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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Die Kaiserfahrt nach Rußland.

und maßvollste aller Monatsschriften Rußlands, schon bei Besprechung des
Berliner Friedensvertrages mit den Worten Ausdruck gegeben hatte: "Das
Dreikaiserbündnis besteht nicht mehr, und das entspricht vollständig unsrer
Meinung, nach welcher Rußland im Einvernehmen mit Deutschland und
Österreich eine ihm wünschenswerte Lösung der orientalischen Frage überhaupt
nicht erreichen kann. Der eine von den Teilnehmern des Dreibundes hat
nicht alles, was er für Nußland zu thun vermocht hätte, gethan, der andre
hat gegen Nußland gearbeitet, soviel er imstande war. Die daraus für
unsre zukünftige Politik zu ziehende Schlußfolgerung ist außerordentlich ein¬
fach: wir müssen entweder auf die Lösung jener Frage überhaupt verzichten
oder für sie andre Verbindungen ins Auge fassen." Andre russische Pre߬
stimmen gingen noch viel weiter, und mit besondrer Heftigkeit begann fast die
gesamte moskowitische Journalistik mit Einschluß der halbamtlichen Blätter
Deutschland anzufallen, als es im Sommer 1879 die Ausführung der einzelnen
Bestimmungen des Berliner Vertrages galt, zu denen in erster Reihe der Abzug
des russischen Heeres vom türkischen Gebiete gehörte, und bei denen Rußland
ebenfalls die unbedingte Unterstützung von deutscher Seite vermißte, zu der es
berechtigt zu sein glaubte. Neben diesem Preßfeldzuge gingen auf diploma¬
tischem Wege Äußerungen erst in dringendem, dann in gebieterischen, zuletzt in
drohendem Tone her, und dazu gesellte sich eine sehr bedeutende Verstärkung
der russischen Armee, und in den westlichen Gouvernements wurden Ansamm¬
lungen von Truppen, besonders von Reitermassen, bemerkt, während man in
Berlin bestimmte Berichte hatte, wonach ein russischer General die maßgebenden
Kreise in Paris wegen eines Bündnisses mit Frankreich sondirt hatte. Öster¬
reich und Deutschland waren von dem sich zusammenziehenden Sturme gleich sehr
bedroht, und es erschien für beide Mächte hohe Zeit, sich dagegen zu decken
oder ihn überhaupt am Losbruche zu verhindern. Das geschah am besten durch
näheres Zusammentreten beider, und so entstand an Stelle des zergangener
Dreikaiserbundes, in welchem Deutschland und Rußland sich näher gestanden
hatten als der dritten Macht, durch den deutschen Reichskanzler das durch
frühere Bemühungen desselben vorbereitete und allmählich gereifte österreichisch¬
deutsche Bündnis vom Spätsommer 1879. Dieses blieb bis heute in unge¬
schwächter Kraft und Festigkeit, wurde durch Hinzutritt Italiens ergänzt und
erwies sich dem Übelwollen Rußlands gegenüber als das, was mit ihm in
erster Reihe beabsichtigt war, als Bürgschaft für den Frieden beider Kaiser¬
staaten und ganz Europas. Man machte in Petersburg vor ihm Halt und be¬
gann darauf einzulenken, so weit es sich vor der Stimmung im Lande thun
ließ. Der Tod Alexanders II. und der Regierungsantritt seines Sohnes än¬
derten zunächst hieran nichts. Auch Alexander HI. war im Grunde friedfertig
gesinnt, und sein Wille erwies sich stärker als der des Panslawismus, der Deutsch¬
land zu grollen und mit Frankreich zu liebäugeln fortfuhr. Er brachte von


Die Kaiserfahrt nach Rußland.

