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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Die Kmscrfahrt "ach Rußland.

der Danziger Zusammenkunft, die seinen Wunsch bezeugte, dem Berliner Hofe
wieder näherzutreten, Vertrauen zu Bismarcks Ehrlichkeit mit, und er besaß in
Gicrs einen Minister, der ihn verständig beriet. Trotzdem trübte sich in der
letzten Zeit das Verhältnis Rußlands zu Österreich und zu dessen deutschem
Bundesgenossen wieder, und es wiederholte sich im Westen Rußlands das Schau¬
spiel von 1879, es schien, als bereite sich hier auf polnischem Boden ein Krieg
zur Entscheidung der Balkanfrage vor. In Berlin aber hatte man niemals auf¬
gehört, das gute Verhältnis zu Nußland zurückzuwünschen und, soweit es die
Rücksicht auf die Würde Deutschlands und das Interesse des österreichischen
Bundesgenossen gestattete, zurückzuerstreben. Zwar "fürchten wir anßer Gott
niemand," aber auch ein voraussichtlich für uns siegreicher Krieg ist und bleibt
trotz all seines Ruhmes ein großes Unglück. Noch auf seinem Totenbette legte
der greise Kaiser dem Enkel, der bald seine Krone erben sollte, die Pflege der
Beziehungen Deutschlands zu Rußlands ans Herz, und wir werden nicht fehl¬
greifen, wenn wir die Kaiserfahrt nach Petersburg als Erfüllung dieses Wunsches
betrachten. Es war der erste Besuch an fremdem Hofe, den das neue Ober¬
haupt der Deutschen machte. An die Bundesgenossen wird später die Reihe
kommen können, sie werden darin keine Zurücksetzung erblicken, sie wissen, was
sie an uns haben, und sie brauchen nicht gewonnen zu werden.

Ob sich an den Besuch Verhandlungen geknüpft haben, wissen wir nicht.
Sie könnten nur Bulgarien betroffen haben und auf eine Vermittelung gerichtet
gewesen sein, die Rußlands wohlgegründete Ansprüche auf Einfluß in diesem
Lande mit Österreichs Interessen zu versöhnen versucht hätte. Eine solche Ver¬
söhnung ist nicht leicht, aber doch nicht unmöglich. Rußland hat seine For¬
derungen in dieser Richtung noch nicht ausgesprochen. Wir wissen nur, daß
es das Fürstentum nicht sich einverleiben will, daß es die Vereinigung Bul¬
gariens und Ostrumeliens nicht anerkennt, und daß es dort keinen Fürsten an
der Regierung zu sehen wünscht, der wie der Battenberger englische oder über¬
haupt russenfeindliche Interessen vertritt. Es wäre daher nicht undenkbar, daß
die deutsche Politik in der Sache eine russisch-österreichische Verständigung wo
nicht schon vermittelt, doch angebahnt hätte, die zu einem moäus vivsnäi führte,
welcher keinem von beiden Teilen Opfer an Interesse und Ansehen auferlegte.
Wäre das der Fall, so stünde einem Wiederaufleben des Dreikaiserbundes oder
vielmehr der Entstehung eines Vierbundes mit Einschluß Italiens wohl nichts im
Wege, und das gäbe eine Macht, die geradezu unwiderstehlich wäre, und vor
der Frankreich genötigt sein würde, endgiltig und rückhaltslos die vollendeten
Thatsachen anzuerkennen und auf die Rückeroberung der 1871 zu Gliedern des
deutschen Reiches gewordenen Provinzen zu verzichten. Die Sache wäre zu
schön, als daß wir sie zu hoffen wagten: Friede am Balkan und Friede am
Wasgau! Indes haben wir Deutschen in den letzten Jahrzehnten vieles ge¬
schehen sehen, was wir auch nicht hoffen zu dürfen meinten.




Die Kmscrfahrt »ach Rußland.

der Danziger Zusammenkunft, die seinen Wunsch bezeugte, dem Berliner Hofe
wieder näherzutreten, Vertrauen zu Bismarcks Ehrlichkeit mit, und er besaß in
Gicrs einen Minister, der ihn verständig beriet. Trotzdem trübte sich in der
letzten Zeit das Verhältnis Rußlands zu Österreich und zu dessen deutschem
Bundesgenossen wieder, und es wiederholte sich im Westen Rußlands das Schau¬
spiel von 1879, es schien, als bereite sich hier auf polnischem Boden ein Krieg
zur Entscheidung der Balkanfrage vor. In Berlin aber hatte man niemals auf¬
gehört, das gute Verhältnis zu Nußland zurückzuwünschen und, soweit es die
Rücksicht auf die Würde Deutschlands und das Interesse des österreichischen
Bundesgenossen gestattete, zurückzuerstreben. Zwar „fürchten wir anßer Gott
niemand," aber auch ein voraussichtlich für uns siegreicher Krieg ist und bleibt
trotz all seines Ruhmes ein großes Unglück. Noch auf seinem Totenbette legte
der greise Kaiser dem Enkel, der bald seine Krone erben sollte, die Pflege der
Beziehungen Deutschlands zu Rußlands ans Herz, und wir werden nicht fehl¬
greifen, wenn wir die Kaiserfahrt nach Petersburg als Erfüllung dieses Wunsches
betrachten. Es war der erste Besuch an fremdem Hofe, den das neue Ober¬
haupt der Deutschen machte. An die Bundesgenossen wird später die Reihe
kommen können, sie werden darin keine Zurücksetzung erblicken, sie wissen, was
sie an uns haben, und sie brauchen nicht gewonnen zu werden.

