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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Die Kaiserfahrt nach Rußland.

Zugeständnisse zur Verhütung weiterer Kämpfe auf der Balkanhalbinsel ver¬
weigerte, welche dem Zusammentritte einer Konferenz in Konstantinopel voraus¬
gehen sollten. Rußland begann jetzt zu rüsten, und am 31. Oktober 1876
überreichte sein Vertreter in Konstantinopel ein Ultimatum, das einen bedingungs¬
losen Waffenstillstand für die wiederholt geschlagenen Serben forderte. Bald
nachher äußerte Kaiser Alexander in Livadia gegen den englischen Botschafter,
die Pforte habe durch verschiedne Manöver die Versuche Europas zur Been¬
digung des Krieges und zur Sicherstellung des allgemeinen Friedens vereitelt,
und wenn die übrigen Mächte sich das gefallen lassen wollten, so vermöge er
das nicht mehr zu dulden. Zugleich verpfändete er sein Ehrenwort, daß eine
Erwerbung Konstantinopels ihm fern liege, und daß er, wenn eine Besetzung
Bulgariens nötig werden sollte, sie nicht länger dauern lassen werde, als bis
der Friede hergestellt und die Sicherheit der christlichen Bevölkerung erreicht
sei. Ein Beweis dafür sei der inzwischen von russischer Seite in London ge¬
machte Vorschlag, Nußland solle Bulgarien und Österreich Bosnien und die
Herzegowina besetzen. Schließlich faßte der Kaiser seine Forderungen in fol¬
gende Punkte zusammen: Waffenstillstand, sofortiger Zusammentritt einer Kon¬
ferenz zur Einführung von Reformen in den betreffenden türkischen Provinzen
und Bürgschaften der Pforte für Durchführung derselben. Alles das paßt,
wie man sieht, sehr wohl in den Rahmen des Dreikaiserbundes. Österreichs
Interesse war durch die Besetzung Bosniens gewahrt. Deutschland aber nahm
darin eine Stellung ein, die Bismarck im Reichstage folgendermaßen bezeichnete:
"Mein Bestreben und die mir von Sr. Majestät dem Kaiser gestellte Aufgabe
ist: im diplomatischen Verkehr dahin zu wirken, daß womöglich die guten Be¬
ziehungen, in denen wir zu den nächstbeteiligten Mächten stehen, ungetrübt aus
dieser Krisis hervorgehen. Diese Aufgabe könnte uns nur dadurch verdorben
und gestört werden, daß einer unsrer Freunde verlangte, unsre stärkere Freund¬
schaft zu ihm dadurch zu bethätigen, daß wir den andern Freund, der uns
ebenfalls nichts gethan hat, der im Gegenteil unser Freund bleiben will, feindlich
behandeln.. . . Jedenfalls wird unser Bestreben dahin gerichtet sein, in erster
Linie, daß wir uns den Frieden und die Freundschaft mit unsern bisherigen
Freunden bewahren; in zweiter Linie werden wir, soweit es durch freundschaft¬
liche, von allen Seiten bereitwillig aufgenommene Vermittelung möglich ist,
unter absolutem Ausschluß aber jeder drohenden Haltung von unsrer Seite,
uns bestreben, den Frieden unter den europäischen Mächten nach Möglichkeit
zu erhalten." Dieser Politik blieb der Kanzler während des Krieges der Russen
auf der Balkanhalbinsel treu, und er beobachtete sie auch während der Berliner
Friedensverhandlungen. Die Pcmslawisten aber und, von ihnen angesteckt, die
russische öffentliche Meinung überhaupt waren damit nicht zufrieden, und in der
Folge schien sich auch innerhalb der Regierungskrise eine Stimmung ausge¬
bildet und festgesetzt zu haben, der der "Weßtnik Jewropa." die verständigste


Die Kaiserfahrt nach Rußland.