und maßvollste aller Monatsschriften Rußlands, schon bei Besprechung des
Berliner Friedensvertrages mit den Worten Ausdruck gegeben hatte: „Das
Dreikaiserbündnis besteht nicht mehr, und das entspricht vollständig unsrer
Meinung, nach welcher Rußland im Einvernehmen mit Deutschland und
Österreich eine ihm wünschenswerte Lösung der orientalischen Frage überhaupt
nicht erreichen kann. Der eine von den Teilnehmern des Dreibundes hat
nicht alles, was er für Nußland zu thun vermocht hätte, gethan, der andre
hat gegen Nußland gearbeitet, soviel er imstande war. Die daraus für
unsre zukünftige Politik zu ziehende Schlußfolgerung ist außerordentlich ein¬
fach: wir müssen entweder auf die Lösung jener Frage überhaupt verzichten
oder für sie andre Verbindungen ins Auge fassen." Andre russische Pre߬
stimmen gingen noch viel weiter, und mit besondrer Heftigkeit begann fast die
gesamte moskowitische Journalistik mit Einschluß der halbamtlichen Blätter
Deutschland anzufallen, als es im Sommer 1879 die Ausführung der einzelnen
Bestimmungen des Berliner Vertrages galt, zu denen in erster Reihe der Abzug
des russischen Heeres vom türkischen Gebiete gehörte, und bei denen Rußland
ebenfalls die unbedingte Unterstützung von deutscher Seite vermißte, zu der es
berechtigt zu sein glaubte. Neben diesem Preßfeldzuge gingen auf diploma¬
tischem Wege Äußerungen erst in dringendem, dann in gebieterischen, zuletzt in
drohendem Tone her, und dazu gesellte sich eine sehr bedeutende Verstärkung
der russischen Armee, und in den westlichen Gouvernements wurden Ansamm¬
lungen von Truppen, besonders von Reitermassen, bemerkt, während man in
Berlin bestimmte Berichte hatte, wonach ein russischer General die maßgebenden
Kreise in Paris wegen eines Bündnisses mit Frankreich sondirt hatte. Öster¬
reich und Deutschland waren von dem sich zusammenziehenden Sturme gleich sehr
bedroht, und es erschien für beide Mächte hohe Zeit, sich dagegen zu decken
oder ihn überhaupt am Losbruche zu verhindern. Das geschah am besten durch
näheres Zusammentreten beider, und so entstand an Stelle des zergangener
Dreikaiserbundes, in welchem Deutschland und Rußland sich näher gestanden
hatten als der dritten Macht, durch den deutschen Reichskanzler das durch
frühere Bemühungen desselben vorbereitete und allmählich gereifte österreichisch¬
deutsche Bündnis vom Spätsommer 1879. Dieses blieb bis heute in unge¬
schwächter Kraft und Festigkeit, wurde durch Hinzutritt Italiens ergänzt und
erwies sich dem Übelwollen Rußlands gegenüber als das, was mit ihm in
erster Reihe beabsichtigt war, als Bürgschaft für den Frieden beider Kaiser¬
staaten und ganz Europas. Man machte in Petersburg vor ihm Halt und be¬
gann darauf einzulenken, so weit es sich vor der Stimmung im Lande thun
ließ. Der Tod Alexanders II. und der Regierungsantritt seines Sohnes än¬
derten zunächst hieran nichts. Auch Alexander HI. war im Grunde friedfertig
gesinnt, und sein Wille erwies sich stärker als der des Panslawismus, der Deutsch¬
land zu grollen und mit Frankreich zu liebäugeln fortfuhr. Er brachte von


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[0253] Die Kaiserfahrt nach Rußland. und maßvollste aller Monatsschriften Rußlands, schon bei Besprechung des Berliner Friedensvertrages mit den Worten Ausdruck gegeben hatte: „Das Dreikaiserbündnis besteht nicht mehr, und das entspricht vollständig unsrer Meinung, nach welcher Rußland im Einvernehmen mit Deutschland und Österreich eine ihm wünschenswerte Lösung der orientalischen Frage überhaupt nicht erreichen kann. Der eine von den Teilnehmern des Dreibundes hat nicht alles, was er für Nußland zu thun vermocht hätte, gethan, der andre hat gegen Nußland gearbeitet, soviel er imstande war. Die daraus für unsre zukünftige Politik zu ziehende Schlußfolgerung ist außerordentlich ein¬ fach: wir müssen entweder auf die Lösung jener Frage überhaupt verzichten oder für sie andre Verbindungen ins Auge fassen." Andre russische Pre߬ stimmen gingen noch viel weiter, und mit besondrer Heftigkeit begann fast die gesamte moskowitische Journalistik mit Einschluß der halbamtlichen Blätter Deutschland anzufallen, als es im Sommer 1879 die Ausführung der einzelnen Bestimmungen des Berliner Vertrages galt, zu denen in erster Reihe der Abzug des russischen Heeres vom türkischen Gebiete gehörte, und bei denen Rußland ebenfalls die unbedingte Unterstützung von deutscher Seite vermißte, zu der es berechtigt zu sein glaubte. Neben diesem Preßfeldzuge gingen auf diploma¬ tischem Wege Äußerungen erst in dringendem, dann in gebieterischen, zuletzt in drohendem Tone her, und dazu gesellte sich eine sehr bedeutende Verstärkung der russischen Armee, und in den westlichen Gouvernements wurden Ansamm¬ lungen von Truppen, besonders von Reitermassen, bemerkt, während man in Berlin bestimmte Berichte hatte, wonach ein russischer General die maßgebenden Kreise in Paris wegen eines Bündnisses mit Frankreich sondirt hatte. Öster¬ reich und Deutschland waren von dem sich zusammenziehenden Sturme gleich sehr bedroht, und es erschien für beide Mächte hohe Zeit, sich dagegen zu decken oder ihn überhaupt am Losbruche zu verhindern. Das geschah am besten durch näheres Zusammentreten beider, und so entstand an Stelle des zergangener Dreikaiserbundes, in welchem Deutschland und Rußland sich näher gestanden hatten als der dritten Macht, durch den deutschen Reichskanzler das durch frühere Bemühungen desselben vorbereitete und allmählich gereifte österreichisch¬ deutsche Bündnis vom Spätsommer 1879. Dieses blieb bis heute in unge¬ schwächter Kraft und Festigkeit, wurde durch Hinzutritt Italiens ergänzt und erwies sich dem Übelwollen Rußlands gegenüber als das, was mit ihm in erster Reihe beabsichtigt war, als Bürgschaft für den Frieden beider Kaiser¬ staaten und ganz Europas. Man machte in Petersburg vor ihm Halt und be¬ gann darauf einzulenken, so weit es sich vor der Stimmung im Lande thun ließ. Der Tod Alexanders II. und der Regierungsantritt seines Sohnes än¬ derten zunächst hieran nichts. Auch Alexander HI. war im Grunde friedfertig gesinnt, und sein Wille erwies sich stärker als der des Panslawismus, der Deutsch¬ land zu grollen und mit Frankreich zu liebäugeln fortfuhr. Er brachte von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/253>, abgerufen am 22.07.2024.