Ob sich an den Besuch Verhandlungen geknüpft haben, wissen wir nicht.
Sie könnten nur Bulgarien betroffen haben und auf eine Vermittelung gerichtet
gewesen sein, die Rußlands wohlgegründete Ansprüche auf Einfluß in diesem
Lande mit Österreichs Interessen zu versöhnen versucht hätte. Eine solche Ver¬
söhnung ist nicht leicht, aber doch nicht unmöglich. Rußland hat seine For¬
derungen in dieser Richtung noch nicht ausgesprochen. Wir wissen nur, daß
es das Fürstentum nicht sich einverleiben will, daß es die Vereinigung Bul¬
gariens und Ostrumeliens nicht anerkennt, und daß es dort keinen Fürsten an
der Regierung zu sehen wünscht, der wie der Battenberger englische oder über¬
haupt russenfeindliche Interessen vertritt. Es wäre daher nicht undenkbar, daß
die deutsche Politik in der Sache eine russisch-österreichische Verständigung wo
nicht schon vermittelt, doch angebahnt hätte, die zu einem moäus vivsnäi führte,
welcher keinem von beiden Teilen Opfer an Interesse und Ansehen auferlegte.
Wäre das der Fall, so stünde einem Wiederaufleben des Dreikaiserbundes oder
vielmehr der Entstehung eines Vierbundes mit Einschluß Italiens wohl nichts im
Wege, und das gäbe eine Macht, die geradezu unwiderstehlich wäre, und vor
der Frankreich genötigt sein würde, endgiltig und rückhaltslos die vollendeten
Thatsachen anzuerkennen und auf die Rückeroberung der 1871 zu Gliedern des
deutschen Reiches gewordenen Provinzen zu verzichten. Die Sache wäre zu
schön, als daß wir sie zu hoffen wagten: Friede am Balkan und Friede am
Wasgau! Indes haben wir Deutschen in den letzten Jahrzehnten vieles ge¬
schehen sehen, was wir auch nicht hoffen zu dürfen meinten.




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[0254] Die Kmscrfahrt »ach Rußland. der Danziger Zusammenkunft, die seinen Wunsch bezeugte, dem Berliner Hofe wieder näherzutreten, Vertrauen zu Bismarcks Ehrlichkeit mit, und er besaß in Gicrs einen Minister, der ihn verständig beriet. Trotzdem trübte sich in der letzten Zeit das Verhältnis Rußlands zu Österreich und zu dessen deutschem Bundesgenossen wieder, und es wiederholte sich im Westen Rußlands das Schau¬ spiel von 1879, es schien, als bereite sich hier auf polnischem Boden ein Krieg zur Entscheidung der Balkanfrage vor. In Berlin aber hatte man niemals auf¬ gehört, das gute Verhältnis zu Nußland zurückzuwünschen und, soweit es die Rücksicht auf die Würde Deutschlands und das Interesse des österreichischen Bundesgenossen gestattete, zurückzuerstreben. Zwar „fürchten wir anßer Gott niemand," aber auch ein voraussichtlich für uns siegreicher Krieg ist und bleibt trotz all seines Ruhmes ein großes Unglück. Noch auf seinem Totenbette legte der greise Kaiser dem Enkel, der bald seine Krone erben sollte, die Pflege der Beziehungen Deutschlands zu Rußlands ans Herz, und wir werden nicht fehl¬ greifen, wenn wir die Kaiserfahrt nach Petersburg als Erfüllung dieses Wunsches betrachten. Es war der erste Besuch an fremdem Hofe, den das neue Ober¬ haupt der Deutschen machte. An die Bundesgenossen wird später die Reihe kommen können, sie werden darin keine Zurücksetzung erblicken, sie wissen, was sie an uns haben, und sie brauchen nicht gewonnen zu werden. Ob sich an den Besuch Verhandlungen geknüpft haben, wissen wir nicht. Sie könnten nur Bulgarien betroffen haben und auf eine Vermittelung gerichtet gewesen sein, die Rußlands wohlgegründete Ansprüche auf Einfluß in diesem Lande mit Österreichs Interessen zu versöhnen versucht hätte. Eine solche Ver¬ söhnung ist nicht leicht, aber doch nicht unmöglich. Rußland hat seine For¬ derungen in dieser Richtung noch nicht ausgesprochen. Wir wissen nur, daß es das Fürstentum nicht sich einverleiben will, daß es die Vereinigung Bul¬ gariens und Ostrumeliens nicht anerkennt, und daß es dort keinen Fürsten an der Regierung zu sehen wünscht, der wie der Battenberger englische oder über¬ haupt russenfeindliche Interessen vertritt. Es wäre daher nicht undenkbar, daß die deutsche Politik in der Sache eine russisch-österreichische Verständigung wo nicht schon vermittelt, doch angebahnt hätte, die zu einem moäus vivsnäi führte, welcher keinem von beiden Teilen Opfer an Interesse und Ansehen auferlegte. Wäre das der Fall, so stünde einem Wiederaufleben des Dreikaiserbundes oder vielmehr der Entstehung eines Vierbundes mit Einschluß Italiens wohl nichts im Wege, und das gäbe eine Macht, die geradezu unwiderstehlich wäre, und vor der Frankreich genötigt sein würde, endgiltig und rückhaltslos die vollendeten Thatsachen anzuerkennen und auf die Rückeroberung der 1871 zu Gliedern des deutschen Reiches gewordenen Provinzen zu verzichten. Die Sache wäre zu schön, als daß wir sie zu hoffen wagten: Friede am Balkan und Friede am Wasgau! Indes haben wir Deutschen in den letzten Jahrzehnten vieles ge¬ schehen sehen, was wir auch nicht hoffen zu dürfen meinten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/254>, abgerufen am 22.07.2024.