Zugeständnisse zur Verhütung weiterer Kämpfe auf der Balkanhalbinsel ver¬
weigerte, welche dem Zusammentritte einer Konferenz in Konstantinopel voraus¬
gehen sollten. Rußland begann jetzt zu rüsten, und am 31. Oktober 1876
überreichte sein Vertreter in Konstantinopel ein Ultimatum, das einen bedingungs¬
losen Waffenstillstand für die wiederholt geschlagenen Serben forderte. Bald
nachher äußerte Kaiser Alexander in Livadia gegen den englischen Botschafter,
die Pforte habe durch verschiedne Manöver die Versuche Europas zur Been¬
digung des Krieges und zur Sicherstellung des allgemeinen Friedens vereitelt,
und wenn die übrigen Mächte sich das gefallen lassen wollten, so vermöge er
das nicht mehr zu dulden. Zugleich verpfändete er sein Ehrenwort, daß eine
Erwerbung Konstantinopels ihm fern liege, und daß er, wenn eine Besetzung
Bulgariens nötig werden sollte, sie nicht länger dauern lassen werde, als bis
der Friede hergestellt und die Sicherheit der christlichen Bevölkerung erreicht
sei. Ein Beweis dafür sei der inzwischen von russischer Seite in London ge¬
machte Vorschlag, Nußland solle Bulgarien und Österreich Bosnien und die
Herzegowina besetzen. Schließlich faßte der Kaiser seine Forderungen in fol¬
gende Punkte zusammen: Waffenstillstand, sofortiger Zusammentritt einer Kon¬
ferenz zur Einführung von Reformen in den betreffenden türkischen Provinzen
und Bürgschaften der Pforte für Durchführung derselben. Alles das paßt,
wie man sieht, sehr wohl in den Rahmen des Dreikaiserbundes. Österreichs
Interesse war durch die Besetzung Bosniens gewahrt. Deutschland aber nahm
darin eine Stellung ein, die Bismarck im Reichstage folgendermaßen bezeichnete:
„Mein Bestreben und die mir von Sr. Majestät dem Kaiser gestellte Aufgabe
ist: im diplomatischen Verkehr dahin zu wirken, daß womöglich die guten Be¬
ziehungen, in denen wir zu den nächstbeteiligten Mächten stehen, ungetrübt aus
dieser Krisis hervorgehen. Diese Aufgabe könnte uns nur dadurch verdorben
und gestört werden, daß einer unsrer Freunde verlangte, unsre stärkere Freund¬
schaft zu ihm dadurch zu bethätigen, daß wir den andern Freund, der uns
ebenfalls nichts gethan hat, der im Gegenteil unser Freund bleiben will, feindlich
behandeln.. . . Jedenfalls wird unser Bestreben dahin gerichtet sein, in erster
Linie, daß wir uns den Frieden und die Freundschaft mit unsern bisherigen
Freunden bewahren; in zweiter Linie werden wir, soweit es durch freundschaft¬
liche, von allen Seiten bereitwillig aufgenommene Vermittelung möglich ist,
unter absolutem Ausschluß aber jeder drohenden Haltung von unsrer Seite,
uns bestreben, den Frieden unter den europäischen Mächten nach Möglichkeit
zu erhalten." Dieser Politik blieb der Kanzler während des Krieges der Russen
auf der Balkanhalbinsel treu, und er beobachtete sie auch während der Berliner
Friedensverhandlungen. Die Pcmslawisten aber und, von ihnen angesteckt, die
russische öffentliche Meinung überhaupt waren damit nicht zufrieden, und in der
Folge schien sich auch innerhalb der Regierungskrise eine Stimmung ausge¬
bildet und festgesetzt zu haben, der der „Weßtnik Jewropa." die verständigste


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[0252] Die Kaiserfahrt nach Rußland. Zugeständnisse zur Verhütung weiterer Kämpfe auf der Balkanhalbinsel ver¬ weigerte, welche dem Zusammentritte einer Konferenz in Konstantinopel voraus¬ gehen sollten. Rußland begann jetzt zu rüsten, und am 31. Oktober 1876 überreichte sein Vertreter in Konstantinopel ein Ultimatum, das einen bedingungs¬ losen Waffenstillstand für die wiederholt geschlagenen Serben forderte. Bald nachher äußerte Kaiser Alexander in Livadia gegen den englischen Botschafter, die Pforte habe durch verschiedne Manöver die Versuche Europas zur Been¬ digung des Krieges und zur Sicherstellung des allgemeinen Friedens vereitelt, und wenn die übrigen Mächte sich das gefallen lassen wollten, so vermöge er das nicht mehr zu dulden. Zugleich verpfändete er sein Ehrenwort, daß eine Erwerbung Konstantinopels ihm fern liege, und daß er, wenn eine Besetzung Bulgariens nötig werden sollte, sie nicht länger dauern lassen werde, als bis der Friede hergestellt und die Sicherheit der christlichen Bevölkerung erreicht sei. Ein Beweis dafür sei der inzwischen von russischer Seite in London ge¬ machte Vorschlag, Nußland solle Bulgarien und Österreich Bosnien und die Herzegowina besetzen. Schließlich faßte der Kaiser seine Forderungen in fol¬ gende Punkte zusammen: Waffenstillstand, sofortiger Zusammentritt einer Kon¬ ferenz zur Einführung von Reformen in den betreffenden türkischen Provinzen und Bürgschaften der Pforte für Durchführung derselben. Alles das paßt, wie man sieht, sehr wohl in den Rahmen des Dreikaiserbundes. Österreichs Interesse war durch die Besetzung Bosniens gewahrt. Deutschland aber nahm darin eine Stellung ein, die Bismarck im Reichstage folgendermaßen bezeichnete: „Mein Bestreben und die mir von Sr. Majestät dem Kaiser gestellte Aufgabe ist: im diplomatischen Verkehr dahin zu wirken, daß womöglich die guten Be¬ ziehungen, in denen wir zu den nächstbeteiligten Mächten stehen, ungetrübt aus dieser Krisis hervorgehen. Diese Aufgabe könnte uns nur dadurch verdorben und gestört werden, daß einer unsrer Freunde verlangte, unsre stärkere Freund¬ schaft zu ihm dadurch zu bethätigen, daß wir den andern Freund, der uns ebenfalls nichts gethan hat, der im Gegenteil unser Freund bleiben will, feindlich behandeln.. . . Jedenfalls wird unser Bestreben dahin gerichtet sein, in erster Linie, daß wir uns den Frieden und die Freundschaft mit unsern bisherigen Freunden bewahren; in zweiter Linie werden wir, soweit es durch freundschaft¬ liche, von allen Seiten bereitwillig aufgenommene Vermittelung möglich ist, unter absolutem Ausschluß aber jeder drohenden Haltung von unsrer Seite, uns bestreben, den Frieden unter den europäischen Mächten nach Möglichkeit zu erhalten." Dieser Politik blieb der Kanzler während des Krieges der Russen auf der Balkanhalbinsel treu, und er beobachtete sie auch während der Berliner Friedensverhandlungen. Die Pcmslawisten aber und, von ihnen angesteckt, die russische öffentliche Meinung überhaupt waren damit nicht zufrieden, und in der Folge schien sich auch innerhalb der Regierungskrise eine Stimmung ausge¬ bildet und festgesetzt zu haben, der der „Weßtnik Jewropa." die verständigste

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/252>, abgerufen am 24.08.2024.