, wie die Sage vom Kaiser Friedrich im Khffhäuser auch; sie
prägen sich in der Jugend mit so reicher, schöner, tiefer Ahnung ein, daß sie
auch im Mannesalter noch im Gemüte Stand halten vor dem nüchtern kri¬
tischen Denken oder Spotten.

Solch ein Ungeheures erwartete man also, und nicht in Deutschland bloß,
von dem deutschen Helden der Zukunft, von dem Friedrich. Frieden und Ein¬
heit unter den Völkern sollte er herstellen, dabei einen Glauben über die Welt,
im Christentum aber auch Versöhnung zwischen Klerus und Laien, die so nötig
war nach den schlimmen Störungen durch die langen, erbitterten Kämpfe zwischen
Kaiser und Papst. Es weht einen eigen an, wenn man in der Weissagung
folgendes liest und dabei unwillkürlich an heutige Verhältnisse denkt:


üis zMüon, als cia fini vsririlzsn
unä fini blidon (bis) ut' eilf nit Isbsn,
ü<in ivirt ir uralten wiäsr Mbcm,
Ä»s voUc Fvvinnst si u,i)ör (wieder) Uod uM port,
ivcisr man ir Isrsn uncl ir drocliAsu bsgsrt.

So rettete die Prophezeiung die Geister aus schwerster Beklemmung durch ein
kühnes Aufschwingen hoch über das Elend des Augenblickes hinaus; ein Vor¬
schauen von innen heraus zeigte der Zeit das Bild der Welt, wie sie sein sollte,
werden mußte, gleichsam in die Wolken gemalt mit Gold und Silber und Morgen¬
rot. Das Nachwirken dieser Prophezeiung aus dem vierzehnten Jahrhundert ist


Grenzboten III. 1383. 8
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[0025] Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen. ganze Christenheit, die ganze Welt. Er sollte nach der Weissagung der Sibylle der letzte Kaiser sein vor dem Weltende oder der neuen Weltordnung, sollte mit gewaltiger Heeresmacht ausziehen, endlich das heilige Grab zu gewinnen, denn das nur konnte der Mittelpunkt der vollendeten Christenwelt sein. Dort sollte er großes Gericht halten (denn das war aus alter Zeit her der Kern der Königs¬ gewalt), Gericht als eine Art Vorspiel des jüngsten Gerichts. Das aber er¬ scheint vorgestellt in altgermanischer Form, er würde, hieß es, seinen Schild an einen dürren Baum heulen, d. h. den altgermanischen Gerichtsbann, der zu¬ gleich heilig war als Wohnstätte der Gottheit und heiliger Mittelpunkt des Volksgebietes, der denn auch hier zugleich in eins gesetzt wurde mit dem Baume, an dem Christus hatte den Tod für die Menschheit erleiden müssen, und mit dem Baume im Paradiese, der zum Sündenfall den Anlaß gab. Dann aber sollte der Baum wieder grünen, als Zeichen eines neuen, großen Lebens gedacht, und alles sollte gut werden auf Erden: eine wunderbar überschwängliche Vor¬ stellungsmasse, aber mit einer großartigen, tiefsinnigen Einheit, gerade so, wie sie die aufgeregte Geisteswelt, wie sie damals war, eben brauchte, um ihr aus der Zukunfts- und Ideenwelt Ruhe und Mut zu geben. Der wunderbare Baum liegt uns ja noch nahe in der Sage vom Birnbaum auf dem Walfer- felde am Untersberg, der ein heimischer Ableger jenes Weltgerichtsbaumes ist, einer Sage, die auch in unsrer kritischen Zeit doch durchaus noch mit Achtung angesehen wird, wie die Sage vom Kaiser Friedrich im Khffhäuser auch; sie prägen sich in der Jugend mit so reicher, schöner, tiefer Ahnung ein, daß sie auch im Mannesalter noch im Gemüte Stand halten vor dem nüchtern kri¬ tischen Denken oder Spotten. Solch ein Ungeheures erwartete man also, und nicht in Deutschland bloß, von dem deutschen Helden der Zukunft, von dem Friedrich. Frieden und Ein¬ heit unter den Völkern sollte er herstellen, dabei einen Glauben über die Welt, im Christentum aber auch Versöhnung zwischen Klerus und Laien, die so nötig war nach den schlimmen Störungen durch die langen, erbitterten Kämpfe zwischen Kaiser und Papst. Es weht einen eigen an, wenn man in der Weissagung folgendes liest und dabei unwillkürlich an heutige Verhältnisse denkt: üis zMüon, als cia fini vsririlzsn unä fini blidon (bis) ut' eilf nit Isbsn, ü<in ivirt ir uralten wiäsr Mbcm, Ä»s voUc Fvvinnst si u,i)ör (wieder) Uod uM port, ivcisr man ir Isrsn uncl ir drocliAsu bsgsrt. So rettete die Prophezeiung die Geister aus schwerster Beklemmung durch ein kühnes Aufschwingen hoch über das Elend des Augenblickes hinaus; ein Vor¬ schauen von innen heraus zeigte der Zeit das Bild der Welt, wie sie sein sollte, werden mußte, gleichsam in die Wolken gemalt mit Gold und Silber und Morgen¬ rot. Das Nachwirken dieser Prophezeiung aus dem vierzehnten Jahrhundert ist Grenzboten III. 1383. 8

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/25>, abgerufen am 24.08.2024.